Albert Scherr

Streit über Regierungsbeauftragte Ataman Das ist eine Kampagne

Albert Scherr
Ein Gastbeitrag von Albert Scherr
Ferda Ataman wird diskreditiert, um die Besetzung der Antidiskriminierungsstelle mit einer Person zu verhindern, die sich zutraut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.
Ferda Ataman

Ferda Ataman

Foto: Metodi Popow / IMAGO

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Die Leitung der Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes war seit 2018 vakant – ein Umstand, der in den zurückliegenden Jahren niemanden wirklich gestört hat. Die Neubesetzung sollte also keine allzu spektakuläre Angelegenheit sein, konnte man bis vor Kurzem glauben. Unspektakulär, weil es sich um eine Fachbehörde mit einem gesetzlich definierten Auftrag handelt. Und anders als noch in den Neunzigerjahren ist inzwischen auch weithin anerkannt, dass Forschung und fundierte Berichterstattung über Diskriminierung sowie die Beratung Betroffener wichtige, staatlich zu erbringende Aufgaben sind.

Diese Einschätzung hat sich nunmehr als ein Irrtum erwiesen. Die Resonanz der polemischen, zum Teil leider auch denunziatorischen Kritiken an Ferda Ataman, der designierten Leiterin der ADS, ist in den Printmedien und den sozialen Medien erstaunlich groß. Dabei konzentriert sich die Berichterstattung vor allem auf Kritik an ihrer Person, während die breite Unterstützung durch migrantische Selbstorganisationen, Antidiskriminierungsverbände und andere kaum Erwähnung findet.

Die Kritik fokussiert einzelne Tweets oder Kolumnen, Preise, die ein Verein vergeben hat, in dem sie ehrenamtlich wirkt, oder Themen, zu denen sich Ataman angeblich zu wenig geäußert habe. Fast nirgends geht es um das, worum es vor allem gehen müsste: die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die Erfordernisse der Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorgaben und einer verbesserten Ausstattung der Institution.

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wenig überraschend ist dabei, dass Medien aus dem konservativen Spektrum oder mit populistischer Ausrichtung eine Kampagne gegen eine Frau mit Migrationshintergrund in Gang gesetzt haben, die sich deutlich gegen Selbstzufriedenheit mit den Verhältnissen in Deutschland, gegen national gefärbte Heimatkonzepte und Islamfeindlichkeit positioniert hat. Zweifellos tat sie das gelegentlich auch mit polemischer Zuspitzung, gleichwohl aber durchgängig sachlich fundiert. Irritierender ist, dass die »Neue Zürcher Zeitung« die geplante Stellenbesetzung in den Kontext einer vermeintlichen Umwandlung des zuständigen Ministeriums in eine »Agitationszentrale der Grünen« setzt. Dass dann auch noch die »Süddeutsche Zeitung«  in diese Kampagne eingestimmt hat und Ferda Ataman dort pathologisierend als »streitsüchtig« etikettiert wird, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es um mehr geht als die angeblichen rhetorischen Verfehlungen, die ihr vorgeworfen werden: Es scheint vielmehr darum zu gehen, eine Antidiskriminierungspolitik infrage zu stellen, die sich nicht allein mit offenkundigen Vorurteilen, sondern umfassender mit der gesellschaftlichen Verbreitung und den Ursachen von Diskriminierung auseinandersetzt.

Ferda Ataman steht für eine solche Position, und ihr wird deshalb die Funktion des Bauernopfers zugewiesen. Sie wird diskreditiert, um die Besetzung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle mit einer Person zu verhindern, die sich zutraut, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Selbst dann, wenn das nicht die Absicht sein wollte, wäre es doch die zu erwartende Wirkung.

Symptomatisch dafür sind die Reaktionen, die ihre zweifellos absichtsvoll provokative Verwendung des Etiketts Kartoffeln für einheimische Deutsche ausgelöst hat. Das muss niemandem gefallen. Wenn Journalist:innen auch in der seriösen Presse dies jedoch als einen Rassismus bezeichnen, der mit der Verwendung rassistischer Vokabulare des Kolonialismus gleichzusetzen sei, dann zeigt sich: Es mangelt hier offenkundig nach wie vor an rassismuskritischer Aufklärung. Zudem – und das ist entscheidender – ist Diskriminierungskritik wohl nach wie vor nur dann wirklich konsensfähig, wenn sie nicht das Selbstverständnis derjenigen berührt, die Diskriminierung und Rassismus allein im rechtsextremen Spektrum verorten. Das aber steht im Gegensatz zu zahlreichen wissenschaftlichen Studien, die aufgezeigt haben, dass die Problematik auch in der sprichwörtlichen Mitte der Gesellschaft vorzufinden ist.

Anders gelagert ist die Kritik derjenigen, die sich als islamkritische Migrant:innen gegen Ferda Ataman positionieren. Sie werfen ihr vor, Probleme innerhalb des Islam und der migrantischen Communitys zu verkennen und zu leugnen. Dies geschieht, ohne ernst zu nehmende Belege dafür vorzulegen sowie ohne darauf einzugehen, dass Ferda Ataman als Frau aus einer säkularen Familie keinen erkennbaren Grund hat, sich zustimmend zu Patriarchat und religiösem Fundamentalismus zu äußern. Das hat sie auch nie getan. Im Gegenteil, sie hat als Journalistin explizit über Probleme in migrantischen Milieus berichtet.

Dass es nicht hilfreich ist, Diskriminierung von Minderheiten durch die Mehrheit gegen problematische Verhältnisse innerhalb von Minderheiten auszuspielen, aber auch nicht umgekehrt, scheint dieser Position entgangen zu sein. Ferda Ataman ist zuzutrauen, dass sie beides im Blick hat.

Ferda Ataman hat auch klare und deutliche Positionen gegen Antisemitismus bezogen. Gegenteilige Behauptungen sind nachweisbar falsch.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes benötigt eine kluge, fachlich kompetente Leitung mit Führungsqualitäten. Und sie benötigt dies zeitnah, ohne eine langwierige Verzögerung, die zu erwarten wäre, wenn ihre Ernennung scheitern würde. Wissenschaftler:innen wie ich selbst, die mit Ferda Ataman zusammengearbeitet haben, sind von ihrer Kompetenz ebenso überzeugt wie ihr ehemaliger Vorgesetzter Armin Laschet. Ausdrücklich unterstützt wird ihre Nominierung auch von der Bundeskonferenz der Migrant:innenorganisationen, dem Antidiskriminierungsverband Deutschland, dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland LSVD, der Initiative »Charta der Vielfalt« und auch von Persönlichkeiten wie dem Direktor der Anne Frank Bildungsstätte Meron Mendel.

Die kritisch öffentliche Überprüfung einer solcher Mandatierung ist zweifellos eine demokratische Tugend. Der dafür gebotenen Sachlichkeit wurde die öffentliche Debatte der zurückliegenden Wochen aber nicht gerecht. Es ist deshalb zu hoffen, dass die politisch Verantwortlichen sich nicht von einer Kampagne beeindrucken lassen, mit der die Eignung Ferda Atamans für das Amt der Antidiskriminierungsbeauftragten in höchst problematischer Weise infrage gestellt wird.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten