Wahlanalyse Wie die Grünen auf Platz zwei geklettert sind

Die Grünen holen bei den unter 25-Jährigen mehr Stimmen als Union, SPD und FDP zusammen. Die Union kann sich nur noch auf die Rentner verlassen. Die schnelle Datenanalyse zur Europawahl.
Robert Habeck in Bremen: Großer Rückhalt bei den unter 34-Jährigen

Robert Habeck in Bremen: Großer Rückhalt bei den unter 34-Jährigen

Foto: Ole Spata/ DPA

Die Wahlbeteiligung bei dieser Europawahl lag so hoch wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Rund 62 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland machten von ihrem Stimmrecht Gebrauch - so viele waren es zuletzt im Juni 1989. Damals stand die Berliner Mauer noch, nur die Westdeutschen konnten abstimmen. Gegenüber der letzten Europawahl 2014 stieg die Beteiligung um rund 14 Prozentpunkte.

Der große Gewinner dieser Wahl sind die Grünen. Das liegt vor allem daran, dass für 48 Prozent der Wähler Klima- und Umweltschutz das wichtigste Thema bei der Wahlentscheidung war - und hier wird den Grünen offensichtlich die größte Kompetenz zugetraut. Bei der EU-Wahl vor fünf Jahren waren Klima- und Umweltschutz nur für 20 Prozent der Wähler entscheidend. Hingegen sind die Themen, die 2014 für die meisten Wähler wahlentscheidend waren - soziale Sicherheit und Friedenssicherung - heute für viele weniger wichtig.

Mit ihrem Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz haben die Grünen besonders bei 18- bis 24-Jährigen gepunktet. Hier holte die Partei 33 Prozent der Stimmen - mehr als Union, SPD und FDP zusammen. Auch bei den 25- bis 34-Jährigen liegen die Grünen mit 22 Prozent vorn.

Die (bisherigen) Volksparteien CDU/CSU und SPD haben es den älteren Wählern zu verdanken, dass ihr Wahlergebnis nicht noch schlechter ausfällt: Bei den über 70-Jährigen holte die Union 48 Prozent der Stimmen, die SPD immerhin noch 26 Prozent. Für die Grünen stimmten in dieser Altersgruppe nur neun Prozent.

Das desaströse Abschneiden der SPD liegt darin begründet, dass die Partei ihre Kernklientel verloren hat. Nur 14 Prozent der Arbeiter stimmten für die Sozialdemokraten. Damit liegt die SPD hier weit hinter der Union (24 Prozent) und der AfD (23 Prozent).

Die Rechtspopulisten punkteten nicht nur bei den Arbeitern stark, sondern erst recht bei den Arbeitslosen. 21 Prozent der Erwerbslosen wählten die AfD. In dieser Gruppe waren auch die Grünen mit 17 Prozent überraschend stark.

Die Grünen wurden unter den Angestellten mit 26 Prozent stärkste Kraft. Bei den Selbstständigen liegen die Grünen mit 25 Prozent gleichauf mit der Union - und weit vor der FDP.

Die Zahlen zur Wählerwanderung sind nur begrenzt aussagekräftig, weil das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap die Werte der Europawahl mit der Bundestagswahl 2017 vergleicht, bei der die Wahlbeteiligung mit 76,2 Prozent deutlich höher lag - und bei der die Wähler oft mit anderer Motivation wählen, unter anderem weil es bei der Bundestagswahl anders als bei der EU-Wahl eine Fünfprozenthürde gibt.

Im Vergleich zur Bundestagswahl vor knapp zwei Jahren sind die Grünen von Platz 6 auf Platz 2 gesprungen. Sie haben vor allem frühere Anhänger von Union und SPD von sich überzeugt. Knapp 1,3 Millionen frühere SPD-Wähler und rund 1,1 Millionen ehemalige CDU/CSU-Wähler haben diesmal für die Grünen gestimmt. Aber auch 570.000 ehemalige Linken-Anhänger und 470.000 frühere FDP-Unterstützer sind zu den Grünen gewechselt - und sogar einstige 50.000 AfD-Wähler.

Die (früheren) Volksparteien haben es nicht geschafft, die Wähler, die ihnen bei der Bundestagswahl 2017 die Stimme gaben, für die Europawahl zu mobilisieren: Fast 2,5 Millionen Bürger, die 2017 für CDU und CSU gestimmt hatten, sind diesmal gar nicht zur Wahl gegangen. Auch die SPD hat mehr als 2 Millionen Anhänger an die Nichtwähler verloren.

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