Euro-Krise Ein Gespenst namens Europa

Merkel und Sarkozy beim G-8-Gipfel: Wohin führt der Weg Europas?
Foto: David Ramos/ Getty ImagesBerlin - Es ist die neueste Schreckensmeldung in der Schuldenkrise: Die Wirtschaft in der Euro-Zone stagniert, nur noch um mickrige 0,5 Prozent wird sie wohl im kommenden Jahr wachsen. Nicht einmal eine Rezession wird für 2012 noch ausgeschlossen.
Europa, so scheint es, tritt auf der Stelle. Bestenfalls.
Seit Monaten wird in Europas Hauptstädten an einer Lösung der Schuldenkrise gefeilt. Doch nicht nur die Brüsseler Prognosen zeigen: Von Entspannung der Lage kann nicht wirklich die Rede sein. In Griechenland konstituiert sich eine Notregierung , in Italien schleppt sich Silvio Berlusconi in Richtung Rücktritt. Die Märkte sind nervös, die Risikoprämien für Staatsanleihen schießen mal wieder in die Höhe - und mit ihnen die Sorgen um die Zukunft des Kontinents.
Die Turbulenzen in Athen und Rom stellen Europa vor eine zentrale Frage: Ist die EU in ihrer bisherigen Form überhaupt überlebensfähig? Oder wird Europa die Krise nur dann überstehen, wenn es sich eine neue Struktur gibt, wenn es sich aufteilt in ein wirtschaftlich gesundes Kerneuropa und die kriselnde Peripherie? Es ist eine heikle Frage. Würde die Staatenunion aufgebrochen, wäre der Euro vielleicht gerettet. Von der politischen Idee, die Europa einst überhaupt entstehen ließ, wäre allerdings wohl nicht mehr viel übrig. "Wir müssen sehr aufpassen, dass wir Europa nicht verlieren", warnt Ex-Außenminister Joschka Fischer in der "Zeit".
Für Aufsehen sorgten deshalb am Donnerstag Berichte, wonach Deutschland und Frankreich bereits seit Monaten an einem neuen Modell tüftelten. In Berlin und Paris gebe es demnach Planspiele, die Euro-Zone, in der sich die 17 Mitglieder der Einheitswährung organisieren, noch einmal zu verkleinern. Eine Zerschlagung, wenn man so will. Die beiden Partner hätten "intensive Beratung in dieser Frage auf allen Ebenen" gehabt, wird ein hoher EU-Beamter zitiert.
Merkel warnt vor Spaltung
Die Kanzlerin dementierte umgehend. "Deutschland hat nur ein einziges Ziel", sagte Angela Merkel: "Den Euro-Raum, so, wie er jetzt ist, zu stabilisieren." Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso warnte: "Eine gespaltene Union würde nicht funktionieren." Der Chef der Euro-Zone, Jean-Claude Juncker, sagte: "Europa wird kleiner und kleiner und es ist jetzt nicht an der Zeit, uns nach nationalen Kategorien zu unterteilen." Großbritanniens Premier David Cameron verkündete, sein Land bereite sich auf ein mögliches Auseinanderbrechen der Euro-Zone vor und fügte hinzu: "Aber es ist nicht in unserem Interesse, dass das geschieht". Die Führer der Euro-Zone müssten handeln, sofort. Je länger es dauere, desto größer sei der Schaden.
Klar ist: Die Debatte über das neue Europa hat längst begonnen. Auch Merkel selbst schweben Änderungen vor. Sie will nationale Souveränitätsrechte einschränken und dafür sorgen, dass Brüssel künftig stärker die nationalen Haushalte kontrollieren kann. Ihre Partei will auf dem anstehenden CDU-Parteitag diskutieren, inwieweit Defizit-Sündern der freiwillige Austritt aus dem Euro-Raum erleichtert werden kann. Selbst von einem Volksentscheid über die Übertragung nationaler Kompetenzen nach Europa ist in Unionskreisen inzwischen die Rede.
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Fest steht: In der künftigen Euro-Zone müssen wichtige Fragen geklärt werden. Was passiert, wenn ein Mitgliedstaat die gemeinsamen Regeln verletzt? Wie wird er dann bestraft - und ist als letzte Konsequenz nicht der Rauswurf aus dem exklusiven Club der Euro-Mitgliedsländer zwingend?
Wenn Frankreich und Deutschland über neue Regeln in Europa nachdenken, müssen sie sich natürlich auch über diese Fragen Gedanken machen.
Dass der Ausschluss von Mitgliedsländern kein Tabu mehr ist, zeigte sich zuletzt in der vorigen Woche. Nachdem der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou eine Volksabstimmung angekündigt hatte, machten Frankreich und Deutschland klar, was dies zur Folge haben könnte - nämlich den Abschied der Hellenen von der gemeinsamen Währung.
Schon jetzt driftet Europa klar auseinander. Da sind einmal die 27 Mitgliedsländer der EU - und dann die 17 Staaten der Währungsunion. Manche reden inzwischen sogar von einer dritten Gruppe innerhalb der Euro-Mitglieder, man könnte sie die "starken Sechs" nennen: Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg, Finnland und Österreich - das sind die wirtschaftlich solidesten Euro-Länder, die allesamt eine Triple-A-Bewertung der großen Rating-Agenturen genießen: Damit sind sie die Garanten des vorläufigen Euro-Rettungsschirms EFSF.
Euro-Gruppe festigt ihre Strukturen
Die Entwicklungen der vergangenen Monate haben diese Doppel- oder Dreifachstruktur noch einmal manifestiert: Die Gruppe der Euro-Staaten hat sich auf den Weg gemacht, ihre Koordinierung nochmals zu verstärken. Auf dem letzten Euro-Zonen-Gipfel im Oktober beschlossen die 17 Regierungschefs und Präsidenten, dass man künftig regelmäßige Gipfel auf höchster Ebene abhalten und einen eigenen Sprecher benennen wird. Das soll zunächst der Belgier Herman Van Rompuy sein, der als EU-Ratspräsident die Verbindung zu den restlichen Unionsmitgliedern halten würde. Dennoch stößt die exklusive Entwicklung der Euro-Gruppe auf Misstrauen bei den Nicht-Mitgliedern der Währungsunion.
Bei einer Zusammenkunft deutscher und britischer Parlamentarier Anfang der Woche in Berlin war die Frage einer Abspaltung der Euro-Zone ebenfalls ein Thema - es gab besorgte Fragen der Briten. Die sind zwar Mitglied in der Europäischen Union, der Währung aber noch immer nicht beigetreten. Sollte sich die Spaltung Europas verstärken, könnte Großbritannien abgehängt werden, so die Sorge in London.
In Paris und Berlin sieht man es genau andersherum. Dort wird unter Hinweis auf Großbritannien vor allem ein Problem gesehen: London muss sich irgendwann entscheiden, ob es mehr oder weniger Europa will. Mit anderen Worten - rein in den Euro-Raum oder raus aus der EU.
Noch sind solche Gedankenspiele für die Öffentlichkeit tabu. Deshalb dementiert man sie in Berlin und Brüssel so hart. Aber welch geringe Haltbarkeit Dementis haben, das hat sich in der Euro-Krise schon mehrfach gezeigt.