
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Vorsicht, Gender-Gegner!

Wie muss man sich einen Gender-Gegner vorstellen? Vielleicht so: Hornbrille, halblanges Haar, sympathischer Mehrtage-Bart, freundliches Lächeln. Also ziemlich genau wie mein Kollege René Pfister, der als einer der Leiter des Hauptstadtbüros für die politische Berichterstattung im SPIEGEL mitverantwortlich ist.
Man soll sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen, wie sich wieder einmal erweist. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat eine Broschüre herausgegeben , in der sie sich mit der Kritik an der Gendertheorie auseinandersetzt. Die Autoren unterscheiden darin "fünf Gruppen von Gender-Gegner_innen" beziehungsweise "Anti-Feminist_innen", die mit "polemisierenden Texten" die Arbeit all derjenigen Menschen herabzuwürdigen versuchen, die sich dem Fortschritt im Geschlechterverhältnis verpflichtet fühlen.
Ich habe Pfister immer für einen verantwortlich denkenden Journalisten gehalten. Jetzt finde ich seinen Namen neben dem christlicher Fundamentalisten und sogenannter "Wissenschaftlichkeitswächter", die bis heute an die Evolutionsbiologie glauben. Vor sechs Jahren hat mein Kollege einen Text geschrieben, in dem er den Sinn staatlich finanzierter Programme anzweifelte, die der Idee zum Durchbruch verhelfen sollen, dass Geschlecht vor allem ein soziales Konstrukt sei und nichts Biologisches. Ich hatte den Text schon vergessen. Die Böll-Stiftung vergisst nichts so leicht, wie man sieht.
Universitär ist die Genderforschung ein Riesenerfolg
Es scheint im Augenblick Mode zu sein, Listen von Leuten zu erstellen, von denen man sich als aufgeklärter Zeitgenosse besser fernhält, weil sie dem Fortschritt im Wege stehen. Vor ein paar Wochen hat das Umweltbundesamt die Namen bekannter "Klimawandelskeptiker" veröffentlicht, deren Argumenten man nicht trauen darf. Jetzt sind die Gender-Leugner dran. Man mag solche Aufklärungsarbeit für einen eigenartigen Einsatz von Steuergeldern halten: Auch die Böll-Stiftung lebt fast ausschließlich von öffentlichen Mitteln, 45 Millionen Euro sind es im Jahr. Anderseits finden so eine Reihe von Menschen Beschäftigung, die es mit ihrer Qualifikation nicht leicht haben.
An den deutschen Universitäten gehören die Gender Studies zu den am schnellsten wachsenden Wissenschaftszweigen. Wie ich bei Harald Martenstein von der "Zeit" gelesen habe , der dafür auch in der Böll-Studie steht, hat die Zahl der Gender-Professoren inzwischen locker die der Slawisten überflügelt: 173 Professuren hat Martenstein gezählt versus 100 bei den Philologen.
Universitär gesehen ist die Genderforschung also ein Riesenerfolg. Das Problem ist nur, dass nicht ganz klar ist, was man anschließend damit macht. Nicht jeder kann ja bei Siemens oder BMW als "GendertrainerIn" anfangen, um dort "ein lustvolles und produktives Miteinander der Geschlechter" zu bewirken, wie es zum Beispiel das Genderwerk in Berlin anbietet. Solange es noch kein Gesetz gibt, das eine solche Beratung für Unternehmen zur Pflicht macht, bleibt in der Regel nur eine Stelle im Staatsdienst, als Gleichstellungsbeauftragte oder eben an einer Hochschule. Das mag auch einer der Gründe sein, warum sich dieser Bereich ständig fortentwickelt.
Lieber Klimaleugner als Gender-Gegner
Nichts bringt Gender-Vertreter so auf die Palme wie der Vorwurf, ihre Arbeit entbehre der Wissenschaftlichkeit. Ich habe aufmerksam nach Gegenargumenten gesucht, schließlich soll die Aufklärungsbroschüre der Böll-Stiftung ja all denjenigen helfen, "die sich im Rahmen der unterschiedlichen Gender-Diskurse abwertenden Angriffen ausgesetzt sehen".
Mich hätte zum Beispiel interessiert, was die Gendertheorie zu den neuen Erkenntnissen der Verhaltensforschung sagt. Ich habe gelesen, dass schon neun Monate alte Babys bei der Auswahl von Spielzeug geschlechterspezifische Vorlieben zeigen: Jungs kriechen auf Autos zu, Mädchen auf Puppen, wie Laborversuche ergeben haben. Der Psychologe Simon Baron-Cohen hat bei Neugeborenen festgestellt, dass Jungen eher auf mechanische Geräte reagieren, während Mädchen sich mehr zu Gesichtern hingezogen fühlen.
Aber wie ich bei der Lektüre gelernt habe, verrät schon die Frage nach der Wissenschaftlichkeit, wie sehr man dem alten, männlich zentrierten Denken verhaftet ist. Ein Merkmal der Geschlechterforschung sei gerade, dass sie "spezifische Konzepte der epistemologischen Tradition" hinterfrage und dabei herausarbeite, wie "klassische Vorstellungen von Objektivität tatsächlich androzentrisch" seien, heißt es in der Böll-Schrift: "Dadurch stellt sie Wahrheitsansprüche stark in Frage und verweist auf die Verbindung von Wissen und Macht."
Zum Glück bin ich noch auf keiner Liste aufgetaucht, es gibt bei mir auch keinen Grund. Aber ich glaube, ich wäre lieber Klimaleugner als Gender-Gegner.
Tatsächlich erweist sich der Objektivitätsanspruch der Wissenschaften nicht nur als männlicher Habitus, sondern schlimmer noch: als Bindeglied nach rechts. "Es wäre verzerrend, die Kritik eines SPIEGEL-Redakteurs mit der der FPÖ oder gar der NPD gleichzusetzen", steht zur Warnung in der Einleitung der Gender-Broschüre. "Es gibt jedoch durchaus argumentative Schnittstellen. Eine dieser Schnittstellen ist der Unwissenschaftlichkeits-Vorwurf."
Man kann gegen die Klimaleugner sagen, was man will: Sie stehen wenigstens nicht mit einem Bein im extrem rechten Lager. Es kommt im Streit um den Klimawandel auch niemand auf die Idee, naturwissenschaftliche Erkenntnisse als androzentrisch und damit veraltet zu bezeichnen.