Spannungen zwischen Deutschland und Spanien Missverstanden in Madrid
Mit Aussagen zum Fall Puigdemont sorgte Justizministerin Barley für Empörung in Spanien - nun ist die Rede von einem "Missverständnis". Doch schon bahnt sich in der Sache der nächste Streit an.
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Wenn Politiker einen Streit beilegen wollen, sagen sie gerne: alles nur ein Missverständnis. So auch Katarina Barley. Am Sonntagabend hat die SPD-Bundesjustizministerin mit ihrem spanischen Amtskollegen in Sachen Carles Puigdemont telefoniert - und "dieses Missverständnis ausgeräumt", wie es ihr Sprecher formulierte.
Dieses "Missverständnis" ist eine harmlose Formulierung für das, was seit Samstag für große Verstimmung in Spanien gesorgt hat: Außenminister Alfonso Dastis beschwerte sich öffentlich über Barley, Medien in Madrid und Barcelona thematisierten die Aussagen der Sozialdemokratin.
Zuvor hatte die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) die Ministerin mit zustimmenden Sätzen zur Puigdemont-Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig zitiert - sowie ihrer Forderung, man werde "jetzt miteinander auch über die politischen Komponenten reden müssen". Spaniens Justiz habe nun darzulegen, warum sich Puigdemont einer Untreue schuldig gemacht haben soll, sagte Barley demnach. Die mögliche Veruntreuung von Staatsgeldern ist der letzte verbliebene Auslieferungsgrund im Haftbefehl gegen den Separatistenpolitiker.
Klar, dass das in Madrid als Affront aufgenommen wurde - und als böse Überraschung. Die Bundesregierung und auch Barley selbst hatten immer betont, sich aus dem juristischen Verfahren um den katalanischen Politiker herauszuhalten und es nicht politisch zu bewerten. Noch am Tag der Festnahme Puigdemonts am Sonntag vor zwei Wochen hatte die Bundesregierung diese Linie intern abgesprochen - Barley war dabei.
Wie aber konnte es dann zu dem angeblichen Missverständnis kommen, das die ernsten Irritationen zwischen Madrid und Berlin hervorrief?
Die Lösung: Barley hat die Sätze höchstwahrscheinlich so gesagt - im Telefonat mit einem Redakteur in der Münchener "SZ"-Zentrale. Aber sie fielen in einem Hintergrundgespräch, waren also nicht zur Veröffentlichung gedacht. Dass die Justizministerin so über den Fall Puigdemont denkt - wie wohl viele Mitglieder der Bundesregierung auch - ist keine Überraschung. Aber es sollte eben nicht in der Zeitung stehen.
Politiker sprechen regelmäßig mit Journalisten im sogenannten Hintergrund. Dort sagen sie dann auch mal Sachen, die heikel sind. Solche Gespräche im Vertrauen sind für beide Seiten wichtig. In diesem Fall allerdings wanderten einigen Sätze in die Zeitung. Warum? Bei der "SZ" will man sich dazu nicht äußern.
Und schon waren die Barley-Sätze in der Welt und die Aufregung war groß. Da half auch nicht, dass ihr Justizministerium sie umgehend dementierte. Am Montag betonte ein Sprecher: "Es gab kein Interview oder sonst wie autorisierte Statements meiner Ministerin." Und sie werde sich auch weiterhin nicht zu dem Verfahren äußern. Gleiches erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert für die Bundesregierung.
Die Kanzlerin dürfte nicht glücklich über die Barley-Sätze sein, egal wie sie den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Weder Berlin noch Madrid haben Interesse an einem Streit. Doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Fall Puigdemont noch für manche Verstimmung sorgen wird. Denn was Barley wohl im Hintergrundgespräch gesagt hat, ist Realität: Spaniens Oberster Gerichtshof muss dem Oberlandesgericht Schleswig darlegen, warum sich Puigdemont einer Veruntreuung öffentlicher Gelder schuldig gemacht haben soll.
Die Richter in Schleswig wollen mehr von den spanischen Kollegen
Den OLG-Richtern reichen die bisherigen Erläuterungen nicht. Dies geht aus ihrer Entscheidung vom vergangenen Donnerstag hervor, als sie beschlossen, Puigdemont gegen Kaution vorübergehend auf freien Fuß zu setzen.
Anders als bei dem Vorwurf der Rebellion sei eine Auslieferung wegen Untreue nicht von vornherein ausgeschlossen, heißt es in dem Dokument. "Allerdings genügt hinsichtlich des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder die Sachdarstellung im Europäischen Haftbefehl des Obersten Gerichtshofes - jedenfalls noch - nicht den Anforderungen" des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
Laut dem Madrider Haftbefehl soll die katalanische Regierung für Vorbereitung und Durchführung des verbotenen Abspaltungsreferendums insgesamt 1,6 Millionen Euro Steuermittel ausgegeben haben. Das OLG fordert nun genauere Angaben.
Zwar werde deutlich, dass Puigdemont für die Entstehung von Kosten für das Referendum zumindest politisch mitverantwortlich gewesen sei. "Unklar bleibt allerdings, ob der Staat tatsächlich mit diesen Kosten belastet wurde, indem sie aus dem Regionalhaushalt bezahlt wurden und ob der Verfolgte dies veranlasste." So sei es auch möglich, schreiben die Richter, dass die Kosten entweder gar nicht bezahlt wurden - oder von privaten Spendern übernommen wurden, wie Puigdemont selbst behauptet.
Madrid soll nachliefern
Kurz gesagt: Madrid soll nachliefern. Und das könnte schwierig werden - etwa bei der Frage nach Puigdemonts persönlicher Verantwortung für die vermeintliche Veruntreuung des Geldes. Die spanische Polizeieinheit Guardia Civil hatte erst kürzlich den früheren Präsidialsprecher Jordi Turull verantwortlich gemacht für die Veruntreuung von 1,4 der 1,6 Millionen Euro. Sollte Schleswig auch die Auslieferung wegen Untreue ablehnen, wäre Puigdemont ein freier Mann.
Juristen am Obersten Gerichtshof in Madrid sind empört. Ihnen zufolge steigt das norddeutsche "Provinzgericht" zu tief in die Details des Falls ein. Bei der Bearbeitung eines EU-Haftbefehls darf das Gericht nur in Ausnahmefällen prüfen, ob die Angaben im Haftbefehl stimmen. Sehr wohl aber prüft es, ob der gleiche Sachverhalt auch nach deutschem Recht strafbar wäre. In Madrid erwägt man nun sogar, den Europäischen Gerichtshof anzurufen.
Dann wäre das nächste "Missverständnis" auf höchster Ebene in der Beziehung zwischen Deutschland und Spanien programmiert.
Zusammengefasst: Hat Bundesjustizministerin Barley das deutsche Verfahren gegen den festgenommenen katalanischen Politiker Puigdemont gelobt? Ja - allerdings waren ihre Sätze offenbar nicht zur Veröffentlichung gedacht. Für mächtigen Ärger in Spanien haben sie jedenfalls gesorgt. Weiterer Zwist ist programmiert, weil die deutschen Richter mit dem Untreue-Beleg der Kollegen in Madrid unzufrieden sind.