EU-Verfassung Gauweilers Klage bringt die Union auf
Berlin - Der Vorsitzende der christdemokratischen Gruppe im Europäischen Verfassungskonvent, Elmar Brok, reagierte "mit großem Unverständnis auf die Initiative Gauweilers, durch eine einstweilige Anordnung die Ratifizierung des Europäischen Verfassungsvertrages in letzter Minute zu Fall zu bringen.
"Herr Gauweiler torpediert ausgerechnet den Vertrag, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes im Maastricht-Urteil besser denn je erfüllt", so der Europaparlamentarier Brok. Die Verfassung stärke gerade die nationalen Parlamente durch das Klagerecht und das neue Frühwarnsystem. "Sie ist nicht das Problem, sondern dessen Lösung!", so der Christdemokrat, der zu den führenden Europapolitikern seiner Partei gehört.
In einem heute in Berlin veröffentlichten Schreiben an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verlangte der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, die zweite und dritte Lesung des Zustimmungsgesetzes von der Tagesordnung in der zweiten Mai-Woche abzusetzen. Er kündigte an, auch einen entsprechenden Antrag auf Einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzureichen. Zur Begründung führte der CSU-Politiker eine Bestimmung in dem Vertrag an, nach der die EU-Verfassung und das von den Organen der Union gesetzte Recht Vorrang haben vor dem Recht der Mitgliedstaaten.
Damit werde nicht nur der Vorrang des neuen Verfassungsvertrages als solchem, sondern ausdrücklich auch der Vorrang des von den EU-Organen erlassenen Sekundär- und Tertiärrechts vor allem deutschen Rechts, einschließlich des Grundgesetzes mitsamt den Grundrechten, postuliert. Dazu aber sei der Bundestag nicht befugt. Daher werde er dagegen in Karlsruhe sowohl Organklage einreichen als auch Verfassungsbeschwerde einlegen und eine einstweilige Anordnung gegen die Abstimmung beantragen.
Gauweilers Vorstoß hat die interne Debatte bei der Union über Europa erneut entfacht. Er kommt rund eine Woche, nachdem die Richter des Bundesverfassungsgerichts bei einer Verhandlung über den EU-Haftbefehl Bedenken gegen die Abtretung nationaler Souveränitätsrechte durch die Parlamente hatten durchschimmern lassen.
Gauweiler-Kritiker Brok, der auch Mitglied im CDU-Bundesvorstand ist, erklärte, die Verfassung schaffe die seit langem geforderte saubere Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten: "Es ist sehr bedauerlich, dass Herr Gauweiler den gemeinsamen Konsens der Christdemokraten verlassen will und gerade mit dem Bundesverfassungsgericht eine Bühne für eine Debatte sucht, die er mit den Kollegen im Verfassungskonvent niemals direkt geführt hat".
Brok schätzte die Erfolgsaussichten der Klage als extrem gering ein, bedauerte aber den durch sie geschaffenen "Sturm im Wasserglas".
Ebenso kritisierte die europapolitische FDP-Fraktionssprecherin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Gauweilers Vorstoß. Sie nnannte ihn "populistisch motiviert". Die FDP halte den Vertrag für verfassungskonform. Gauweiler habe sich an keiner einzigen Bundestagsdebatte zur EU-Verfassung substanziell beteiligt und auch keinen einzigen Vorschlag zum Begleitgesetz gemacht.
Auch in der Union wird der Vorstoß skeptisch beurteilt. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses Matthias Wissmann (CDU) sagte: "Der Verfassungsvertrag tangiert nach übereinstimmender Meinung führender Verfassungsrechtler die Kernbereiche des Grundgesetzes nicht." "Ich bin davon überzeugt, dass eine Klage gegen den Verfassungsvertrag in Karlsruhe im Ergebnis keinen Erfolg haben wird."
Auch der Vizepräsident des europäischen Parlaments und Vize-CSU-Chef Ingo Friedrich glaubt nicht an einen Erfolg der Klage Gauweilers. Alle bisherigen Karlsruher Entscheidungen hätten eine weitere Integration der EU ermöglicht, sagte er in Berlin. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos wertete Gauweilers Vorstoß als "eigene Initiative" des Abgeordneten. Er sei darüber informiert worden. Es handele sich nicht um eine gemeinsame Aktion.