
Schlappe für FDP: Röslers ernste Stunde
FDP-Neustart Die entkernte Partei
Berlin - Philipp Rösler sitzt im FDP-Präsidium. Hinter ihm hängt ein eingerahmtes Wahlplakat. "Chancen für morgen" steht darauf. Es umschreibt ziemlich präzise den Zustand der Liberalen: Die Gegenwart ist trostlos. Nach der Schlappe in Mecklenburg-Vorpommern ist die Partei ratloser denn je. Herausgewählt aus dem Landtag in Schwerin, bald möglicherweise auch aus dem Abgeordnetenhaus in Berlin.
Die FDP wirkt wie eine Partei ohne Kern: Ihr fehlen nicht nur Wähler, sondern Selbstbewusstsein, eine Idee, eine Vision.
Der Neuanfang, der nach der Ablösung von Guido Westerwelle im Mai mit Rösler erfolgen sollte, lässt auf sich warten. "Allen ist klar, dass wir an der Schicksalsgrenze sind", raunt ein FDP-Präsidiumsmitglied am Montag, nach den Gremiensitzungen. Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, für seine schonungslose Ehrlichkeit gefürchtet, hat schon am Wahlabend via "Leipziger Volkszeitung" den Zustand der Liberalen erbarmungslos beschrieben: Man habe kein Westerwelle-Problem, als Marke habe die FDP momentan "generell verschissen", das sei die Meinung der Bürger.
FDP-Parteichef Rösler redet die Niederlage im Thomas-Dehler-Haus auch nicht schön, er spricht von einem "bitteren Ergebnis". Er stellt fest, er wolle nichts abschieben, deswegen sei er "für all das selbstverständlich verantwortlich." Doch die Begrifflichkeit Kubickis würde er sich "nie anmaßen", sagt er, der Markenkern der FDP bleibe ihre Wirtschaftskompetenz.
Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. "Es wird nicht von Heute auf Morgen gehen, Vertrauen zurückzugewinnen", glaubt der 38-jährige Wirtschaftsminister und Vizekanzler.
Drei Monate ist er nun im Amt, in der Partei gibt es bereits Unmut über ihn. Auf die Frage, für welche Position Rösler stehe, giftet Kubicki: "Auf diese Frage kann ich keine vernünftige Antwort geben." Eineinhalb Wochen vor dem Urnengang in Schwerin hatte Rösler den Außenminister und Ex-Parteichef Westerwelle wegen seiner Libyen-Äußerungen zur Ordnung gerufen, darauf folgte prompt eine Personaldebatte um die weitere Zukunft des früheren FDP-Frontmannes. In den Gremien wurde Kritik an der Debatte laut: "Man hat sich darauf beschränkt- sie war nicht gut für die Partei, umso besser, dass sie beendet ist", fasst Rösler die Stimmung zusammen. Er verteidigt sein Eingreifen in Sachen Libyen, sagt aber auch, durch eine Personaldebatte habe man sich zehn Tage vor der Wahl die Chance auf einen Erfolg "zum Teil selbst zunichte" gemacht. Das klingt nach Selbstkritik.
Nun regiert die Parteidisziplin - zumindest zwischen ihm und seinem Vorgänger. Der Außenminister verkündete im "Bonner Generalanzeiger", dass der FDP-Vorsitzende den Kurs der Partei maßgeblich bestimme, sei selbstverständlich: "Das war bei mir so, das ist auch beim neuen Vorsitzenden so, der meine volle Unterstützung hat", so Westerwelle.
FDP-Vize Zastrow droht der Kanzlerin mit Koalitionsbruch
Am 18. September wird in Berlin gewählt, in Umfragen kommt die FDP bislang nicht über die Fünf-Prozent-Hürde. In der Partei wissen sie, dass die Aussichten an der Spree nicht rosig sind, zumal die Plakatkampagne der Berliner nicht gerade in der Bundespitze auf Wohlgefallen stieß. Mit dem Slogan "Die neue Wahlfreiheit" wirkt sie wie eine Distanzierung von der Mutterpartei.
Rösler denkt schon über Berlin hinaus. Nach den Wahlen in der Hauptstadt will er dem FDP-Bundesvorstand Vorschläge unterbreiten, wie "die Ausrichtung aussehen muss". Das klingt entschieden, nach einem neuen Vorsitzenden, der offenbar das Image des "netten Herrn Rösler" abstreifen will, das ihm in der Öffentlichkeit anhängt. Am Tag nach dem Wahldebakel erklärt er auch die Steuerfrage, das Heiligtum der Ära Westerwelle, zu einem "Thema von vielen anderen". Haushaltskonsolidierung und Entlastung gehörten zusammen.
Rösler sucht nach einer Klammer für die verunsicherte Partei, sein Stichwort lautet:"Neue Bürgerlichkeit". Er werde deutlich machen, dass es einen Unterschied gebe zwischen "bürgerlich und spießbürgerlich". Doch was versteckt sich unter dem Schlagwort? Rösler bleibt vage, ihm schwebt unter anderem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor. Manche wollten das mit ihren Vorschlägen konterkarieren, sagt er und deutet damit indirekt in Richtung CSU, wo weiter der Plan eines Betreuungsgeldes für Mütter hochgehalten wird, die zu Hause ihre Kinder erziehen wollen.
Im Herbst, so haben es der FDP-Chef und die Kanzlerin vereinbart, wollen Union und FDP Ergebnisse erarbeiten, wie und in welcher Höhe die steuerlichen Entlastungen wirken sollen. Stichtag ist der 1. Januar 2013. Es ist ein Überbleibsel aus der Ära Westerwelle, aber eines, an dem viele in der FDP hängen. So Parteivize Holger Zastrow, Fraktions- und Landeschef in Sachsen, der den Wirtschaftsflügel in der FDP repräsentiert.
Er hat schon einmal klar gemacht, dass seine Geduld mit der schwarz-gelben Koalition im Bund ein Ende haben könnte. "Wenn die FDP die Entlastung unserer Berufstätigen mit dieser Kanzlerin und diesem Finanzminister nicht durchsetzen kann, müssen wir Konsequenzen ziehen. Dann geht das nicht mehr mit der Union", sagt er der Onlineausgabe der "Süddeutschen Zeitung". Das war eine deutliche Ansage.
Es klang wie ein Weckruf - auch an die Adresse Röslers.