Fast 13.000 Menschen ohne Obdach "Symbol für das Versagen europäischer Flüchtlingspolitik"

Nach den Bränden in Moria fordert Grünenchefin Baerbock, mehr Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Thüringens Ministerpräsident Ramelow nennt die Zustände im Camp "Ausdruck der europäischen Schande". Die Reaktionen.
In der Nacht zu Mittwoch haben Brände große Teile des Camps Moria auf Lesbos vernichtet

In der Nacht zu Mittwoch haben Brände große Teile des Camps Moria auf Lesbos vernichtet

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Panagiotis Balaskas / AP

Angesichts der verheerenden Brände im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos werden Stimmen zu einer raschen Evakuierung des Lagers laut.

Grünenchefin Annalena Baerbock forderte die Aufnahme weiterer Flüchtlinge. "Deutschland muss handeln", sagte Baerbock den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Das Lager steht fast komplett in Flammen, Menschen irren umher, sie haben Angst - und das auf europäischem Boden", so Baerbock. Europa könne und dürfe nicht mehr wegsehen.

Die Bundesregierung bremse jedoch Hilfe aus, sagte Baerbock. "Unsere Anträge im Bundestag zur Aufnahme von Flüchtlingen wurden abgeschmettert." Bundesländer, die bereit und in der Lage seien, mehr Menschen aufzunehmen, liefen bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gegen eine Wand.

Außenminister Heiko Maas (SPD) forderte schnelle Unterstützung für Griechenland. "Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU", schrieb der Minister auf Twitter. Er bezeichnete das Feuer als "eine humanitäre Katastrophe". Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedstaaten müsse Deutschland schnellstens klären, wie Griechenland unterstützt werden könne.

Aufnahmeverfahren müssen laut Ramelow beschleunigt werden

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagte dem SPIEGEL, die Zustände im Camp seien "Ausdruck der europäischen Schande". "Es wird höchste Zeit, endlich die Aufnahmeverfahren zu beschleunigen und die Schutzsuchenden sofort europäisch zu verteilen. Thüringen ist bereit, seinen Anteil sofort zu realisieren", sagte Ramelow. Prinzipien-Streitereien nannte Ramelow "angesichts schreiender Not" inhuman und inakzeptabel.

Das Bundesinnenministerium hatte ein geplantes Thüringer Programm zur Aufnahme von Flüchtlingen aus überfüllten griechischen Lagern gestoppt. Zur Begründung hieß es, die rechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt - bei einer Zustimmung der Bundesregierung würde die "Bundeseinheitlichkeit nicht gewahrt". Mit dieser Argumentation wurde auch eine entsprechende Berliner Initiative abgelehnt.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) schrieb auf Twitter, es sei unverständlich, wieso der Bund es den Städten, die sich dazu bereit erklärt hätten, nicht ermögliche, schnelle und solidarische Hilfe zu leisten und Geflüchtete aus #Moria  aufzunehmen. "Wir haben diese Kapazitäten und es ist unsere Pflicht, Menschen in Not zu helfen." Berlin stehe weiter bereit und werde in der kommenden Woche erneut eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen, damit für ein eigenes Landesaufnahmeprogramm nicht mehr die Zustimmung des Innenministeriums nötig sei.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte, die Bundesregierung müsse nun den Weg für eine Aufnahme der Geflüchteten von Moria in den Kommunen freimachen. "Wir müssen umgehend Hilfe vor Ort leisten und die Menschen, darunter viele Familien und Kinder, da rausholen", schrieb sie auf Twitter.

Die CDU sprach sich gegen eine nationale Hilfsaktion für die Menschen in Moria aus. "Die neueste Entwicklung auf Lesbos macht deutlich, wie dringend eine europäische Antwort auf die Flüchtlingsentwicklung ist", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg.

Hamburgs rot-grüner Senat erklärte sich bereit, Flüchtlinge in der Hansestadt aufnehmen. Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank twitterte: "Was soll denn noch alles passieren in Moria, damit Geflüchtete endlich in Sicherheit gebracht werden? Hamburg ist bereit, Menschen aufzunehmen! Der Bundesinnenminister muss sich jetzt bewegen."

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius forderte die Auflösung des Lagers und die Verteilung der Menschen auf die europäischen Länder. Moria sei das "Symbol für das Versagen europäischer Flüchtlingspolitik. Sie hat die Menschen vor Ort quasi zu Gefangenen gemacht", so Pistorius. "Meine Gedanken sind bei den Menschen, die in ohnehin auswegloser Situation mit der nächsten Katastrophe konfrontiert sind." Es würde Zeit, "diesem unwürdigen, lebensgefährlichen Schauspiel ein Ende zu setzen", sagte Pistorius. Die EU müsse sich daran messen lassen, wie sie mit den Schwächsten umgeht.

"Es ist erbärmlich, dass die EU so lange zugeschaut hat"

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, die FDP-Politikerin Gyde Jensen, sprach sich für sofortige Hilfe aus. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dürfe die Aufnahme weiterer Geflüchteter "nicht länger pauschal ausschließen". "Die EU-Innenminister müssen dafür jetzt eine praktikable Lösung finden, um den Tausenden Menschen in Moria zu helfen, die dort das letzte Dach über dem Kopf verloren haben."

Auch der nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) forderte eine rasche Reaktion von Bund und EU. "Es ist erbärmlich, dass die EU so lange zugeschaut hat, bis es in Moria zu dieser Eskalation gekommen ist", so Stamp. Er wies dabei auf die besondere Verantwortung Deutschlands hin, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

DER SPIEGEL

EU-Innenkommissarin verspricht schnelle Hilfe

Die schwedische EU-Innenkommissarin Ylva Johansson aus Schweden versprach schnelle Hilfe für die Menschen in Moria. Sie sei in Kontakt mit lokalen Behörden, schrieb sie auf Twitter. Dabei habe sie zugestimmt, den unverzüglichen Transfer und die Unterbringung der verbleibenden 400 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aufs Festland zu finanzieren. "Die Sicherheit und der Schutz aller Menschen in Moria hat Priorität."

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Das Flüchtlingslager Moria auf der Ägäisinsel Lesbos wurde nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch teilweise evakuiert. Das Camp ist seit Jahren heillos überfüllt, derzeit leben dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten, bei einer vorgesehenen Kapazität von 2800 Menschen.

mst/dpa
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