Ex-RAF-Terroristin Albrecht "Eine Frau, die durch die Hölle gegangen ist"

In Bremen streitet die Große Koalition, ob die frühere RAF-Terroristin Susanne Albrecht weiter als Lehrerin arbeiten darf. Der frühere Bürgermeister Scherf spricht mit SPIEGEL ONLINE über seine Erfahrungen mit ihr - und warnt davor, das Thema im Wahlkampf zu missbrauchen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Scherf, in Bremen empört sich die CDU darüber, dass die frühere RAF-Terroristin Susanne Albrecht als Lehrerin arbeitet...

Scherf: ...diese Entrüstung hat mit dem Wahlkampf zu tun. Kurz vor der Wahl soll offensichtlich ein altes Thema aufgebrüht werden. Dass Susanne Albrecht heute als Lehrerin arbeitet, kann man seit langem jederzeit im Internet recherchieren. Und bislang hat es niemanden besonders aufgeregt.

SPIEGEL ONLINE: Was raten Sie Ihrer Bremer SPD?

Scherf: Auf die Fachleute zu hören, die sich mit dem Fall beschäftigt haben. Die Sache wurde ja 1991 vom Oberlandesgericht Stuttgart abgeurteilt. Die Generalbundesanwaltschaft war bei allen RAF-Mitgliedern zuständig für die Haftvollstreckung und hat damals die Bundesländer gefragt, wer die Verurteilten unterbringen kann. Wir in Bremen waren ohne Erfahrung und wollten niemanden, der zusätzlichen Sicherheitsaufwand bedeutet. Wir wollten andererseits unseren Beitrag leisten und haben das sehr genau geprüft und abgewogen. Gericht und Generalbundesanwaltschaft haben uns außerdem versichert, dass Susanne Albrecht kein Sicherheitsrisiko darstellt - weil sie aus der Szene raus ist. Die Sache ist auch ungewöhnlich gut gelaufen.

SPIEGEL ONLINE: Wie wurde Albrecht Lehrerin für Migranten an einer Grundschule?

Scherf: Sie wurde 1991 zu zwölf Jahren Haft verurteilt, kam aber vorzeitig auf Bewährung frei. Aus dem Strafvollzug heraus wurde versucht, eine Beschäftigung zu finden. Susanne Albrecht war in der DDR Lehrerin und hat Deutsch für Ausländer unterrichtet. Das war wohl der Anknüpfungspunkt für die Mitarbeiter, die sie auf ihrem Weg in ein neues Leben in Freiheit und in eine neue berufliche Existenz begleitet haben. Sie ist übrigens nicht als Lehrerin im Bremer Schuldienst eingestellt, sondern arbeitet für einen freien Trägerverein, der Schulen bei bestimmten Projekten unterstützt. Das lief ohne irgendeinen Ärger. Bis jetzt.

SPIEGEL ONLINE: Waren Sie als Justizsenator damals beteiligt?

Scherf: Nein, der freie Träger musste mich gar nicht fragen. Natürlich war ich als Justizsenator interessiert, dass die Leute was zu tun kriegen, dass Freigänger sinnvoll beschäftigt werden. Aber man kann sich nicht um jede einzelne Sache kümmern - das muss der Apparat machen, und der hat gut gearbeitet: Der Fall Albrecht ist ein gelungener Fall von Amtshilfe im Strafvollzug.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie je direkten Kontakt zu Susanne Albrecht?

Scherf: Ich habe sie zum Beispiel einmal im Strafvollzug erlebt, an so einem Tag der offenen Tür für die Angehörigen der Häftlinge.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie mit ihr gesprochen?

Scherf: Nicht lange. Sie hat mich auch vor Jahren einmal angerufen und später auf der Straße angesprochen. Trotzdem kenne ich ihren neuen Namen nicht und weiß nicht, wo sie wohnt.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie damals mit ihr über ihre Vergangenheit geredet?

Scherf: Nein. Ich wollte nicht in die Rolle des Therapeuten kommen. Der bin ich auch nicht. Ich wusste aber, dass sie mit der RAF lange gebrochen hatte und schon in ihrem Prozess und dann während der Haft glaubwürdig um eine Chance für einen neuen Anfang gerungen hat. Die hat sie nach der Strafe in einem Rechtsstaat verdient, bekommen und genutzt.

SPIEGEL ONLINE: Wie wirkte Albrecht damals auf Sie?

Scherf: Wie eine Frau, die durch die Hölle gegangen ist. Die Mühe hat, Boden unter die Füße zu kriegen, aber von ihrer Seite alles mögliche dazu beitragen will.

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Scherf: Die Kritiker sollen sich einfach mal bei der Generalbundesanwaltschaft erkundigen und eines nicht vergessen: Wir haben das damals unter Kanzler Helmut Kohl umgesetzt - und wurden von allen Seiten dafür gelobt, wie gut es läuft. Ja, sie hat schwere Schuld auf sich genommen. Aber ihre Taten sind fast 30 Jahre her. Sie ist dafür bestraft worden und hat die Strafe angenommen. Jetzt wird losgepoltert, ohne dass man sich die Fakten ansieht. Hilfreich ist das nicht.

SPIEGEL ONLINE: Begrüßen Sie die Tätigkeit von Frau Albrecht?

Scherf: Ich schütze jene, die über all die Jahre gut gearbeitet haben - von den umsichtigen Mitarbeitern in der Bremer Justiz über das Oberlandesgericht Stuttgart bis zur Generalbundesanwaltschaft. Nach deren rechtskräftiger Entscheidung hat hier vernünftige Amtshilfe stattgefunden. Die verteidige ich gegen die Wahlkampf-Propaganda. Es ist ein Segen, dass solche Fälle nicht populistisch in Wahlkampfaufgeregtheiten entschieden werden, sondern von der unabhängigen Justiz, die nicht fragt: Passt das den innenpolitischen Scharfmachern?

SPIEGEL ONLINE: Wie bewerten Sie die neu entfachte RAF-Debatte?

Scherf: Es ist ein anstrengendes Aufarbeiten dieser alptraumähnlichen Erfahrung. Viele Leute wissen nicht, was Gnade ist. Das habe ich in solchen Diskussionen oft erlebt. Man darf über Gnadenentscheidungen nicht auf dem Marktplatz abstimmen. Und man darf sie nicht allein der "Bild"-Zeitung überlassen...

SPIEGEL ONLINE: ...was meinen Sie damit?

Scherf: Die "Bild"-Zeitung verfolgt mit ihrer RAF-Berichterstattung ein einziges Ziel: Hauptsache, die Leser sind scharf gemacht. Das hat mit Gnade und christlicher Vergebung nichts zu tun. Gnade ist das Gegenteil.

Das Interview führte Björn Hengst

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