S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Unsere Obama-Liebe ist infantil

Wahlsieger Obama: Deutsche Begeisterung für den guten Amerikaner
Foto: Kamil Krzaczynski/ dpaSchade, dass Mitt Romney nicht gewonnen hat. Bei einem Wahlsieg des Republikaners hätten wir endgültig sicher sein können, dass Amerika dem Untergang geweiht ist. Jetzt müssen wir wohl noch etwas warten, bis das Weltreich zusammenbricht. "Four more years", heißt ins Deutsche übersetzt: vier Jahre Galgenfrist.
Für den aufmerksamen Zeitgenossen sind die Zeichen des Untergangs unübersehbar. Man muss sich ja nur den Zustand der Straßen angucken (jede vierte Brücke morsch!) oder das völlig veraltete Energiesystem, um zu dem Schluss zu kommen, dass diese Nation ihre Zukunft hinter sich hat. Ein Land, das seine Stromkabel einfach über die Straße hängt, statt sie ordentlich zu verbuddeln, kann man nicht wirklich ernst nehmen.
Mit ein wenig Glück erledigt sich der Spuk schon bald von selbst, nicht mal das kann man mehr ausschließen. Wenn sie sich nicht gegenseitig bei irgendwelchen Massakern über den Haufen ballern, oder von herabhängenden Stromkabeln gegrillt werden, dann werden die Amerikaner irgendwann platzen. Zwei von drei US-Bürgern sind übergewichtig oder sogar fettleibig! Solche Zahlen weiß hierzulande jedes Kind.
Bei kaum einem Thema sind sich die Deutschen so einig wie in ihrem Wunsch, die USA auf den Knien zu sehen - das verbindet ausnahmsweise links wie rechts. Wohin sie blicken, sehen sie Verfall, Kulturlosigkeit und Ignoranz, "eine perverse Mischung aus Verantwortungslosigkeit, Profitgier und religiösem Eiferertum", wie es mein kolumnistischer Gegenspieler Jakob Augstein am Montag wunderbar furios auf den Punkt gebracht hat.
Amerika-Kritik - ein Ritual, das ständig wiederholt werden muss
Was für ein Segen, kann man da nur ausrufen, dass wir in einem Land leben, in dem regelmäßig die Autobahnen repariert werden und die Waschmaschinen so wenig Wasser verbrauchen, dass man mit dem Gesparten die gesamte Sahara bewässern könnte. In dem man Bürgerinitiativen gegen McDonald's gründet und den "Tatort" für die Spitze der Fernsehkultur hält. Wenn auch hier mal die Strommasten brechen wie Streichhölzer, dann ist daran eine Naturkatastrophe schuld, gegen die sich ein Hurrikan wie ein laues Lüftchen ausnimmt.
Ich will ja nicht naseweis klingen, aber erinnert sich noch jemand daran, wie im Dezember 2005 ein überraschender Wintereinbruch im Münsterland bei 250.000 Menschen für Tage das Licht ausgehen ließ? Das Münsterland will nicht die Welt regieren. Aber dennoch war es sehr komisch, im Fernsehen nun die gleichen Experten zu sehen, die nach dem großen Stromausfall an der amerikanischen Ostküste zwei Jahre zuvor noch erklärt hatten, warum so etwas nie in Deutschland passieren könne.
Die Amerika-Kritik hat immer auch etwas Infantiles. Man kennt den Vorgang aus der Psychoanalyse: Da spricht man von Übertragung, wenn unterdrückte Gefühle oder Affekte durch Projektion auf andere bewältigt werden sollen. Für eine Zeitlang mag es sogar funktionieren, das eigene Selbstwertgefühl durch Abwertung eines imaginierten Gegenübers zu steigern, aber es bleibt immer ein unerledigter Rest. Auch deshalb muss das Ritual ständig neu vollzogen werden.
Noch immer ein Sehnsuchtsziel für Millionen
Solange ich zurückdenken kann, geht Amerika unter. Schon in den siebziger Jahren war das Land dem Niedergang geweiht, und das war noch, bevor Leute wie Ronald Reagan oder George W. Bush an die Macht kamen. In der Zwischenzeit haben die Amerikaner den Kommunismus in die Knie gezwungen, das Internet-Zeitalter eingeläutet und mehrfach den Kapitalismus revolutioniert.
Tatsächlich entsteht noch immer ein Viertel des weltweiten Wohlstands in den USA. Noch immer verfügen sie über die mit Abstand größte Militärmacht und werden das auch weiterhin tun, allem Gerede über eine multipolare Welt zum Trotz. Vor allem aber sind die Vereinigten Staaten bis heute das große Sehnsuchtsziel von Millionen Menschen in aller Welt. Wenn sie die Wahl hätten, wo sie leben wollen, würden die meisten seltsamerweise nicht das deutsche DIN-Norm-Glück vorziehen, sondern ein Leben in New York oder Kalifornien, wo die Schlaglöcher so groß sind wie Baggerseen. Da mag man hierzulande noch so viele Kerzlein anstecken, um endlich den Untergang herbeizubeten.
Die kindliche Obama-Begeisterung, die auch bei dieser Wahl wieder Deutschland erfasst hat, ist die Kehrseite des Abwertungswunsches. Dass sich die Deutschen ausgerechnet in einem schwarzen Bürgerrechtsanwalt aus Chicago wiedererkennen, ist nur damit zu erklären, dass sie in ihm das Gegenteil von dem sehen, was sie für den normalen Amerikaner halten.
Obamas eigentlicher Wohnsitz: im Herzen der Bundesbürger
Seit Obama vor der Berliner Siegessäule zur Welt gesprochen hat, liegt sein eigentlicher Wohnsitz im Herzen der Bundesbürger. Für diese Auszeichnung werden sie ihm ewig dankbar sein. Dafür verzeihen sie ihm auch, dass er Guantanamo am Leben hält und Drohnen verschickt wie andere Leute Postkarten.
Andrian Kreye hat in der "Süddeutschen Zeitung" heute völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass für Europa das Leben mit Präsidenten aus dem republikanischen Lager meist einfacher war, weil die Vereinigten Staaten ihre Bündnisverpflichtung dann immer sehr ernst nahmen.
Obama hat kein Interesse an Europa, seine ganze Aufmerksamkeit gilt Asien. Wenn dieser Präsident im Kanzleramt in Berlin anruft, dann nur, um die Kanzlerin zu bequatschen, endlich Euro-Bonds einzuführen, damit die Wall Street wieder ruhig schlafen kann. Aber auch das gehört zu den Tatsachen, die besser verdrängt gehören.
Supermächte verschwinden nicht im Laufe von Jahren. Dafür braucht es Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte. So gesehen steht das Urteil, wer mit seiner Prognose nun recht behält, noch ein wenig aus. Die Untergangs-Propheten dürfen also weiter hoffen.