Euro-Abstimmung im Bundestag Kanzlerin muss mit 16 Abweichlern rechnen

Angela Merkel im Bundestag: Die Abgeordneten wollen ihr einen Vertrauensbeweis geben
Foto: Rainer Jensen/ dpaBerlin/Brüssel - An diesem Mittwoch kommt es darauf an: Erst stimmt der Bundestag erneut über den Euro-Rettungsschirm EFSF ab, am Abend kommen dann die EU-Staats- und Regierungschefs zum Krisengipfel in Brüssel zusammen. Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht es dabei vor allem um eine Frage: Wird ihr der Bundestag die nötige Unterstützung geben, damit sie in Brüssel gut verhandeln kann?
Er wird. Das ist zumindest der Stand der Dinge am Dienstagabend. Denn die Regierung und der größte Teil der Opposition haben sich auf eine gemeinsame Linie bei der Ausgestaltung des EFSF verständigt: Die Verhandlungsführer der Bundestagsfraktionen von Union, FDP, SPD und Grünen vereinbarten einen gemeinsamen Entschließungsantrag. Nur die Links-Fraktion war nicht daran beteiligt.
Freien Handlungsspielraum bekommt die Kanzlerin allerdings nicht. In dem Entwurf des Antrags zeigen die Parteien klare Grenzen auf für die Verhandlungen in Brüssel. So soll der vereinbarte Garantierahmen von 211 Milliarden Euro für den Rettungsfonds strikt eingehalten werden. Mit anderen Worten: Die Steuerzahler müssen im schlimmsten Fall nur 211 Milliarden Euro aufbringen. Da trotzdem die Schlagkraft des Rettungsschirms vergrößert werden soll - was alle Fraktionen wollen -, kann dies nur mit Hilfe von Finanztricks geschehen. In Frage kommt dafür zum Beispiel der sogenannte Hebel (wie die möglichen finanztechnischen Instrumente funktionieren - siehe hier).
Zugleich heißt es in dem Entwurf, man sei sich bewusst, dass sich durch die höhere Kapazität des EFSF "das Verlustrisiko verändern kann". Diese Formulierung war vor allem der SPD wichtig: Mit ihr muss die Regierung entgegen ihrer bisherigen Behauptung nun offen eingestehen, dass mit der Hebelung ein größeres Ausfallrisiko für die Garantien verbunden ist. Das heißt: Die mögliche Ausfallsumme ist zwar auf 211 Milliarden Euro begrenzt - doch das Risiko, dass es zum Ausfall kommt, könnte höher sein als bisher angenommen.
Auf Druck der Opposition wurde außerdem die Formulierung aufgenommen, dass nach dem G-20-Gipfel Anfang November zügig über eine Finanztransaktionssteuer in der Europäischen Union verhandelt werden müsse. Außerdem müsse den "europäischen systemrelevanten Banken" eine Frist bis 30. Juni 2012 gesetzt werden, damit die sich gegen neue Risiken wappnen.
Abweichler in allen Fraktionen
Der Entschließungsantrag fand am Dienstagnachmittag in allen vier Fraktionen große Unterstützung. Allerdings gibt es auch Abweichler. In den Koalitionsfraktionen gab es in Probeabstimmungen 16 Nein-Stimmen oder Enthaltungen. Die Koalition kann sich bis zu 19 Abweichler leisten, wenn sie die Kanzlermehrheit von 311 Stimmen aus den eigenen Reihen aufbringen will. In der Union gab es sieben Nein-Stimmen und drei Enthaltungen, bei der FDP vier Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen.
In der SPD-Fraktion gab es fünf Nein-Stimmen und vier Enthaltungen, bei den Grünen zwei Enthaltungen. In der SPD-Fraktionssitzung sprach sich nach Angaben von Teilnehmern auch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück für eine Zustimmung aus. Auf die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel am Mittwoch soll Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier antworten.
Wie genau die Schlagkraft des EFSF erhöht werden soll - darauf legt sich der Bundestag laut Entschließungsantrag nicht fest. Im Gespräch sind derzeit zwei Modelle:
- eine Versicherungslösung, bei der Staatsanleihen von Krisenstaaten quasi versichert werden, um die möglichen Ausfälle für die Steuerzahler zu begrenzen,
- und eine Fondslösung, bei der Drittmittel privater Investoren hinzugezogen werden (die genaue Funktionsweise der Modelle wird hier erläutert).
Der Entschließungsantrag lässt Merkel durchaus Spielraum für die am Mittwochabend anstehenden Verhandlungen mit den EU-Partnern in Brüssel. So heißt es in dem Papier: "Beide Modelle schließen sich nicht gegenseitig aus."
Merkel will das Beste für Deutschland herausholen
Merkel selbst betonte vor dem entscheidenden Tag, die Verhandlungsposition der Bundesregierung sei davon geprägt, "für Deutschland und für Europa das Beste herauszuholen". Bis jetzt habe man dies immer in einen guten Einklang gebracht. Unionsfraktionschef Volker Kauder bezeichnete den gemeinsamen Antrag der Fraktionen als "eine großartige Stärkung der Verhandlungsposition" der Bundesregierung in Brüssel.
Der Bundestag und auch der EU-Gipfel stimmen nicht endgültig über die EFSF-Leitlinien ab. In Brüssel wird zunächst über die Grundsätze entschieden. Anschließend soll mit einzelnen Ländern weiterverhandelt werden - und vor allem auch mit möglichen Privatinvestoren. Auf dieser Grundlage würden dann die Leitlinien endgültig formuliert, erläuterte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Die Leitlinien sollen innerhalb von drei Wochen erarbeitet und dann dem Haushaltsausschuss nochmals vorgelegt werden.
Neben der Debatte über den Euro-Rettungsschirm wird sich die Gipfelrunde in Brüssel auch mit der Wirtschaftskrise in Griechenland befassen. So sollen Europas Banken auf einen harten Schuldenschnitt vorbereitet werden, das heißt, die Geldhäuser sollen auf einen großen Teil ihrer Forderungen gegenüber dem griechischen Staat verzichten. Im Gegenzug sollen sie mit zusätzlichem Kapital ausgestattet werden, notfalls mit staatlichem Zwang. So soll verhindert werden, das systemrelevante Institute in Schieflage geraten.
Seit dem Wochenende streiten Banken und Euro-Staaten über die Höhe des Forderungsverzichts. Diplomaten in Brüssel gehen bisher davon aus, dass mit Ergebnissen erst beim Gipfel zu rechnen sei. Demnach sind die Banken zu einem Schuldenschnitt von 40 Prozent bereit, die Euro-Gruppe will 50 bis 60 Prozent.