Zuwanderung Gabriel hält 500.000 Flüchtlinge pro Jahr für verkraftbar

Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht die Bundesrepublik als stabil genug an, auch längerfristig viele Flüchtlinge aufnehmen zu können. Ein Uno-Diplomat rechnet mit einem drastischen Anstieg der Flüchtlingszahlen.
Flüchtlinge bei der Ankunft in München: Gabriel rechnet vorerst nicht mit Steuererhöhungen

Flüchtlinge bei der Ankunft in München: Gabriel rechnet vorerst nicht mit Steuererhöhungen

Foto: Andreas Gebert/ dpa

Vizekanzler Sigmar Gabriel hält es für verkraftbar, dass Deutschland auch in den nächsten Jahren in großem Stil Flüchtlinge aufnimmt. "Ich glaube, dass wir mit einer Größenordnung von einer halben Million für einige Jahre sicherlich klarkämen", sagte der SPD-Chef am Montagabend im ZDF. "Ich habe da keine Zweifel - vielleicht auch mehr." Die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit rund 800.000 Flüchtlingen in Deutschland.

Steuererhöhungen im Zusammenhang mit dem neuen Milliardenpaket für die Flüchtlingshilfe schloss Gabriel aus. Deutschland sei "ein starkes und ein mitfühlendes Land". Er betonte: "Wir haben einfach eine exzellente, wirtschaftlich gute Situation."

"Vor Ort mehr tun"

Kritische Töne kommen weiterhin aus der CSU. Die jüngsten Beschlüsse der großen Koalition zur Bewältigung der Flüchtlingskrise seien ein "wichtiger Zwischenschritt", würden aber nicht reichen, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der "Bild"-Zeitung. "Das Grundproblem des extremen Flüchtlingszustroms bleibt", warnte Scheuer. Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Michael Frieser bescheinigte der EU in der "Bild" einen "Totalausfall in allen wesentlichen Flüchtlingsfragen".

Auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) rief die EU zum Handeln auf. Es sei "zynisch, wenn wir mit Brüssel um Hilfsgelder von einer Milliarde Euro für ein Notprogramm streiten müssen", sagte er am Montagabend dem Sender phoenix. "Wenn wir nicht handeln, versündigen wir uns an den europäischen Werten", warnte der CSU-Politiker.

In den vergangenen drei Jahren seien in Syrien und den Flüchtlingscamps der Umgebung 100.000 Babys geboren worden. "Müssen uns erst wieder Bilder von erfrorenen Kindern wachrütteln oder schaffen wir es nicht, einmal drei Monate im Voraus zu reagieren", sagte Müller.

Die EU müsse im Nahen Osten mehr für die Opfer von bewaffneten Konflikten tun, um die Flüchtlingskrise in Europa zu entschärfen. "Wenn wir vor Ort nicht mehr tun, werden sich die Menschen aufmachen, nach Deutschland und Europa zu kommen. Und wir können keine Mauer um uns herum bauen", warnte Müller.

Die Weltstaatengemeinschaft, die 1200 Milliarden Euro in Rüstungsgüter, aber nur 120 Milliarden Euro in Entwicklungszusammenarbeit investiere, müsse grundlegend umdenken, sagte Müller. "Entwicklungspolitik ist Friedens- und Zukunftspolitik."

Die Spitzen der großen Koalition hatten in der Nacht zum Montag beschlossen, dass der Bund die Mittel für die Flüchtlingshilfe im Haushalt 2016 um drei Milliarden Euro erhöht. Bundesländer und Kommunen sollen weitere drei Milliarden Euro erhalten. Das Kosovo, Albanien und Montenegro sollen zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, im Gegenzug sollen die Möglichkeiten zur legalen Migration ausgeweitet werden.

Uno-Diplomat rechnet mit drastisch mehr Flüchtlingen

Nach Angaben von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sollen die geplanten Gesetzesänderungen innerhalb der nächsten sechs Wochen durchs Parlament gebracht werden. Das Kabinett soll sich am 29. September damit beschäftigen. Am 15. Oktober soll das Gesetzespaket den Bundestag passieren, einen Tag später den Bundesrat. Das Milliardenpaket geht wichtigen Bundesländern jedoch nicht weit genug. Sie sind der Ansicht, dass das Geld bereits jetzt nicht ausreicht.

Deutschland hat seit Samstag angesichts der dramatischen Zustände in Ungarn Tausende Flüchtlinge aufgenommen. In München kommen immer noch Züge mit Migranten an, die von Ungarn aus über Österreich einreisen.

Nach Ansicht des Uno-Sondergesandten Staffan de Mistura könnte die Zahl der aus Syrien flüchtenden Menschen noch einmal drastisch steigen. Sollte sich der Bürgerkrieg auf das Gebiet der bislang weitgehend vom Konflikt verschont gebliebenen Mittelmeerstadt Latakia ausweiten, sei mit bis zu einer Million zusätzlichen Flüchtlingen zu rechnen, sagte der Diplomat in Brüssel. Zudem könne ein weiterer Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat die Fluchtbewegungen verstärken, sagte de Mistura: "Die Tendenz ist besorgniserregend."

ler/dpa
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