
FDP-Wahlkampf: Aufsteiger Lindner, Rückkehrer Westerwelle
FDP-Plakataktion Was Westerwelle unter Gerechtigkeit versteht
Berlin - Kürzlich zeigte sich Guido Westerwelle zerknirscht. Da ging es, wieder einmal, um seine alte Bemerkung von der "spätrömischen Dekadenz". Einst hatte er damit als Parteivorsitzender in der Debatte um Hartz IV für Empörung gesorgt. Seitdem wird Westerwelle die Bemerkung nicht mehr los. "Darüber gräme ich mich heute noch. Ich habe nicht Menschen kritisiert, die ein schweres soziales Schicksal haben", sagte er jüngst in einem Interview.
Die Wandlung des Guido Westerwelle werden demnächst auch Wähler in Nordrhein-Westfalen bemerken. Der Landesverband der FDP wird mit einer eigenen Plakataktion für seinen Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf eingreifen. Das Hauptmotiv ist zumindest für jene überraschend, die sich nicht täglich mit der FDP beschäftigen: Westerwelle wirbt mit dem Slogan "Gerechtigkeit statt Umverteilung".
Vorbei die alten Zeiten - kein "Mehr Netto vom Brutto" oder "Arbeit muss sich wieder lohnen" wie noch 2009. Diesmal ist das Großthema der kommenden Monate, um das sich alle Parteien drängeln - "Gerechtigkeit". Auch in den blau-gelben Farben der Liberalen. Mit dem Slogan von der "sozialen Gerechtigkeit", wie ihn die SPD gerne benutzt, hat das nichts zu tun.
"Gerechtigkeit" ist die neue Position zu Lohnuntergrenzen
Dennoch: Die FDP des Jahres 2013 kommt sanfter daher. Der nordrhein-westfälische FDP-Landes- und Fraktionsvorsitzende Christian Lindner sagt es so: "Nicht mehr Geld führt zu mehr Gerechtigkeit und auch nicht mehr Umverteilung zu mehr Chancen." Den Liberalen gehe es um "Leistungs- und Chancengerechtigkeit". Der Slogan "Gerechtigkeit statt Umverteilung", sagt er, "das ist genau Westerwelle".
Die FDP macht sich fit für den Wahlkampf. Unter "Gerechtigkeit" kann dann auch die künftige Neujustierung bei den Mindestlöhnen fallen. Auf dem Bundesparteitag Anfang Mai in Nürnberg wollen die Liberalen einen Beschluss zu regional- und branchenspezifisch differenzierten Lohnuntergrenzen verabschieden. Westerwelle selbst hatte die - intern noch umstrittene - Wandlung kürzlich mit der Bemerkung begründet, Leistungsgerechtigkeit zeige sich auch in angemessener Bezahlung von Arbeit. Die FDP Lindners in Nordrhein-Westfalen will auch da einen deutlichen Akzent setzen: Am Wochenende wird sie auf ihrem Landesparteitag einen eigenen Leitantrag zu Mindestlöhnen verabschieden.
Der größte Landesverband in der FDP demonstriert Selbstbewusstsein. Am Donnerstag stellte Parteichef Lindner die Plakataktion für Westerwelle, die überwiegend aus Kleinspenden finanziert werden, und deren Höhe noch nicht genau taxiert werden kann, einer Runde von Journalisten im Prominenten-Café Einstein in Berlin vor.
Der 34-Jährige, der einst als Generalsekretär zurückgetreten und im Mai 2012 seine politische Wiederauferstehung in der FDP mit einem Erfolg bei der NRW-Landstagwahl feierte, ist seit kurzem auch einer von drei FDP-Vizes im Bund. Die Westerwelle-Plakataktion, sagt Lindner mit Blick auf die Bundeszentrale, sei "nicht vom Thomas-Dehler-Haus abgezeichnet worden, das halte ich auch nicht für erforderlich". Aber die Bundesführung kenne die Überlegungen und habe sie "gebilligt". Im Übrigen: Parteichef Philipp Rösler freue sich darauf, "sich mit uns in die Riemen legen zu können".
Westerwelles Rückkehr in die Innenpolitik
Die FDP, nach langer Durststrecke und nach einem geglückten Parteitag im März in den Umfragen bei sechs Prozent, will vor allem eines: Geschlossenheit. Und so vermeidet Lindner den Eindruck, er wolle mit dem Westerwelle-Plakat der Bundespartei Konkurrenz machen. "Das ist eine eigene Kampagne, nicht in Ersetzung, sondern in Ergänzung", betont er.
Eines aber ist klar: Westerwelles Rückkehr auf die innenpolitische Bühne ist mit dem Plakat nun auch fotografisch dokumentiert. Erst kürzlich hatte der Außenminister sein verstärktes Engagement im Bundestagswahlkampf angekündigt - nach zwei Jahren, in denen er sich nach seinem Rückzug von der Parteispitze auf die Außenpolitik konzentriert und langsam aus dem persönlichen Umfragetief herausgearbeitet hatte.
Die Konzentration aufs Amt hat sich ausgezahlt. Westerwelle hat das Schlusslicht bei den Beliebtheitswerten der Bundes-Spitzenpolitiker schon lange abgegeben, er liegt im ARD-Deutschlandtrend 13 Prozentpunkte vor SPD-Kandidat Peer Steinbrück. In diesen Tagen vergessen sie bei der FDP nicht, auch darauf hinzuweisen.