Florian Gerster Schwer vermittelbar
Berlin - Harald Schartau warf den ersten Stein. Per Rundfunkinterview verkündete Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Arbeitsminister, dass Gerster an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht mehr zu halten sei. Er habe nicht mehr das Vertrauen seiner Mitarbeiter und der Öffentlichkeit, den "diffizilen" Reformprozess der Agentur zu gestalten, urteilte der SPD-Landesvorsitzende. Auf die Frage, ob er Gerster noch eine Chance einräume, kam ein ebenso unmissverständliches "Nein".
Schartau ist nicht irgendwer. Der Westfale ist enger Vertrauter seines früheren Ministerpräsidenten Wolfgang Clement, der nun als Superminister in Berlin als Dienstherr von Gerster agiert. Der Landesvorsitzende im wichtigsten SPD-Verband verfolgt mit seiner direkten Attacke zwei Ziele. Er führt Wahlkampf in der wackelnden SPD-Hochburg NRW, und er versucht Clement zu schützen, denn die Attacken, die gegen Gerster geritten werden, sollen auch den knorrigen Superminister treffen.
Clement selbst kann Gerster nicht ohne weiteres fallen lassen: Er hatte ihn geholt, und er war es auch, der ihm gesagt hatte, dass sich der Behördenchef dringend mal um die Außenwirkung der Bundesagentur kümmern sollte. Daraus entstanden dann all die millionenschweren Beraterverträge und Kampagnen, an denen Gerster nun vordergründig zu scheitern droht.
In Berlin herrscht an der Oberfläche Ruhe. Im Kanzleramt und Wirtschaftsministerium ist man um Schadensbegrenzung bemüht. Nein, von anstehenden Personalentscheidungen sei ihm nichts bekannt, versicherte Regierungssprecher Thomas Steg am Freitag. Der Kanzler müsse sich erst einmal von der strapaziösen Afrika-Tour erholen und seinen Biorhythmus in Ordnung bringen. Er werde deshalb am Sonntag mit der Familie in Hannover einen Spaziergang machen, berichtete Steg über die Pläne Gerhard Schröders.
Ob das Wochenende tatsächlich so idyllisch verläuft, ist fraglich. Schon am Freitag wurde von Berlin aus viel telefoniert. Spätestens am Samstag, wenn der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit sein Votum über einen Verbleib von Florian Gerster auf dem Nürnberger Chefsessel abgegeben hat, besteht unverzüglicher Entscheidungsbedarf. Wohl noch im Laufe des Sonntags muss auch die Regierung klar machen, ob sie an Gerster festhält oder bereits einen Nachfolger in petto hat.
Pingpong zwischen Berlin und Nürnberg
Noch ist nicht klar, ob die 21 Mitglieder des Verwaltungsrats ihrem ungeliebten Vorgesetzten tatsächlich das Misstrauen aussprechen werden. BA-Mitglieder zweifeln an einem eindeutigen Votum - um den Druck für eine Entscheidung wieder nach Berlin zu verlagern. Berlin und Nürnberg spielen Pingpong: "Der Schlüssel liegt jetzt in den Händen der Selbstverwaltung", returniert der Vorsitzende des Wirtschafts- und Arbeitsausschusses des Bundestages, Rainer Wend (SPD). Gerster selbst hatte vor wenigen Tagen ausdrücklich erklärt, dass er an Bord bleiben werde, solange er das Vertrauen der Regierung besitze.
Wirtschaftsminister Clement und der Kanzler tun sich schwer, Gerster zu entlassen. Am Ende will es keiner gewesen sein, der Gerster zu Fall bringt, aber viele wollen ihn fallen sehen. Der Bericht der Innenrevision belaste Gerster jedenfalls weniger als bisher angenommen, heißt es aus der Behörde. Aber in dem Fall Gerster geht es eben nicht mehr nur um Sachfragen und korrektes Verhalten. Es ist ein politischer Fall.
Herzstück der Agenda
Die Reformen am Arbeitsmarkt sind das Herzstück in Schröders Agenda 2010. Dafür hatte er Clement nach Berlin geholt, und dieser hatte Gerster trotz heftigen Widerstands in der SPD die Herkulesausgabe in Nürnberg übertragen. Dass Schröder und Clement sich so schwer tun, liegt auch daran, dass ihnen kaum jemand einfällt, der den Job machen könnte. Gerster besitzt die nötige Härte, um das Sperrfeuer der Kritik auszuhalten, und die nötige Kompetenz, um die Reformen voranzutreiben. Denn in Berlin ist auch klar: Die Probleme mit der Bundesagentur und ihren 90.000 Mitarbeitern lösen sich nicht durch einen Wechsel in der Führung.
Weder Gewerkschaften noch die Opposition haben gesteigertes Interesse daran, dass Gerster erfolgreich ist. Aber sie würden nur Zeit gewinnen, denn Clement ist fest entschlossen, den Kurs fortzusetzen. Nur mit wem? In Berlin kursieren mehrere Namen. Der langjährige enge Schröder-Vertraute Alfred Tacke wird häufig genannt. Der Wirtschafts-Staatssekretär, dem die notwendige Durchsetzungskraft beim schwierigen Umbau in Nürnberg zugetraut wird, winkt aber noch ab, er fühlt sich als "Sherpa" für die G-7-Treffen und wichtige Wirtschaftsfragen pudelwohl. Auch Harald Schartau wird genannt, kommt aber schon nicht mehr in Frage, weil er bereits jetzt als Königsmörder dasteht und auch gar nicht will: Er macht sich Sorgen um die wichtigen Wahlen in NRW.
Wahlkampfkandidaten
Auch der frühere Hamburger Wirtschaftssenator Thomas Mirow wird genannt. Doch auch das wohl eher aus Wahlkampfgründen, um ihn aufzuwerten. Er wird SPD-Spitzenkandidat bei der Hamburger Bürgerschaftswahl in einem Monat sein. Öfter genannt werden auch BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt und der Bundestagsabgeordnete Gerd Andres (SPD), ebenfalls Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Für sie alle sprechen die Erfahrung und politische Verwurzelung in der SPD. Andererseits schreit der Posten in Nürnberg eher nach Managerfähigkeiten. Im Gespräch ist auch der Leiter der Hauptstadt-Vertretung der BA, Wilhelm Schickler. Er war bis vor kurzem Präsident des hessischen Landesarbeitsamtes und gehörte der Hartz- Kommission an.
Der Job ist einer der schwierigsten, die in Deutschland zurzeit zu haben sind: politisch brisant und schwer vermittelbar. Die Stellenbeschreibung sieht so aus: durchsetzungsfähiger Manager, politischer Stallgeruch der SPD, muss aber auch mit Konservativen und Liberalen gut können, braucht das Vertrauen von Gewerkschaften und Arbeitgebern sowie die Loyalität von 90.000 Mitarbeitern, denen er gerade das Leben schwer macht und wird schlechter bezahlt als in der freien Wirtschaft.
Dass Gerster von sich aus aufgibt, ist unwahrscheinlich. Bei einem vorzeitigen Rücktritt würde er die vertraglich zugesicherten 375.000 Euro Abfindung nicht erhalten. Zu einem solchen Schritt könnte ihn nur die Zusicherung der Regierung auf einen attraktiven neuen Posten bewegen. Dafür müsste aber der Kanzler, der auf seiner Afrika-Reise jedes offizielle und inoffizielle Wort zu der Affäre mied, persönlich eingreifen und dennoch im Hintergrund bleiben. Clement und Schröder haben großes Interesse daran, dass die Geschichte eine Gerster-Affäre bleibt und nicht auf sie abfärbt. Wenn Schröder am Sonntag mit Gattin Doris promeniert, wird er wohl kaum von Löwen in Afrika berichten, sondern darüber nachdenken, wie die hungrigen politischen Löwen in Deutschland zu bändigen sind.