
Feminismus: Femen-Proteste in Deutschland
Femen in Deutschland Blank
Hamburg - Für einen Moment sah es aus, als ob Femen in der etablierten Politik ankommt. Die Aktivistin Josephine plauderte mit der gastgebenden SPD-Abgeordneten, nur einen Platz weiter saß Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Und als der die paar Schritte zum Podium ging, rückte Femen-Frau Zana die Brille zurecht, ihre Mitstreiterin Hellen klatschte höflich.
Zehn Minuten später, Scholz sprach gerade über "das Prinzip der Gleichmäßigkeit und Rechtmäßigkeit" in der Flüchtlingspolitik, rissen sich die drei Frauen dann doch ihre Blusen vom Leib, sie liefen auf den Bürgermeister zu, rangelten mit den Bodyguards, schrien immer wieder "Schäm dich, Scholz!". Auf ihre Brüste hatte sich Hellen "Scholz abschieben" pinseln lassen, auf den Rücken "Stop Racism". Es blieb Protestroutine nach Femen-Art.
In dieser Woche schaltete sich Femen also auch in den Hamburger Flüchtlingsstreit ein. Seit einem Jahr gibt es einen deutschen Ableger der Oben-oben-Kämpferinnen aus der Ukraine. Die Frauen aus Berlin und Hamburg sorgten für Streit, befeuerten die Feminismusdebatte. Sie attackierten Wladimir Putin in Hannover, stürmten die "Topmodel"-Show von Heidi Klum, zogen vors Kanzleramt und über die Reeperbahn.
Die erste Aktion in einem Hamburger Ikea-Haus im Oktober 2012 (sehen Sie hier die Femen-Aktionen in Deutschland) landete nur in der Lokalpresse. Doch nach der Aktion gegen Scholz lachten die drei Feministinnen beim Bier in einem Thai-Imbiss darüber, dass Scholz' Bodyguards sie bereits erkannt hatten. Deutschland hat sich an Femen gewöhnt. Das ist ein Erfolg, vor allem aber ein Problem.
Die deutschen Aktivistinnen, zurzeit sind es ein gutes Dutzend, wollen sich treu bleiben. Dabei müssten sie sich vielleicht etwas einfallen lassen. Andere Feministinnen verfluchen ihren Protest seit langem. Neu ist jedoch, dass die Proteste nach Schema F zunehmend auch diejenigen ermüden, die Femen nicht von vornherein Einfältigkeit, Religionshass, Geschichtsvergessenheit unterstellen. Femen droht die Schublade "Ach, die schon wieder".
Und so lesen sich auch die Glückwünsche zum einjährigen Geburtstag in dieser Woche. Bloggerin Antje Schrupp twitterte, Femen sei "schon wieder durch". Autorin und SPIEGEL-ONLINE-Kolumnistin Sybille Berg schrieb : "Wenn Femen demnächst auch für Spritpreissenkung und Obstpreise in Island die Brust freilegt, könnte es sein, dass sich der Stauneffekt abnutzt."
"Wir schaffen internationale Aufmerksamkeit"
Ohne Aufmerksamkeit und Schlagzeilen läuft das Prinzip Femen allerdings ins Leere. Nach der Scholz-Aktion schauten die Frauen (sofort nachdem die Polizei sie wieder freigelassen hatte) auf ihren Handys nach, wer über die Aktion schon berichtet hatte. Ihre Mission beschreiben sie mit Gerechtigkeit und Öffentlichkeit. "Wir wollten dem Mann, der für die rassistischen Kontrollen in Hamburg verantwortlich ist, ins Gesicht sagen, er solle sich schämen", sagt Aktivistin Hellen Langhorst. "Und wir verschaffen dem Flüchtlingsproblem international Aufmerksamkeit."
Femen hat sich in der Protestroutine eingerichtet. Journalisten bekommen vor einer Aktion Bescheid. Kommt es zur Anzeige wegen Hausfriedensbruchs oder Beleidigung, wird das Verfahren oft wieder eingestellt.
Die Frage ist, ob es der Sache hilft. Am Verdruss dürften auch Berichte schuld sein, dass hinter der ukrainischen Femen-Mutterzelle in Wahrheit ein Mann stand, der die Mädchen zum Nacktprotest angestachelt haben soll. Wer Femen ohnehin nie ernst nahm, konnte sich bestätigt fühlen. Dazu wollen die deutschen Femen-Frauen nicht viel sagen. Josephine Witt macht es knapp: "Kann sein, dass er das Zepter mal kurzzeitig in der Hand hatte." Die deutschen Frauen betonen, dass sie sich unabhängig gegründet hätten, nur eine von ihnen habe überhaupt mit dem Mann telefoniert.
Auch am heftig kritisierten Protestausflug einer Aktivistin nach Tunesien will Femen keine Zweifel aufkommen lassen. Josephine Witt, die nach dem Nacktprotest für eine tunesische Aktivistin vier Wochen im Gefängnis in Tunis einsaß, sagt, sie bereue nichts. Die Zeit sei hart gewesen, aber sie sei stolz auf die Aktion. "Ich wollte weg vom Couch-Potato-Feminismus", sagt sie, "das habe ich mit Femen geschafft." Und: "Der Kampf geht weiter."
Handbemalte Femen-Beutel, 15 Euro das Stück
Dafür brauchen die selbsternannten Sextremistinnen nun Geld. Die deutsche Femen-Gruppe besteht vor allem aus Studentinnen, und Kampf gegen das Patriarchat muss finanziert werden. Es geht um Fahrt- und Trainingskosten. Auf einem Spendenkonto, das die Frauen im Sommer einrichteten, tut sich wenig. Bislang sind weniger als 300 Euro eingegangen.
Mit Merchandising wollen sich die Femen-Frauen jetzt finanzieren. Sie bemalen eigenhändig Jutebeutel, so lautet das Konzept, sechs Femen-Sprüche (etwa "Fuck Your Morals") stehen zur Auswahl, das Stück kostet 15 Euro plus Versand. Das Material sei "Fair Trade", betonen sie, der Rücklauf sei gut, aber konkrete Zahlen habe man nicht.
Wem schon immer schwante, Femen sei eine Marketing-Erfindung, darf wieder aufhorchen. Die Aktivistinnen sehen es pragmatisch. So könnten Anhänger die Truppe auch sichtbar unterstützen. Busenabdrücke, wie sie im Webshop der ukrainischen Gruppe für 70 Dollar zu haben sind, planen die deutschen Feministinnen nicht.