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FDP in der Hauptstadt: Partei am Abgrund

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FDP-Krise Trostlos in Berlin

Nirgends ist der Niedergang der FDP besser zu beobachten als in der Hauptstadt. Zweieinhalb Wochen vor den Wahlen dümpelt die Partei in Berlin bei drei Prozent, noch hinter den Piraten. Spitzenkandidat Meyer kämpft auf verlorenem Posten. Auf den Spuren des liberalen Abschwungs.

Berlin - Christoph Meyer hat Geburtstag. Er wird an diesem Dienstag 36 Jahre alt. Eigentlich sollte er sehr glücklich aussehen. Aber Meyer ist der Spitzenkandidat der Berliner FDP. Derzeit hat er wenig Grund zum Feiern.

Die Lage der Liberalen in der Hauptstadt ist verheerend, ausgerechnet hier droht der Partei bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. September der Auszug aus dem Parlament.

Meyer will sich jetzt den Bürgern stellen, er kommt im tadellos sitzenden Anzug. Der Berliner "Tagesspiegel" hat im Verlagshaus zur Diskussionsrunde geladen. Es sind fast nur ältere Menschen hier. Sie sehen sehr kultiviert aus, Männer mit sorgfältig frisierten weißen Haaren, Frauen mit geblümten Blusen sitzen im Publikum. Es ist still im Raum. Eine Frau blättert in einem Kochbuch. Bestes Bildungsbürgertum.

Meyer, studierter Jurist, ist weitgehend unbekannt in der Stadt. Sein Vorgänger als Fraktionschef, Martin Lindner, war zwar umstritten in der Partei - sorgte aber mit seinen polemischen Attacken auch für Aufmerksamkeit. Meyer dringt kaum durch.

Die erste Frage der Moderatoren hat gleich mit Außenminister Westerwelle zu tun. Gerd Nowakowski, Lokalchef vom "Tagespiegel", sagt: "Als Spitzenkandidat der FDP sind sie nicht zu beneiden." Ob Westerwelle zur Belastung werde?

Meyer erwidert: "Ich gehe davon aus, dass die Debatte uns nicht genutzt hat". Meyer hatte im Frühjahr selbst angeregt, dass Westerwelle mit dem Parteivorsitz auch das Außenministerium abgeben solle. Er hat kein Gehör gefunden in seiner Partei. Jetzt muss er sich arrangieren, auf ein Ende der Debatte hoffen. Es sind nur noch zweieinhalb Wochen bis zur Wahl.

Kritik an der Plakatkampagne

Nirgends ist der Niedergang der FDP besser zu beobachten als in der Hauptstadt. Neue Umfragen sehen die Partei bei drei Prozent. Das ist schon gut, davor lag die FDP in einigen Befragungen sogar nur bei zwei Prozent. Zum Vergleich: Die Piratenpartei wollen 4,5 Prozent der Interviewten wählen.

Was der FDP in Berlin abhanden gekommen ist? Ein gemeinsames Projekt. Vor drei Jahren noch zimmerte der damalige Fraktionschef Lindner an einer Jamaikakoalition mit der CDU - unter dem damaligen CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, der schließlich von der eigenen Partei gestürzt wurde - und den Grünen. Die FDP erzielte Rekordergebnisse, während die Union durch den Bankenskandal erschüttert wurde.

Heute ist das Verhältnis zwischen CDU und FDP zerrüttet - Unions-Spitzenkandidat Frank Henkel sagte im "Focus". "Wenn es die FDP nicht wieder in das Abgeordnetenhaus schaffen würde, wäre es bei diesem Personal kein Verlust". Und: "Diese Yuppie-Boygroup braucht in Berlin niemand." Ein brutaler Kampf um das bürgerliche Lager ist entbrannt, wie es ihn zwischen beiden Parteien kaum jemals gegeben hat. Die FDP sieht dabei wie der sichere Verlierer aus.

Auch in der Bundespartei gibt es Kritik an den Berliner Liberalen. Aus FDP-Kreisen heißt es, man sei skeptisch über die Wirkungskraft der Plakatkampagne. "Die neue Wahlfreiheit" steht drauf. Das wirkt wie eine Distanzierung von der Bundespartei. Die Texte auf den Plakaten sind lang - die Botschaften verschwurbelt, abgehoben. Auf einem Schild steht unter der Frage, was die FDP unter Integration verstehe: "Wir meinen, dass es eine nette Geste ist, in Paris nach Croissants statt nach Schrippen zu fragen."

Die Peinlichkeiten des Guido Westerwelle, dazu noch hausgemachte Probleme - Die FDP hat sich in der Bundespolitik zerlegt - in der Hauptstadt manifestiert sich ihre Auflösung.

"Die FDP wird zerrieben"

Dabei gibt es eine durchaus typische FDP-Klientel in Berlin, Selbständige, obere Mittelschicht. Leute wie Mathia Specht-Habbel, 54 Jahre alt, drei erwachsene Söhne, Diplom-Ingenieurin und tätig in einer "Hausverwaltung", wie es in ihrem Steckbrief steht. Specht-Habbel macht seit vielen Jahren Kommunalpolitik, seit 26 Jahren ist sie FDP-Mitglied. Jetzt kandidiert sie zum ersten Mal im Bezirk Steglitz-Zehlendorf für das Abgeordnetenhaus. Eine elegante Erscheinung, rotblonde Haare, weiße Hose, cremefarbender Rolli, schwarze Lackballerinas.

In letzter Zeit, sagt Specht-Habbel, werde sie von den Leuten auf der Straße öfter angesprochen, ob es sich überhaupt noch lohne, die FDP zu wählen. Die Wähler seien zu wenig an den Berliner Themen interessiert. Wenn man ihnen sage, dass immer mehr Autos brennen würden, dann antworteten die Leute: "Aber doch nicht mein Auto". Aber bezahlen müssen das ja alle, sagt Specht-Habbel dann.

Die Kandidatin beklagt den Umgang mit ihrer Partei. Sie könne sich nur wundern über so viel Häme, Häme von Journalisten, vom politischen Gegner. Specht-Habbel sagt Sätze wie: "Wäre am Wochenende in Amerika mehr Wind gewesen, wäre Westerwelle kein Thema gewesen."

Das Problem ist, dass der Zustand der FDP in Berlin mit der Häme allein nicht zu erklären ist.

Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, sagt: "Die Situation in Berlin ist total atypisch". Die große Unzufriedenheit der Berliner, mit der S-Bahn, mit den Schulen, mit dem Verkehr, müsste eigentlich zu einem katastrophalen Ergebnis für Wowereit führen - aber in Berlin spiele diese kommunale Ebene eine sehr geringe Rolle. Viel größer sei die "weltstädtische Komponente", die Berliner wollen sich auf einer Ebene mit Paris, London und New York sehen. Güllner sagt: "Die FDP wird dazwischen zerrieben - sie passt in die Weltstadtebene nicht rein, auf der kommunalen hat sie sich nicht mit Lösungen hervorgetan." Die FDP werde nicht wahrgenommen.

"Zertrümmert von der Parteiführung"

Spitzenkandidat Meyer hat in der Diskussionsrunde nur einen Satz zu Westerwelle gesagt. Dann spricht er über den Ausbau der Stadtautobahn A100, über die Umweltzone in Berlin, die nicht viel Sinn mache. Stattdessen solle es "Biofilter" geben, Bäume und Büsche am Straßenrand. Er kritisiert die hohe Staatsquote in Berlin, die fast "sozialistischen Verhältnisse" und warnt vor einer Neuauflage von Rot-Rot - das könne mit einer starken FDP verhindert werden. Er spricht über den Aufschwung, der jobmäßig an Berlin vorbei gegangen sei. Über Gentrifizierung - die er lieber "die Aufwertung von Stadtteilen durch privates Kapital" nennt.

Meyer spricht leise, ruhig, sachlich, er kennt sich gut aus in Berlin. Es ist ein Anti-Westerwelle-Sound. Aber auch der hilft nicht.

Ein Mann steht auf, ein "kritischer Bürger" sei er, sagt er. "Ihre ganzen tollen Ideen werden doch zertrümmert von der Parteiführung dort oben. Sie sind mit Ihrem Engagement in Berlin zu bedauern. Das ist die Tragik, die über Ihrer Partei in Berlin liegt."

Langsam verlassen auch Meyers letzte Zuhörer den Raum beim "Tagesspiegel". Auch Berliner Prominenz ist dabei, wie der ehemalige Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz, der einst Ankläger im Prozess gegen Egon Krenz war. Jahntz trat vor 22 Jahren in die FDP ein, sein Austritt wird zum 30. September wirksam. "Der Zustand der Partei ist ein Jammer", sagt Jahntz.

Maximale Trostlosigkeit.

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