Lager an EU-Außengrenzen
Koalition streitet über Aufnahme von Flüchtlingen
Soll Deutschland Flüchtlinge aus Lagern in Griechenland oder Bosnien aufnehmen? In der CDU sind viele dagegen, auch Friedrich Merz. Koalitionspartner SPD betont dagegen die »humanitäre Notsituation«.
Bewohner des Lagers Lipa versuchen, sich an einem Feuer aufzuwärmen (Foto vom 1. Januar 2021)
Foto: FEHIM DEMIR/EPA-EFE/Shutterstock
Nach Auffassung der EU ist die Situation in bosnischen Flüchtlingslagern »vollkommen inakzeptabel«. So beschrieb Johann Sattler, EU-Sondergesandter für Bosnien, die Lage nach einem Treffen mit dem bosnischen Sicherheitsminister Selmo Cikotic: »Das Leben und die Grundrechte von Hunderten Menschen sind ernsthaft in Gefahr.«
Doch wie Abhilfe zu schaffen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander, auch innerhalb der Regierungsparteien in Deutschland. Konkret geht es um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern in Griechenland oder Bosnien.
Dagegen sind Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, und Unionsfraktionsvize Thorsten Frei. SPD-Fraktionsvize Achim Post hat ihnen nun Kaltherzigkeit vorgeworfen. »Was wir derzeit mancherorts auf den griechischen Inseln und in Bosnien-Herzegowina erleben, ist eine humanitäre Notsituation«, sagte Post. »Hier ist Hilfe, auch durch die Bereitschaft, Geflüchtete in Not aufzunehmen, ein Gebot der Menschlichkeit.«
Merz: »Dieser Weg ist nicht mehr geöffnet«
Merz hatte sich prinzipiell gegen die Aufnahme ausgesprochen. Die EU habe die Verpflichtung, vor Ort auf dem Balkan oder auf den griechischen Inseln zu helfen. »Diese humanitäre Katastrophe lässt sich allerdings nicht dadurch lösen, dass wir sagen: Kommt alle nach Deutschland. Dieser Weg ist nicht mehr geöffnet.«
Frei sagte, von der Aufnahme von Migranten aus Bosnien könne rasch das fatale Signal ausgehen, der Weg nach Deutschland sei frei. »Wir würden damit einen gewaltigen Anreiz zur Migration nach Europa schaffen.« Allerdings halten Experten diese Sogwirkungsargumentation nicht für stichhaltig (mehr dazu lesen Sie hier).
SPD-Fraktionsvize Post forderte Innenminister Horst Seehofer (CSU) auf, Städten und Kommunen in Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln zu erlauben. Die EU müsse zugleich den Druck auf die Verantwortlichen in Bosnien-Herzegowina deutlich erhöhen.
Das ehemalige bosnische Flüchtlingslager bei Lipa im Grenzgebiet zu Kroatien war am 23. Dezember durch einen Großbrand zerstört worden. Die Flammen vernichteten die Infrastruktur des Lagers dabei vollständig. Die Polizei geht davon aus, dass ehemalige Bewohner das Lager anzündeten, um gegen eine Entscheidung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zu protestieren.
Die IOM-Helfer hatten sich einen Tag vor Heiligabend aus dem Lager zurückgezogen, da es nicht ausreichend mit Strom, Wasser und Heizwärme versorgt wurde. Das Camp in Lipa war im April als provisorische Unterkunft eingerichtet worden. In dieser Gegend gibt es nun keine andere reguläre Unterkunft für die Flüchtlinge mehr.
Pro Asyl konstatiert Totalversagen der EU
Die Verlegung der Menschen in eine alte Kaserne scheiterte an örtlichen Protesten. Hunderte blieben bei Winterwetter ohne Obdach, bis die bosnische Armee in Lipa neue Zelte aufbaute.
Der EU-Gesandte Johann Sattler sagte, die Aufstellung der Zelte sei ein nötiger Schritt, doch müssten die Behörden nun dringend auch die Versorgung mit Wasser und Strom in Lipa sicherstellen. Als längerfristige Lösung müssten die Behörden dort so schnell wie möglich ein voll ausgerüstetes Camp bereitstellen. Bis dahin müsse das Camp Bira wieder geöffnet werden. Die EU helfe Bosnien-Herzegowina mit 85,5 Millionen Euro.
Die Organisation Pro Asyl warf der EU Totalversagen vor. Die Hilfsorganisation bezog dies sowohl auf die schlechte Unterbringung der Menschen in Bosnien als auch auf Berichte über sogenannte Pushbacks durch das benachbarte EU-Land Kroatien. »Die Grenzen müssen geöffnet und die frierenden Menschen innerhalb der EU aufgenommen werden«, forderte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
In Bosnien hat sich die Stimmung in der Bevölkerung gegen Geflüchtete gewendet, seitdem das Balkanland zum Durchzugsgebiet auf der sogenannten Balkanroute wurde. Die Menschen wollen zwar nicht in Bosnien bleiben. Tausende von ihnen sitzen aber dort fest, weil es ihnen bislang nicht gelang, über die Grenze ins EU-Land Kroatien zu gelangen.