FDP und die Schlecker-Pleite Röslers riskante Operation Rückgrat

FDP-Chef und Vizekanzler Rösler: Kritik von allen Seiten
Foto: REUTERSBerlin - Die FDP kann froh sein, dass Horst Seehofer gut geschlafen hat. Sonst hätte Bayerns Ministerpräsident sich am Freitag womöglich zu radikalen Schritten hinreißen lassen - zu Lasten der Liberalen. "Das kommt auf meine Nachtruhe an", hatte Seehofer am Abend zuvor gegrollt, als Reporter ihn fragten, wie er auf den Affront des Koalitionspartners im Fall Schlecker reagieren wolle. Es klang so, als stünde das schwarz-gelbe Bündnis auf der Kippe.
Ganz so schlimm sieht es am Tag danach nicht mehr aus. Was nicht bedeutet, dass der Ärger über die FDP verflogen ist. Von Seehofer ist vorerst nichts zu hören, aber die Kritik prasselt trotzdem von allen Seiten auf die Liberalen ein. Die Freien Demokraten wehren sich, für sie ist das Nein zur Schlecker-Hilfe ordnungspolitisch geboten. Doch hinter der harten Linie steckt mehr: Sie ist Teil der Strategie, mit der Parteichef Philipp Rösler verzweifelt versucht, der dahinsiechenden FDP endlich wieder Leben einzuhauchen. Mehr Selbstbewusstsein, mehr Glaubwürdigkeit, mehr Rückgrat - so lautet die Losung. Es ist eine riskante Operation.
Bayerns FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil hatte mit seinem Nein zu einer Kreditbürgschaft am Donnerstag die Schlecker-Transfergesellschaft scheitern lassen - mit Rückendeckung der liberalen Bundesspitze. 11.000 Mitarbeiter der Drogeriemarktkette, überwiegend Frauen, stehen damit vor der Arbeitslosigkeit. Ein "Skandal gegenüber den Menschen" sei das, zürnt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD). Im Bundestag wirft die Opposition den Liberalen "ein ganz kaltes Herz" vor. Auch aus der Union kommt nicht nur CSU-Kritik. "Die FDP wollte ordnungspolitisch den strammen Max machen", sagt der Chef des CDU-Sozialflügels, Karl-Josef Laumann. "Von Herzen" hätte er den Schlecker-Frauen eine Transfergesellschaft gewünscht.
Strategisch motiviertes Nein zur Schlecker-Hilfe?
Die FDP lässt die Kritik an sich abprallen. Auf allen Ebenen wird das Schlecker-Nein verteidigt. Dass die Kommentarlage ziemlich verheerend ausfallen würde, damit hatte man gerechnet. Online-Umfragen und auch die Leser-Mails bei SPIEGEL ONLINE zeigen allerdings ein ausgewogeneres - wenn auch nicht repräsentatives - Bild.
Ohnehin ist für die FDP viel wichtiger, dass die Partei zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen klare Kante gezeigt hat: Erst bei der Präsidentennominierung, als die FDP den Kandidaten Joachim Gauck bei der Kanzlerin durchsetzte, dann die konsequente Neuwahl-Haltung in NRW. Und nun der Widerstand gegen die Schlecker-Bürgschaft - als Rückbesinnung auf alte ordoliberale Werte. Bei dieser Entscheidung seien sich alle einig gewesen, heißt es aus der Parteiführung.
Selbst Wolfgang Kubicki, der ewige Widerborst aus Kiel, schießt diesmal nicht quer. Als Spitzenkandidat soll er die Liberalen bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein über die Fünf-Prozent-Hürde hieven - noch fehlen ein, zwei Prozentpünktchen. Kubicki braucht jetzt vor allem eines: Rückenwind. Ob den die Parteifreunde mit ihrem Nein zur Schlecker-Bürgschaft erzeugt haben? Kubicki hat jedenfalls nichts an ihrer Entscheidung auszusetzen, er nennt sie "nachvollziehbar".
In führenden Partei- und Fraktionskreisen der FDP wird zwar zurückgewiesen, dass das Nein vor allem strategisch motiviert gewesen sei. Und doch stellen sich viele die Frage, ob es den Liberalen bei den anstehenden Wahlen in Kiel und Düsseldorf helfen wird.
Demoskopen wie Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner machen der FDP durchaus Hoffnung. Eine Zustimmung der FDP zur Schlecker-Auffanggesellschaft hätte bei all denen Frust erzeugt, die von der Politik keine Hilfe erhalten würden, sagt Schöppner. Der Meinungsforscher hält es deshalb durchaus für möglich, dass die harte Linie der FDP strategisch helfen könnte - auch um sich von der CDU abzugrenzen. "Die CDU ist ordnungspolitisch inzwischen so vage, dass sich ein Teil der ehemaligen christdemokratischen Stammwähler nicht mehr wiederfindet. Und genau dieses Klientel könnten die Liberalen mit ihrer klaren Haltung ansprechen." Schöppners Vermutung: "Wenn dadurch neues Vertrauen in die FDP entsteht, könnte es für die ein, zwei Prozentpunkte reichen, die für den Einzug in die Landtage von Schleswig-Holstein und NRW fehlen."
Merkel auf Röslers Seite - oder doch nicht?
Sein Kollege Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, ist da deutlich zurückhaltender. "Man sollte das nicht überbewerten", sagt er mit Blick auf mögliche FDP-Gewinne beim Wähler durch das Schlecker-Manöver: "Die Wahrnehmung der FDP ist langfristig in den Keller gegangen, sie wird deshalb nicht kurzfristig wieder steigen."
Emnid-Chef Schöppner sieht in Sachen Schlecker ein anderes Problem für die Liberalen. "Die FDP darf nicht zu kalt wirken." Denn Kaltherzigkeit kommt beim Wähler nicht gut an und wird von der politischen Konkurrenz gerne aufgegriffen. Genau wie jetzt. Ausgerechnet Parteichef Rösler hat dafür die beste Vorlage geliefert - mit seiner Aufforderung an die Schlecker-Frauen, "schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden". Herzloser kann man es kaum ausdrücken. Dem Vernehmen nach ist Rösler am Tag darauf selbst nicht mehr glücklich mit seinen Worten - aus der Welt kriegt er sie so leicht aber nicht mehr.
Die Kanzlerin versucht am Freitag, die Wogen zu glätten. Kritik an Rösler vermeidet Angela Merkel explizit. Für kurze Zeit sieht es sogar so aus, als würde sie sich auf Röslers Seite schlagen. So zumindest werden die Worte ihres Regierungssprechers Steffen Seibert gedeutet, der am Vormittag zunächst ausrichtet: "Es gibt Gründe für eine Transfergesellschaft, und es gibt sehr gute Gründe dagegen." Wenig später wird nachjustiert. Man habe keine qualitative Unterscheidung machen wollen. "Für beide Optionen hätte es gute Gründe gegeben", sagt Sprecher Seibert jetzt.
Die Botschaft wäre beinahe daneben gegangen. Tatsächlich hätte sich auch Merkel eine Transfergesellschaft vorstellen können. Offiziell will sie sich aber weder von Rösler noch von Seehofer absetzen. Die Kanzlerin sucht die Mitte. Um des lieben Friedens Willen.