
Flüchtlingskatastrophen: Dramen im Mittelmeer
Rettung von Flüchtlingen Was Deutschland tun kann, was Deutschland tun muss
Es soll ein Signal der Entschlossenheit sein: Um dem Flüchtlingsansturm über das Mittelmeer künftig besser begegnen zu können, hat die EU-Kommission einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt. Die Vorschläge klingen zunächst plausibel: So soll etwa das Grenzschutzprogramm "Triton" gestärkt und der Versuch unternommen werden, leere Schlepperschiffe zu zerstören. Zudem sollen im Rahmen eines Pilotprojekts 5000 Flüchtlinge über ganz Europa verteilt werden (den Fakten-Überblick zu dem Thema finden Sie hier).
Doch was die Kommission beim Treffen der Innen- und Außenminister am Montag in Luxemburg vorlegte, ist bislang nicht mehr als ein einseitiges Papierchen. Entscheidende Fragen bleiben offen. Welches EU-Land beteiligt sich in welcher Form an welchem Vorhaben? Wie soll die geplante Flüchtlingsverteilung konkret aussehen? Und tragen wirklich alle EU-Staaten die Pläne mit?
Nach dem Willen der Kommission soll es jetzt möglichst rasch gehen. Doch der Ball liegt bei den europäischen Staats- und Regierungschefs: Am Donnerstag treffen sie sich in Brüssel, um über die Vorschläge zu beraten. Bis dahin wartet noch viel Detailarbeit. Fest steht aber schon: Auch Berlin wird mehr leisten müssen.
5000 Flüchtlinge sollen in einer Notmaßnahme EU-weit verteilt werden - wie viele wird Deutschland aufnehmen?
Dieses Vorhaben ist besonders umstritten. Seit Jahren fordern führende EU-Politiker die Einführung eines Schlüssels, der für mehr Gerechtigkeit in der Verteilung von Flüchtlingen sorgen soll. Die Bundesregierung ist seit jeher skeptisch, weil sie fürchtet, dadurch noch mehr Asylsuchende aufnehmen zu müssen. Der Kommissionsvorschlag könnte nun der erste Schritt für ein Schlüsselsystem sein. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gibt sich entsprechend zurückhaltend. In der ARD mahnte er, Deutschland sei schon jetzt vom Flüchtlingsansturm "hauptbetroffen".
Helfen wolle man eher bei der Aufnahme der Flüchtlinge in Italien und Griechenland mit der Bereitstellung von Verwaltungsbeamten. Trotzdem dürfte Berlin nicht darum herum kommen, am Ende einen beträchtlichen Teil der 5000 Flüchtlinge aufzunehmen. Denn: Der Schlüssel wird sich wohl an Einwohnerzahl und Bruttoinlandsprodukt eines jeden EU-Staates orientieren. Gemessen daran hat Deutschland noch Kapazitäten.

Überblick: Die größten Flüchtlingsrouten über das Mittelmeer
Foto: SPIEGEL ONLINE"Triton" soll aufgestockt werden - was steuert Deutschland bei?
Die Grenzschutzmission "Triton" ist ein überschaubares Unterfangen: Sieben Schiffe, vier Flugzeuge, ein Hubschrauber und 65 Mitarbeiter kontrollieren das Mittelmeer vor der italienischen Küste. Das Programm soll künftig verdoppelt, das Mandat verändert werden. Deutschland beteiligt sich bisher mit einigen Bundespolizisten und einem Hubschrauber. Gut möglich, dass künftig ein zweiter Hubschrauber und mehr Beamte gestellt werden. Genaues weiß man im Bundesinnenministerium noch nicht. Die Entscheidung darüber liege bei der Einsatzleitung von "Triton", heißt es.
Die EU will künftig Schleuserbanden auch militärisch bekämpfen - was könnte die Rolle der Bundeswehr dabei sein?
Diplomaten sagten schon kurz nach dem Gipfel in Luxemburg, bisher handele es sich bei der Militärmission eher um einen Schnellschuss als einen konkreten Plan. Zum einen fehlt für eine EU-Operation gegen die Schlepperbanden ein gültiges Mandat der Uno. Viel schwieriger aber wird die Umsetzung: Zwar könnte eine zusammengestellte Einheit verschiedener Marineschiffe aus EU-Staaten ähnlich wie vor Somalia die Piraten-Skiffs auch vor Libyen oder Tunesien Schlepperboote orten und stoppen. Dann aber müsste man auch die an Bord befindlichen Flüchtlinge aufnehmen und versorgen. Zudem ist unklar, wo die mutmaßlichen Schlepper vor Gericht gestellt werden sollen. Die deutsche Marine hätte für eine solche Mission geeignete Schnellboote, sie müssten aber mit einem Mandat des Bundestags legitimiert werden.
Kann die Marine spontan bei der Seenotrettung helfen, um Fälle wie am vergangenen Wochenende zu verhindern?
Beschließt die EU eine Seenotrettungsmission, könnte die Marine aktiv werden. Im Verteidigungsressort wurde nach Informationen von SPIEGEL ONLINE bereits geprüft, welche deutschen Schiffe bei einem entsprechenden Auftrag rasch verfügbar wären. Dabei handelt es sich um die Korvette "Erfurt", die bereits im östlichen Mittelmeer im Einsatz ist. Hinzu kommen könnte ein Einsatzgruppenversorger und zwei Fregatten, die dann vom Horn von Afrika ins Mittelmeer verlegt würden. Im Ministerium wird betont, dass es bisher nur um eine Prüfung handelt, einen Auftrag gebe es noch nicht. Am Ende müssten noch viele Fragen geklärt werden. Zum Beispiel ist ungewiss, wie die Nationen, die Flüchtlinge retten, mit diesen umgehen sollen, ob sie Asyl auf den Schiffen beantragen können oder wo sie nach der Rettung hingebracht werden.
Zusammenfassung: Die EU-Kommission will den Flüchtlingsdramen entschlossen begegnen. Doch viele Details der kursierenden Vorschläge sind noch zu klären. Berlin bereitet sich bereits darauf vor, auf vielen Feldern mehr zu leisten. Auch zusätzliche Flüchtlinge dürften bald nach Deutschland kommen.
Im Video: Polizei verhaftet Kapitän des Flüchtlingsbootes