S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Stunde der Pedanten
Wie muss man sich eigentlich einen Plagiatsjäger vorstellen? Klingt ja irgendwie sehr aufregend, was diese Leute so treiben: die Pirsch auf große Tiere - dann, peng, der Abschuss. Nach allem, was ich über die Menschen lese, die ihr Leben damit zubringen, in längst vergilbten Doktorarbeiten herumzustochern, vermute ich allerdings, dass es sich hier zumeist nur um eine neue Form des Pedantentums handelt.
Fast ein Dreivierteljahr hat der Mann mit dem Pseudonym "Robert Schmidt" nach eigener Angabe damit zugebracht, die Dissertation von Annette Schavan auf Sätze zu durchstöbern, die so oder so ähnlich schon woanders gestanden haben. Am Dienstag legte der Wortjäger seinen Schlussbericht vor: 92 Stellen hat Schmidt in seiner "Dokumentation mutmaßlicher Plagiate" zusammengetragen. Eine Heidenarbeit, keine Frage. Viele Bücher musste der geduldige Satzsucher erst digitalisieren, bevor er sie mit der bereits 1980 erschienen Arbeit der Bildungsministerin vergleichen konnte.
Sammler tendieren zum Manischen, das kann bei diesem Zeitvertreib nicht ausbleiben. Dafür entschädigen dann schon kleine Funde. Der "Welt" hat Schmidt Einblick in die entsagungsvolle Arbeit des Plagiatejägers gegeben: Im vergangenen Monat waren es insgesamt fünf Stellen, die er als anstößig kennzeichnete, den letzten Fund machte er am 30. September. Ein erfülltes Leben stellt man sich anders vor, aber das sagt man ja auch über das Briefmarkensammeln. Es gibt viele Hobbys, deren Reiz sich dem Außenstehenden nicht recht erschließt.
Ein Grundproblem des modernen Menschen ist ein Übermaß an freier Zeit, das scheint für Leute wie Robert Schmidt in besonderer Weise zu gelten. Man liegt vermutlich nicht zu weit daneben, wenn man hinter dem Pseudonym einen sozial schwierigen Menschen vermutet, dessen akademische Ausbildung nicht so weit geführt hat, wie er sich das einmal erträumte. Get a life, würde man in Amerika solchen Leuten zurufen. Aber das geht bei dieser Sorte Mensch naturgemäß an der Sache vorbei.
Werden wir von den entscheidenden Skandalen abgelenkt?
Man kennt den Typus aus dem Hausflur, wo er Zettel aufhängt, dass man seinen Kinderwagen nicht an der falschen Ecke abstellt. Oder der dafür sorgt, dass auch alle die Kehrwoche einhalten. Im Prinzip harmlose Zeitgenossen, die allerdings ziemlich anstrengend werden können, wenn sie sich von ihrer Umwelt zu sehr ermuntert fühlen. Pedanten neigen zur Rechthaberei, die schnell in Überwachung umschlägt. So gesehen kann man froh sein, wenn sich die Obsession auf etwas vergleichsweise Ungefährliches wie das Abzählen von Sätzen verlegt.
Das eigentlich Bemerkenswerte an vielen dieser Plagiatsgeschichten sind nicht die Funde, die einem die Plagiatejäger mit dem Stolz des Sündenphilatelisten präsentieren. Wirklich interessant ist die Aufwertung einer gesellschaftlichen Randgruppe, die bislang wenig Sozialprestige genoss. Das Internet ist nicht nur ein großer Gleichmacher, wie man sieht, sondern auch eine riesige Sozialisierungsmaschine. Man hat diese Transformation schon beim Streber erlebt, der als Nerd zu Aufmerksamkeit und Anerkennung kam. Oder dem Freak, vor dem sich in der Schule alle ein bisschen gegruselt haben und der heute eine respektable Existenz als Blogger führt. Nun also die Umdeutung des notorischen Aufpassers zum politischen Tugendwächter.
Mein Kollege Jakob Augstein hat eine interessante Theorie zu dieser Art von Kleinskandalen, die in großer Regelmäßigkeit aus dem Internet in die regulären Medien schwappen und dann dort ihre Runde machen. Ist es nicht denkbar, hat mich Augstein bei anderer Gelegenheit einmal gefragt, dass diese Ereignisse künstlich kreiert werden, um die Menschen davon abzuhalten, über die wirklich entscheidenden Skandale nachzudenken? Demnach wäre Robert Schmidt nur ein Agent des Systems, der mit seiner Tätigkeit für Ablenkung sorgt.
Ich weiß nicht, was von dieser Theorie zu halten ist. Aber sie passt in jedem Fall wunderbar zu dem verschwörungstheoretischen Ansatz, unter dem viele Plagiatejäger operieren.