Gewerkschaftschef Burkert »Absurde Regeln auf Kosten der Eisenbahner«

Maskenpflicht im Nahverkehr (Symbolbild)
Foto: Julian Rettig / picture alliance/dpaSPIEGEL: Herr Burkert, im Nahverkehr in Sachsen-Anhalt und Bayern muss künftig keine Maske mehr getragen werden. Die Gesundheitsminister der Länder konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Maskenpflicht einigen. Was bedeutet das für die Maskenpflicht im Fernverkehr?
Burkert: Als Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft fordern wir eine Gleichbehandlung aller Verkehrsmittel, egal ob Flugzeug, Nahverkehr oder ICE. Das bedeutet in der jetzigen Lage, dass das Tragen von Masken in allen deutschen Zügen ab sofort freiwillig sein muss. Alles andere ist schlicht nicht mehr vermittelbar.
SPIEGEL: Das heißt, Sie sind grundsätzlich gegen die Maske im Zug?
Burkert: Nein, natürlich nicht! Die Masken leisten gute Dienste bei der Bekämpfung des Virus, schützen auch das Personal an Bord der Züge. Die Pflicht erfüllte ihren Zweck. Wenn die pandemische Lage es erfordern sollte, braucht es wieder eine flächendeckende Maskenpflicht in allen Verkehrsmitteln, also auch in Flugzeugen. Jetzt müssen wir aber dringend auf Freiwilligkeit setzen, besonders zum Schutz des Personals.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Burkert: Der derzeitige Regel-Flickenteppich ist für die Fahrgäste schlicht nicht mehr nachzuvollziehen und führt zu Übergriffen auf die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter. Als Gewerkschaft dürfen wir das nicht länger hinnehmen: Die Sicherheit aller bei der Bahn Beschäftigter ist unser oberstes Gebot. Außerdem sind Eisenbahner keine Hilfs-Sherrifs.
SPIEGEL: Was widerfährt Ihren Mitgliedern konkret, wenn sie die Maskenpflicht durchsetzen müssen?
Burkert: In den letzten Monaten häuften sich Berichte von heftigsten verbalen Angriffen, teils aber auch schweren Körperverletzungen. Darüber spricht man nicht gern, wir brauchen ja nicht noch mehr Übergriffe in Zügen. Es ist ein riesiges Problem. Viele sagen: Ich mach nur noch meine Ansage und dann Augen zu und durch.
SPIEGEL: Aber wer, wenn nicht das Zugpersonal sollte eine Maskenpflicht im Zug durchsetzen?
Burkert: Das wäre wenn schon Aufgabe der Bundespolizei. Das haben wir bereits bei Einführung der 3G-Regel gefordert. Die Zugbegleiterinnen und -begleiter bekommen schon genug Frust von den Reisenden ab, die wegen eines desolaten Bahnsystems ihr Ziel nicht oder mit viel Verspätung erreichen. Außerdem sind die Eisenbahner bereits überlastet, was sich auch an den hohen Krankenständen zeigt.
SPIEGEL: Wegen Corona?
Burkert: Nicht hauptsächlich. Schlimmer war die Einführung des 9-Euro-Tickets. Die überfüllten Züge im Regionalverkehr überforderten und belasteten die Eisenbahner. Nicht nur auf den Zügen, sondern auch in den Bahnhöfen, Stellwerken und Leitstellen. In den Hotspots des 9-Euro-Tickets, also vor allem den touristischen Regionen, waren zum Teil bis zu 30 Prozent der Eisenbahner krank – sechsmal so viele wie sonst.
SPIEGEL: Die Lufthansa kündigte bereits im Mai an, die Maskenpflicht in ihren Flugzeugen nicht mehr durchzusetzen, begründete diesen Schritt mit der Sicherheit der Flugbegleiter. Als Staatskonzern muss die Bahn natürlich Bundesgesetze umsetzen. Warum aber hat die Bahn die Sicherheit ihrer Beschäftigten nicht im Blick?
Burkert: Für den Zwang der Bahn, Bundesrecht umsetzen zu müssen, habe ich Verständnis. Trotzdem will mir nicht einleuchten, warum die Bahn im Unterschied zur Lufthansa nicht den Mut hat zu sagen: Wir stellen uns vor unsere Beschäftigten und sorgen dafür, dass deren Wohl an erster Stelle steht. Die Zufriedenheit der Bahnmitarbeiter ist auf dem Rekordtief. Es fehlt doch überall an Personal, und auch wenn die Bahn allein in diesem Jahr 26.000 neue Leute einstellt, bleibt die Fluktuation hoch.
SPIEGEL: Haben Sie dazu das Gespräch mit der Bundesregierung gesucht?
Burkert: Nachdem die Lufthansa angekündigt hatte, die Maskenpflicht zugunsten ihrer Beschäftigten nicht mehr durchzusetzen, haben wir auf mehreren Wegen auf das Unverständnis unserer Mitglieder hingewiesen. Leider blieben unsere Bemühungen folgenlos.
SPIEGEL: Sie sind Mitglied der SPD, saßen lange Jahre im Bundestag. Der Gesundheitsminister und Maskenbefürworter Karl Lauterbach (SPD) ist ein Parteifreund von Ihnen, Sie kennen sich gut. Kann er Ihren Argumenten nichts abgewinnen?
Burkert: Ich schätze den Gesundheitsminister. Er ist eine besondere Persönlichkeit mit Weitsicht, hat mit seinen Analysen oft recht gehabt, dass muss man anerkennen. Ich bin Eisenbahner. Auf keinen Fall maße ich mir an, bei Medizin und Wissenschaft mitzureden. Mir geht es schlicht um die Eisenbahner. Absurde Regeln dürfen nicht auf deren Kosten durchgesetzt werden.
SPIEGEL: Bald ist Weihnachtszeit, in der Vergangenheit häufig auch Bahnchaoszeit. Ihre Prognose?
Burkert: Trotz der 80 Sonderzüge, die die Bahn bereitstellt, dürfte es schwierig werden. Der Krankenstand ist nach wie vor hoch, die Pünktlichkeit im Keller und das Netz an vielen Orten überlastet. Dazu kommen Baustellen und Streckensperrungen.
SPIEGEL: Die Bahn will bei der Reparatur ihrer Strecken künftig neue Wege gehen. Strecken wie etwa die Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim sollen dann für mehrere Monate ganz gesperrt und komplett saniert werden. Was halten Sie von dieser Herangehensweise?
Burkert: Ob dieses koordinierte Bauen, das man ja bereits aus Österreich kennt, funktioniert, wird sich zeigen. Schließlich muss dann eine ganze Reihe von Firmen Hand in Hand arbeiten, sonst können die Termine nicht gehalten werden. Größte Sorgen mache ich mir um den Schienenersatzverkehr mit Bussen. Es fehlen Tausende Busse und Busfahrer, der Markt ist leer gefegt. Seit die Bundeswehr keine Fahrer mehr ausbildet, hat sich die Situation zusätzlich verschärft. Die Bahn muss dringend in Busfahrschulen investieren.
SPIEGEL: Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich gestern auf ein 49-Euro-Ticket geeinigt. Ist das aus Ihrer Sicht ein guter Schritt?
Burkert: Wir begrüßen, dass sich Bund und Länder verständigt haben, die anfallenden Kosten hälftig zu teilen. Leider gilt das erst mal nur für das Einführungsjahr 2023. Der ÖPNV muss langfristig finanziert und ausgebaut werden. Dazu müssen die zukünftigen Mittel deutlich erhöht werden, damit auch eine Angebotsausweitung möglich ist. Beschäftigte und Fahrgäste profitieren, wenn es zu weniger überfüllten Bussen und Bahnen kommt.