Filbinger-Eklat Oettingers fataler Flirt mit der Rechten
Berlin/München - Diese Geschichte wird Günther Oettinger verfolgen. Wer immer in Zukunft ein Porträt über den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg schreibt - der Eklat um Oettingers Trauerrede auf den ehemaligen Regierungschef und Ex-NS-Marinerichter Hans Filbinger wird darin breit erwähnt werden.
Am Mittwoch hat Oettinger den Verstorbenen vom Marinerichter zum Widerstandskämpfer gemacht: "Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes", sagte er auf der Trauerfeier im Freiburger Münster.
Seither ist der Druck auf ihn groß - die eigene Partei und der Koalitionspartner FDP sind in Aufregung. Besonders schwer wiegt für Oettinger, dass die sonst eher zögerliche Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel prompt reagierte. In einem Telefonat mit Oettinger äußerte sie noch am Donnerstag ihre Bedenken - und machte sie hernach öffentlich. Das ist gerade deshalb bemerkenswert, weil in der CDU sonst kaum noch Politiker Stellungnahmen zum Fall Oettinger abgeben wollen. Mehr als ein halbes Dutzend wurden von SPIEGEL ONLINE kontaktiert. Öffentlich wollen sie schweigen. Einer sagt hinter vorgehaltener Hand, dass Merkel mit ihren Äußerungen ganz richtig gehandelt habe. Die schnelle und deutliche Reaktion sei "sehr bemerkenswert".
Merkel rügt Oettinger
Merkel hatte Oettinger nach eigenen Angaben gesagt,"dass ich mir gewünscht hätte, dass neben der Würdigung der großen Lebensleistung von Ministerpräsident Hans Filbinger auch die kritischen Fragen in Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus zur Sprache gekommen wären". Sie hätte sich eine Differenzierung "insbesondere im Blick auf die Gefühle der Opfer und Betroffenen" gewünscht.
Was ist los mit Günther Oettinger? Warum hält der Mann aus dem Südwesten, der bisher vor allem als wirtschaftsliberaler Reformer galt, plötzlich geschichtsklitternde Reden?
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE ging der Trauerrede eine Debatte in Oettingers Regierungszentrale voraus. In der hoch über Stuttgart gelegenen Villa Reitzenstein soll es unterschiedliche Meinungen gegeben haben. Schließlich hat dann ein besonders konservativer Mitarbeiter die Rede geschrieben.
Baden-Württembergs konservative Kreise
Dessen Name: Michael Grimminger. Er stieß bereits im Jahr 2002 noch unter Oettingers Vorgänger Erwin Teufel (CDU) zum Redenschreiberteam in Referat 43 des Stuttgarter Staatsministeriums. Der heute 46-Jährige (dessen Konterfei am Freitag in der Stuttgarter "Bild"-Ausgabe abgedruckt war) kennt sich mit dem Leben des verstorbenen Ministerpräsidenten Filbinger bestens aus. In dem 2003 erschienenen Band "Hans Filbinger - Aus neun Jahrzehnten" schrieb er einen Beitrag unter dem Titel "Ein Leben für die christlich-freiheitliche Demokratie".
Grimminger selbst wollte sich am Freitag nicht zu Oettingers Trauerrede äußern. "Ich kann mir nicht denken, dass wir etwas zu besprechen hätten. Ich verweise Sie auf die Hausspitze", sagte er auf telefonische Anfrage von SPIEGEL ONLINE.
Einst war Grimminger auch Mitarbeiter des konservativen Publizisten und Philosophen Günter Rohrmoser. Dieser hatte in seinem Buch "Der Ernstfall - die Krise unserer liberalen Republik" Grimminger ausdrücklich für seine Hilfe gedankt. "Ohne die kluge und aufopferungsvolle redaktionelle Bearbeitung, die mein Assistent, Michael Grimminger, vorgenommen hat, wäre dieses Buch so nicht entstanden", schrieb Rohrmoser in einem Vorwort.
"Spätfolgen der neomarxistischen Kulturrevolution"
Der heute in Stuttgart lebende Rohrmoser wiederum gehörte zu Filbingers engem Umfeld: In früheren Zeiten war er dessen Berater. Seine Berufung auf das Ordinariat für Sozialphilosophie an der Universität Stuttgart-Hohenheim wurde mit "der Unterstützung des Ministerpräsidenten Filbinger und gegen den heftigen Widerstand der SPD und Teilen der Studentenschaft durchgesetzt" - das stellte 1997 anlässlich seines 70. Geburtstags die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" fest.
Mit Filbinger arbeitete Rohrmoser auch im "Studienzentrum Weikersheim", einem konservativ-deutschnationalen Think Tank. In seinen zahlreichen Büchern und Schriften beklagte Rohrmoser unter anderem den Niedergang des politischen Konservatismus und die Entchristlichung der deutschen Gesellschaft. Überzeugt war er vom verderblichen Wirken der 68er: "Die Spätfolgen der neomarxistischen Kulturrevolution der 60er Jahre münden in die hegemoniale Herrschaft eines ebenso libertären wie quasitotalitären Liberalismus, der unserer Demokratie die Kraft zu einer geistig-politischen Innovation nimmt", schrieb er in "Der Ernstfall".
Wollte Oettinger Konkurrent Mappus auskontern?
Dass Oettinger ausgerechnet Rohrmosers einstigen Assistenten Grimminger mit der Konzeption der Filbinger-Trauerrede betraute - das mag auch der Versuch gewesen sein, sich konservative Sporen zu verdienen.
Denn Baden-Württembergs CDU gilt als äußerst traditionell und konservativ. So war der umstrittene Filbinger in dieser Christenunion bis zuletzt eine anerkannte Größe und hatte seine Auftritte auf Parteitagen. Nach Aufdeckung seiner Richterzeit während des Nationalsozialismus und dem folgenden Amtsverlust 1978 gründete Filbinger das "Studienzentrum Weikersheim" als "Antwort auf die so genannte Kulturrevolution der sechziger Jahre".
In dessen Präsidium sitzen heute stramme Konservative wie Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) oder Philipp Jenninger (CDU), der 1988 wegen einer missverständlich betonten Rede über die NS-Zeit als Präsident des Bundestags zurücktreten musste.
Mitglieder von Baden-Württembergs Landesregierung, zum Beispiel der frühere Ministerpräsident Teufel, sind immer gern zu Vorträgen angereist. Nur Oettinger hielt bisher auf Abstand. Weggefährten aus der CDU wundern sich deshalb besonders über die Trauerrede: "Ich war überrascht von seiner Positionierung", sagt einer.
Möglicherweise wollte Oettinger mit seiner Rede den eigenen CDU-Fraktionsvorsitzenden Stefan Mappus auskontern. Der jung-agile 41-Jährige, einst politischer Ziehsohn von Erwin Teufel, hat sich mit einer betont konservativen Positionierung im Blitztempo an Platz zwei der Landes-CDU geschoben. Immer wieder geht er auf Konfrontationskurs zu Oettinger. So positionierte er zum Beispiel die CDU-Fraktion zuletzt beim Thema Ladenschluss gegen den eigenen Ministerpräsidenten. Oettinger wollte weitergehende Liberalisierungen. Und scheiterte.
"Gute Piloten starten gegen den Wind"
Als Oettinger nach der Landtagswahl im März 2006 in Sondierungsgesprächen mit den sehr willigen Grünen eine Koalition auslotete, grätschte der in Stuttgart als "Grünen-Fresser" bekannte Mappus dazwischen und sprach sich gegen ein solches Bündnis aus. Im vergangenen Oktober schloss Mappus eine schwarz-grüne Koalition erneut "auf absehbare Zeit" aus.
Stefan Mappus macht Oettinger die Handlungsspielräume eng. Und er scheint mehr zu wollen. "Gute Piloten starten gegen den Wind", hat er einmal im Interview der "Stuttgarter Zeitung" gesagt. Denn da sei "der Auftrieb am stärksten".
Mag also sein, dass Oettinger dem vorbeugen wollte, indem er sein politisches Portefeuille mit konservativen Elementen komplettiert. Doch genau daran könnte er scheitern.
Die Trauerrede auf Filbinger war zwar wohlüberlegt, doch könnte Oettinger von der überbordenden Reaktion im schlimmsten Fall aus dem Amt gespült werden. Eilig wurde heute schon der Regierungssprecher aus dem Osterurlaub nach Stuttgart zurück beordert. Oettingers Strategen basteln zur Stunde mit Hochdruck an einer adäquaten Vorwärtsverteidigung.
Am späten Freitag Nachmittag räumte Oettingers Staatsministerium noch das Gerücht ab, der Ministerpräsident habe die Rede frühestens auf der Fahrt zur Trauerfeier das erste Mal gelesen. Stattdessen sei sie in enger Abstimmung mit Oettinger entstanden, der auch die Schwerpunkte vorgegeben habe, so ein Sprecher. Noch am Dienstagabend habe der Ministerpräsident historische Details aus der Nachkriegszeit recherchieren lassen.