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Sexismus-Debatte FDP spricht von Schlammschlacht gegen Brüderle

Deutschland debattiert über Sexismus, weil Rainer Brüderle eine "Stern"-Reporterin bedrängt haben soll. Nur für die Liberalen ist das kein Thema, stattdessen verbreiten Parteifreunde wilde Verschwörungstheorien. Nun ist der FDP-Spitzenkandidat erstmals seit dem Skandal öffentlich aufgetreten.

So viel Aufregung war lange nicht mehr bei den Freien Demokraten. Dutzende Kameraleute und Fotografen rangeln im Foyer eines Düsseldorfer Luxushotels um die besten Plätze, Gerüchte machen die Runde: "Er ist schon da." - "Er nimmt einen anderen Eingang." - "Er hat abgesagt."

Er ist Rainer Brüderle.

Selten war der Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag ein derart gefragter Mann wie in dieser Woche. Das liegt nicht unbedingt daran, dass der 67-Jährige seit Montag "Gesicht und Kopf" der Liberalen im aufziehenden Bundestagswahlkampf ist, sondern eher daran, dass ihm eine "Stern"-Redakteurin Sexismus vorwirft. So soll der Politiker die junge Frau vor einem Jahr in einer Hotelbar bedrängt haben ("Sie können ein Dirndl auch ausfüllen!"). Was also sagt Brüderle dazu?

Um Punkt 11 Uhr betritt der Politiker das Hotel, es ist sein erster öffentlicher Auftritt, seit sich eine breite Debatte darüber entwickelt hat, was mächtige Männer Frauen vielfach zumuten. Brüderle sieht müde aus, blass, doch er ringt sich ein Lächeln ab. "Guten Morgen", ruft er den Journalisten zu - und lässt sie einfach stehen. Mit schnellen Schritten zieht er an den Reportern vorüber. Dabei weicht Rainer Brüderle sonst nur selten Kameras aus.

Brüderle politisiert die Vorwürfe

Auch seine halbstündige Rede kommt fast ohne eine direkte Stellungnahme zu den Vorwürfen aus. Es geht um den Wahlerfolg in Niedersachsen, die Arbeit der schwarz-gelben Koalition in Berlin, um Europa und um seine Lieblingsgegner Peer Steinbrück und Jürgen Trittin - überhaupt um die grünen "Tugendwächter" und deren "Öko-Schickeria". Von dort ist es dann allerdings nicht mehr weit zu dem einzigen Satz, den sich Brüderle im weitesten Sinne zum Thema Sexismus erlaubt, er lautet: "Sie können uns schlagen, beschimpfen, mit Dreck bewerfen, aber sie können uns unsere Überzeugungen nicht nehmen."

Es ist ein schlauer Satz, weil er zweierlei bewirkt: Zum einen politisiert er die Vorwürfe. Nicht Brüderles mögliches Fehlverhalten als Mann ist nunmehr die Ursache des kritischen Berichts, sondern irgendeine angebliche rot-grüne Verschwörung in der Redaktion des "Stern", die der FDP insgesamt schaden will. Außerdem nimmt die Aussage sämtliche FDP-Mitglieder, die am Sonntag in Rekordzahl zum Neujahrempfang des nordrhein-westfälischen Landesverbands gekommen sind, in Mithaftung, Motto: Die da draußen sind gegen uns hier drinnen, liebe Freundinnen und Freunde, also lasst uns zusammenhalten!

Diesen Mechanismus des gleichsam sozialisierten Makels nutzt auch Guido Westerwelle in seiner Rede. "Wenn man an der Spitze steht", sagt er, "wird beim politischen Gegner und in einigen Redaktionsstuben kein Pardon gegeben." Auf diese Weise entstünden "Zerrbilder in den Medien", die "man nicht durchgehen lassen" dürfe. "Zunächst einmal sind wir alle Menschen." Was der Bundesaußenminister damit genau meint, sagt er nicht, er bleibt im Ungefähren: Dies werde ein harter Wahlkampf, und es werde nicht das letzte Mal sein, dass politische Gegner und Andersdenkende "ganz tief in den Schlamm greifen", so Westerwelle.

Auch Christian Lindner ergeht sich lediglich in Andeutungen. Er begrüßt Brüderle als "Garanten der ordnungspolitischen Tradition in der FDP" und bezeichnet ihn als "unseren Spitzenmann und Freund, hinter dem wir stehen".

Nur Wolfgang Kubicki nimmt Stellung

Erstaunlich ist, dass in Düsseldorf nicht ein Wort über den immer noch real existierenden Parteivorsitzenden Philipp Rösler verloren wird, kein einziger Redner erwähnt ihn. Bemerkenswert ist auch, wie die FDP eine gesellschaftliche Debatte, die sich am Verhalten ihres Frontmannes entzündet hat, konsequent ignoriert. Niemand mag sich - und sei es nur auf abstrakte Weise - zu dem zuweilen schwierigen Verhältnis der Geschlechter im Berufsleben äußern. Die einzige Frau auf dem Podium, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, Angela Freimuth, beschränkt sich auf Grußworte. Für eine Partei, der Bürgerrechte angeblich wichtig sind, ist das ein ziemlicher Offenbarungseid.

Lediglich der schleswig-holsteinische Politkkauz Wolfgang Kubicki traut sich, in der Öffentlichkeit deutliche Sätze zu dem Thema zu sagen. In der "Bild am Sonntag" bezieht der Kieler FDP-Fraktionsvorsitzende Stellung für Brüderle, seinen "Bruder im Geiste", wenngleich auf machistisch-markante Weise. "Hier soll ein Hoffnungsträger der FDP mutwillig beschädigt werden", so Kubicki. Eine Geschichte sei zu einem Skandal aufgeblasen worden, der keiner ist. Auf die Frage, was er denn von einem nächtlichen Klopfen an der Hotelzimmertür einer Journalistin halte, erwidert der Liberale sogar: "Wenn man nicht eingeladen ist, würde ich das für unangemessen halten. Ein Skandal wäre es aber auch nicht."

Als Rainer Brüderle gegen Mittag den Saal des Hotels verlässt, strecken sich ihm zahlreiche Hände entgegen. Es sind vor allem Männer in Brüderles Alter, der sich nach eigenen Angaben "in der mittleren Phase" seines Lebens befindet. Die Parteifreunde raunen Aufmunterndes und klopfen dem Stargast auf die Schultern.

Dann, kurz vor dem Ausgang, tritt eine Frau Brüderle in den Weg: Kostüm, dunkle Haare, teurer Schmuck. Sie will sich mit ihm fotografieren lassen und wird hinterher schwärmen, der Fraktionschef sei ein "wunderbarer, bodenständiger Mensch".

Doch als die Dame ihren Arm um Brüderles Hüfte legt, zuckt der zurück. Dieses Bild, das weiß der Spitzenpolitiker, muss unbedingt züchtig bleiben.

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