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Merkel im Blick: Warten auf die Euro-Rettung

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Euro-Rettungsschirm Schicksalstag für die Weltwirtschaft

Die ganze Welt schaut auf die Kanzlerin. Am Mittwoch muss ihr Rettungskonzept durch den Bundestag. Dann tagt sie mit den Führern der Euro-Zone in Brüssel. Überall hofft man auf einen Durchbruch - denn eine Verschleppung der Hilfsmaßnahmen wäre ein schwerer Schlag für die Weltkonjunktur.

Berlin - Der Kalender der Kanzlerin ist an diesem Mittwoch üppig gefüllt. Erst hält Angela Merkel im Bundestag eine Regierungserklärung, später reist sie weiter nach Brüssel, wo abends die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union tagen. Einziger Tagesordnungspunkt: Der Kampf gegen die Schuldenkrise.

Alle wissen: Die Krise braucht eine Lösung, die Märkte eine Beruhigungspille, ansonsten droht die Weltwirtschaft aus den Fugen zu geraten. Es ist ein entscheidender Tag für Europa. Und für Angela Merkel. Denn über all den Gipfeln, Krisenrunden und Abstimmungen schwebt die Frage: Wie verhält sich Deutschland - und wie die Kanzlerin? Reist sie gestärkt nach Brüssel oder wird sie von ihren eigenen Leuten ausgebremst? Verhilft sie dem EU-Gipfel zu einem Befreiungsschlag oder begnügt sie sich mit kleinen Lösungen, die die Krise nur weiter verschleppen?

In Berlin werden die Erwartungen vorsichtshalber heruntergeschraubt. Von einem Schicksalstag, so heißt es in der schwarz-gelben Koalition, könne ebenso wenig die Rede sein wie von einer Zitterpartie im Bundestag. Und eine Kanzlermehrheit brauche man im Übrigen auch nicht. Die Kanzlerin sei ja gewählt. Punkt.

Das Kalkül auf Seiten von Union und FDP ist klar: Dem Tag soll die Dramatik genommen werden. Doch die ist längst da. Wieder einmal wird es im Bundestag um den Rettungsfonds EFSF gehen, diesmal um seine Stärkung, seine Ausweitung. Auf über eine Billion Euro soll die Schlagkraft des Schirms gehebelt werden. Es ist der verzweifelte Versuch, die Märkte zu zähmen, der Schuldenkrise in Europa endlich Herr zu werden und so für eine globalwirtschaftliche Entspannung zu sorgen. Ein großes Ziel, für Europa und darüber hinaus. Aber erst muss eben der Bundestag zustimmen.

Und natürlich wird es, anders als von der Koalition versichert, auch wieder um die Kanzlermehrheit gehen - wie bereits bei der Abstimmung Ende September. Damals schaffte Merkel mit einiger Mühe die symbolische Marke. Auch diesmal wird sie die magischen 311 Stimmen erreichen müssen, will sie erhobenen Hauptes zum EU-Gipfel fahren.

Ganz schlecht sieht es nicht aus. Auf die Opposition kann sie wohl zählen, sie trägt einen gemeinsamen Antrag mit. Und auch in den eigenen Reihen scheint sich der Widerstand in Grenzen zu halten. Nur 16 Abweichler wurden in den schwarz-gelben Fraktionen am Dienstagnachmittag gezählt. Angesichts der insgesamt 330 Abgeordneten wäre das zu verkraften. Aber es war eben nur eine Probeabstimmung. Der Ernstfall kommt erst noch.

Klar ist: Wird Merkel von den eigenen Truppen im Stich gelassen, würde am Abend eine geschwächte Kanzlerin bei den entscheidenden EU-Verhandlungen erscheinen. In einer Zeit, in der es für sie darum geht, in der Euro-Zone Führung zu zeigen, wäre das wenig hilfreich. Erst recht dann, wenn man es zusätzlich mit einem aufgeplusterten französischen Staatspräsidenten zu tun hat.

Und aufgeplustert ist er. Seit Wochen. Nicolas Sarkozy macht mächtig Druck. Er will ein Ergebnis zur Euro-Rettung noch vor dem G-20-Treffen Anfang November in Cannes, einen großen, endgültigen Wurf. "Wenn wir zu keiner Entscheidung kommen, dann sind wir tot", sagte Sarkozy kürzlich mit Blick auf den anstehenden EU-Gipfel.

Sicher, das sind große Worte. Aber sie zeigen: Es geht am Mittwoch um weit mehr als einen möglichen Autoritätsverlust der Kanzlerin. Der Euro steht auf der Kippe, und die Krise kennt keine Grenzen. Sie zeigt beispielhaft, wie verflochten die globalen Märkte inzwischen sind. Und so schaut man in Washington, Paris und Peking gebannt auf Berlin.

Was wird in den Hauptstädten von Deutschland erwartet? Welche Gefahren drohen durch eine Verschleppung der Euro-Krise? Ein Überblick.

Frankreich: Den Banken droht der Kollaps

Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy liebt das Pathos, ganz besonders in Zeiten der Krise. Die Entscheidung über das Euro-Rettungspaket? Die "letzte Ausfahrt von der Autobahn", soll er kürzlich bei einem Treffen mit der Kanzlerin in Frankfurt gesagt haben. Es war eine verklausulierte Drohung.

Klar ist: Die Euro-Rettung ist aus Sicht von Paris unverhandelbar - und Berlin muss jetzt liefern. Kein Land hat im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung so auf die Gemeinschaftswährung gedrängt wie Frankreich. Man wollte heraus aus der ewigen Schwäche des Francs, man wollte aber auch das mächtige und größer gewordene Deutschland einhegen. Seitdem versucht Paris immer wieder, seine finanzpolitischen Vorstellungen durchzusetzen - die sich von den rigideren Ideen der Deutschen oft unterscheiden.

Frankreich will, dass die Europäische Zentralbank (EZB) weiterhin Staatsanleihen kauft, was rechtlich umstritten ist und durch den neuen EFSF eigentlich unterbunden werden soll. Eine entsprechende Formulierung zum fortdauernden Anleihenkauf der EZB in der EU-Abschlusserklärung zum Gipfel verweigert Berlin aber bislang.

Die Differenzen zeigten sich auch zuletzt wieder. Paris drängelte mit dem Ziel, dem Rettungsfonds eine Banklizenz zu verschaffen, damit der sich bei der EZB frisches Geld holen kann. Das aber würde die Geldmenge erhöhen - mit der Gefahr inflationärer Tendenzen im Euro-Raum. Ein Graus aus Sicht der Deutschen, die im vergangenen Jahrhundert keine guten Erfahrungen mit Geldentwertung machten. Angela Merkel hält stur dagegen, schließlich wäre durch eine Banklizenz auch die Unabhängigkeit der EZB insgesamt gefährdet.

Die Banklizenz ist durch das Veto aus Berlin vom Tisch. Das ändert nichts an dem vitalen Interesse Frankreichs und seines um die Wiederwahl kämpfenden Präsidenten, den eigenen Banken einen Puffer gegen die Folgen einer möglichen Umschuldung Griechenlands zu verschaffen - im Notfall aus Krediten des EFSF. Denn sollte es zu dem sich abzeichnenden großen Schuldenschnitt für Athen kommen, müssen vor allem französische Häuser rekapitalisiert werden.

Griechenland: Aufwind für die Gegner des Sparkurses

Für die sozialistische Regierung in Athen wäre eine Blamage in Berlin verheerend. Wenn schon die Deutschen nicht mitziehen, warum dann noch das eigene Land? Eine solche Botschaft aus Berlin wäre Auftrieb für die Gegner des rigiden Sparkurses.

Eile ist geboten. Die Troika aus EU, IWF und EZB hat kürzlich festgehalten, dass Athen bis 2020 weitere 252 Milliarden Euro an öffentlichen Hilfsgeldern braucht - sprich Steuergeldern aus den 17 Euro-Staaten. Doch kaum eine Regierung ist bereit, eine solche Summe zu stemmen, nachdem schon das erste Hilfspaket von 109 Milliarden Euro erhebliche Widerstände in den Euro-Staaten auslöste.

So geht es derzeit vor allem um die Banken, die auch mit Hilfe von Berlin unter Druck gesetzt werden: Verzichten die privaten Institute doch noch auf einen großen Teil ihrer Außenstände in Griechenland, könnte die öffentlich finanzierte Hilfsumme bis 2020 nämlich auf deutlich unter die Hälfte der veranschlagten 252 Milliarden gedrückt werden. Würden die Banken auf rund 60 Prozent ihrer Forderungen verzichten, wären "nur" noch rund 114 Milliarden an neuen Hilfsgeldern für Athen aus öffentlichen Geldern notwendig. Aber auch nur dann, wenn das rigorose Sparprogramm in Griechenland auch wirklich greift und Steuern tatsächlich eingetrieben werden. Sollte das nicht gelingen, dürfte es noch enger für die Euro-Zone werden.

IWF, EZB und EU haben bereits ausgerechnet, welche Hilfsgelder an Griechenland dann bis 2020 auf die Euro-Zone zukämen - 444 Milliarden Euro.

Euro-Partner: Die Rating-Agenturen lauern

Wird Merkel in Berlin durch ein Votum des Bundestags geschwächt - indem sie keine Kanzlermehrheit erreicht -, hätte das auch Auswirkungen auf die Autorität der Deutschen innerhalb der Euro-Gruppe. Auch andere Regierungen haben, nicht selten bis zur Selbstverleugnung, den neuen EFSF mitgetragen. In der Slowakei zerbrach gar die konservativ-liberale Koalition daran, dort stehen nun Neuwahlen an.

Hinzu kommt: Die tragenden Kräfte des Rettungsschirms EFSF sind vor allem sechs Staaten - Deutschland, Frankreich, Österreich, Finnland, Luxemburg und die Niederlande. Schwächelt ausgerechnet Deutschland, würde die Sechsergruppe von den Rating-Agenturen wohl noch genauer unter die Lupe genommen. Denn alle Sechs verfügen bislang über die höchsten Ratings in der Euro-Zone - Triple A. Frankreich steht schon seit geraumer Zeit unter scharfer Beobachtung der Agenturen, dem Land droht eine Abwertung.

Wenn nun noch eine in ihren Handlungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkte Bundesregierung dazu käme, hätte das womöglich Konsequenzen an den Märkten. Auch Deutschland könnte Gefahr laufen, die höchste Bonität zu verlieren.

Großbritannien: Der Finanzplatz London zittert

Obwohl kein Mitglied der Euro-Zone, würde London am Niedergang der Gemeinschaftswährung mitleiden. Denn der Finanzplatz in Großbritanniens Hauptstadt ist mit der Euro-Währung eng verflochten, der Absturz von Staaten und am Ende von Banken- und Finanzinstituten würde auch die Insel treffen, die sich ohnehin in einer tiefen wirtschaftlichen Krise befindet und sich unter der konservativ-liberalen Regierung von Premier David Cameron einen harten Sparkurs verordnet hat.

Britische Kritiker des Euro hingegen sehen es anders - sie fürchten, dass innerhalb der EU die Euro-Gruppe ohnehin schon zu viel Gewicht hat und dass etwa durch die Forderung Deutschlands und Frankreichs nach einer Finanztransaktionssteuer der Börsenplatz London leiden könnte. Cameron, der sich selbst als "euroskeptischen Pragmatiker" bezeichnet, steht unter Druck. Auf dem letzten EU-Gipfel wurde er von Frankreichs Staatspräsident Sarkozy abgekanzelt - man habe die ständigen Ratschläge aus London satt.

Cameron ist an einem Erfolg des Euro gelegen. Im Falle eines Scheiterns muss er um noch mehr fürchten - den Verlust der eigenen Autorität, gar eine Palastrevolte. Denn in seiner eigenen konservativen Partei versuchte diese Woche der rechte, schon immer antieuropäische Flügel gleich das Äußerste - im Parlament eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt herbeizuführen. Der Antrag wurde zwar niedergeschmettert, doch noch nie hatten sich so viele Hinterbänkler gegen Cameron gestellt.

USA: Der Präsident fürchtet den Sog nach unten

Gipfelchaos, Abstimmungsschwierigkeiten, deutsch-französischer Streit: Washington beäugt das Krisenmanagement der Europäer mit wachsendem Unwohlsein - und macht auch öffentlich keinen Hehl daraus. Präsident Barack Obama persönlich sah sich kürzlich veranlasst, der Kanzlerin und Sarkozy per Videokonferenz ins Gewissen zu reden, auch Finanzminister Tim Geithner mahnt seine Kollegen in Europas Hauptstädten regelmäßig zu größerer Entschlossenheit.

Die Ungeduld hat einen Grund: Weitet sich die Krise von Griechenland auf andere Euro-Länder aus, dürfte das auch den amerikanischen Markt in Mitleidenschaft ziehen. Es ist ein Szenario, dessen Gefahr der Präsident längst erkannt hat. Obama kämpft um seine Wiederwahl im November 2012. Gerät die ohnehin schwächelnde US-Wirtschaft zusätzlich in Turbulenzen, ist dieses Projekt stark gefährdet.

Längst ist die Euro-Krise auch zur Belastung für die transatlantischen Beziehungen geworden. Die europäischen Staatschefs verbitten sich Einmischungen und erinnern an den nicht immer souveränen Umgang der Amerikaner mit der Finanzkrise 2008. Washington sieht die Sache anders: Dort gibt man Brüssel die Schuld daran, dass die Banken nun vor einer zweiten Implosion stehen und die Weltwirtschaft auf die schiefe Bahn zu geraten droht.

Vor allem von der Kanzlerin wird in den USA mehr Führung erwartet. Den Zeitpunkt sieht man spätestens jetzt für gekommen: Mit einem breiten Bundestagsmandat im Rücken soll Angela Merkel den EU-Gipfel zum Erfolg führen, die Märkte beruhigen und endlich für eine Entschärfung der Krise sorgen. Das jedenfalls ist die Hoffnung der Amerikaner.

China: Die Großmacht bangt um die Exporte


China blickt seit Monaten gebannt auf den europäischen Kampf gegen die Schuldenkrise. Aus gutem Grund: Europa ist Pekings wichtigster Handelspartner, und das soll künftig auch so bleiben. Die Befürchtung: Ohne Aufträge aus Europa würde die eigene Wirtschaft empfindlich getroffen, und China womöglich mit in den Sog jener Schuldenkrise gezogen, die geografisch doch so weit entfernt ist.

Entsprechend groß sind die Erwartungen an das Votum in Berlin und den anschließenden Gipfel in Brüssel am Mittwochabend: Der Befreiungsschlag soll endlich kommen. "Wir hoffen, die EU wird praktische und effektive Maßnahmen ergreifen, um die Stabilität des Euro und die Finanzsituation in Europa zu schützen und um das Vertrauen der Märkte zu stärken", machte Außenminister Yang Jiechi die chinesische Haltung noch einmal klar.

Um Schlimmerem vorzubeugen, hat China bereits signalisiert, sich notfalls mit Milliarden an der Euro-Operation zu beteiligen. Auch wenn manchem europäischen Politiker die Vorstellung zu schaffen macht, dass das kommunistische China sich in die EU einkaufen könnte, scheint sich der Plan fernöstlicher Hilfe zu konkretisieren. Um die Feuerkraft des Rettungsschirms zu erhöhen, ist neben der Versicherungslösung auch im Gespräch, den Fonds mit einem Sondertopf zu ergänzen, dessen Mittel von außereuropäischen Ländern stammen. Sollten sich die Staats- und Regierungschefs auf dieses Modell einigen, könnte das chinesische Geld theoretisch fließen.

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