Integration von Flüchtlingen So schafft Deutschland das

Flüchtlinge in Dortmund: Mammutaufgabe Integration
Foto: Maja Hitij/ picture alliance / dpaDas neue Jahr wird schwieriger als das alte, was die Integration von Flüchtlingen angeht. Das kann man wohl jetzt schon sagen.
Im neuen Jahr werden weitere Flüchtlinge zu uns kommen. Und die, die bereits bei uns Asyl gesucht haben, müssen auch noch integriert werden. Für hunderttausende Flüchtlinge wird Deutschland ein richtiges Zuhause werden. Das Land will auch von ihnen profitieren, an Hochschulen, auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft. Dafür muss es etwas tun.
2015 ging es oft schlicht darum, Flüchtlinge vor Obdachlosigkeit zu schützen, ihnen das Notwendigste zu bieten, Essen, einen Schlafplatz. 2016 geht es um mehr: um die Zukunft der Flüchtlinge in Deutschland - und damit auch um Deutschlands Zukunft.
Welche Aufgaben muss die Politik erfüllen? Wo hakt es? Was läuft gut? Die vier entscheidenden Punkte:
1. Sprache und Werte

Deutschkurs für Migranten in Potsdam: Es muss mehr davon geben
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesCDU und CSU fordern eine Integrationspflicht. Wenn ein Flüchtling diese nicht erfüllt, sollen Sanktionen drohen. Integrationskurse, in denen Deutsch und auch Werte und Regeln vermittelt werden, gibt es bereits. Sie sind für bestimmte Zuwanderer auch verpflichtend. Nur schließt die Regierung Asylbewerber aus bestimmten Herkunftsländern, für die die Anerkennungsquote unter 50 Prozent liegt, davon aus. Das betrifft zum Beispiel Afghanen.
Auch andere Entscheidungen muten absurd an: So fördert die Bundesagentur für Arbeit 2016 keine Deutschkurse mehr für Asylbewerber aus Syrien, dem Irak, Iran und Eritrea. Es habe sich um ein einmaliges Angebot gehandelt. Dabei war das Modell, das nur einige Wochen lief, erfolgreich: Nach Informationen des Mediendienstes Integration haben von Ende Oktober bis Mitte Dezember rund 88.000 Menschen einen solchen Kurs besucht.
Statt weniger Deutschkurse muss es aber mehr geben. Denn die Sprache ist entscheidend dafür, dass jemand sich in die Gesellschaft eingliedern kann. Insgesamt muss das Deutschlernen für Flüchtlinge besser, kreativer und flexibler organisiert werden - etwa durch Teleteaching in Erstunterkünften. Außerdem sollten Gruppen, in denen sich Flüchtlinge organisiert haben, einbezogen und subventioniert werden. (In diesem Papier gibt es mehr Vorschläge dazu).
Statt mit Sanktionen zu drohen, sollten klügere Modelle ausprobiert werden: In Norwegen etwa gibt es Kurse in Gleichberechtigung für muslimische Flüchtlinge. Sie sind freiwillig, trotzdem gut besucht und vermutlich wirksamer, als wenn ein Flüchtling ein Papier unterschreibt, wie es der Union vorschwebt.
Die Politiker sollten, wenn es um die Vermittlung von Regeln geht, selbst aktiver werden und etwa Vorträge und Gespräche in Unterkünften organisieren - statt hier wie bisher das Feld den Ehrenamtlichen zu überlassen. Die ersten Orientierungshilfen für Flüchtlinge etwa kamen nicht von Behörden oder Ministerien, sondern von Privatseite .
2. Schulen und Kitas

Multikulti-Klasse in Hamburg: Kinder fit machen für den Regelunterricht
Foto: imagoRund 155.000 schulpflichtige Kinder und rund 94.000 Kinder im Krippen- und Kindergartenalter sind allein in diesem Jahr zu uns geflüchtet. Das schätzen Experten der Robert Bosch Stiftung . Andere Experten gehen von höheren Zahlen aus . Viele Flüchtlingskinder beherrschen weder Deutsch noch die lateinische Schrift und sind traumatisiert von Krieg und Flucht.
Damit sie trotzdem schnell für den regulären Unterricht fit gemacht werden können, muss viel passieren. So fehlen in fast allen Bundesländern Lehrer. Die Gewerkschaft GEW schätzt, dass für 100.000 neue Schüler 8250 zusätzliche Pädagogen nötig wären. Bisher haben die Länder aber erst insgesamt rund 8500 neue Lehrer eingestellt. Es fehlen also noch um die 4000. Das Familienministerium rechnet außerdem damit, dass mindestens 68.000 Kitaplätze geschaffen werden müssen.
Vielerorts mangelt es an ausgebildeten Kräften, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten können. Viele Schulministerien haben deshalb pensionierte Lehrer gebeten, aus dem Ruhestand zurückzukehren. Außerdem muss Seiteneinsteigern der Weg in den Lehrerberuf erleichtert werden.
Bisher fahren die Länder unterschiedliche Strategien bei der Integration: Die meisten Länder haben an den Schulen oder schulübergreifend Deutschklassen für Flüchtlingskinder eingerichtet. Rheinland-Pfalz und das Saarland setzen hingegen überwiegend darauf, Kinder von Anfang an in den Regelunterricht zu integrieren. Auch die Schulpflicht ist nicht einheitlich geregelt.
Experten fordern, dass sich die Länder besser abstimmen und auf eine bundesweite Schulpflicht für Flüchtlingskinder einigen. Das könnte auch dazu beitragen, bürokratische Hürden abzubauen. Derzeit dauert es manchmal Monate, bis Flüchtlingskinder zur Schule gehen können, weil sie auf einen Termin zur Beratung, Gesundheitsuntersuchung oder auf einen Schulplatz warten müssen.
3. Unterkunft und Wohnungsbau

Flüchtlingsunterkunft in Saalfeld: Möglichst würdig unterbringen
Foto: Martin Schutt/ dpaDie Flüchtlinge müssen möglichst schnell aus überfüllten Notunterkünften und Erstaufnahmelagern raus, in denen die Stimmung oft so angespannt ist, dass es immer wieder zu Schlägereien und Ausschreitungen kommt.
In Deutschland stehen auch rund 1,7 Millionen Wohnungen leer - aber leider vor allem auf dem Land, wo es wenige Arbeitsplätze gibt. Flüchtlinge wird es deshalb vor allem in die Städte ziehen. Dort aber herrschte schon vor dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen ein eklatanter Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
Kein Wunder: Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich seit 2002 fast halbiert und sinkt weiter. 2016 kommt es also darauf an, erschwingliche Wohnungen zu bauen, sowohl für die Flüchtlinge als auch für die eingesessene Bevölkerung. Mieterbund, Bau- und Wohnungswirtschaft halten 400.000 neue Wohnungen jedes Jahr für nötig, davon 80.000 Sozial- und 60.000 bezahlbare Wohnungen.
Bund und Länder sollten deshalb 2016 die Förderung von Sozialwohnungen deutlich auf mindestens eine, besser zwei Milliarden Euro erhöhen, das Planrecht vereinfachen und eigene Grundstücke günstig zur Verfügung stellen.
Und: Wo nun in aller Eile Wohnraum für Flüchtlinge hochgezogen werden muss, sind intelligente Konzepte für die Nachnutzung gefragt - wie etwa in Berlin und Hamburg.
4. Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt

Schnell qualifizieren: Ausbilderin und Flüchtling bauen in Berlin einen Holzhocker
Foto: imagoEine wichtige Voraussetzung, damit die Integration auf dem Arbeitsmarkt gelingt, hat der Bundestag bereits im Oktober geschaffen: Das Beschäftigungsverbot für Asylbewerber wurde auf drei Monate verkürzt. Ab dem vierten Monat dürfen sie - mit Erlaubnis der Ausländerbehörde - arbeiten.
Die größte Hürde ist dabei noch die Vorrangprüfung, bei der die Arbeitsagentur prüft, ob eine angebotene Stelle auch von einem Deutschen oder EU-Bürger besetzt werden kann. Bisher entfällt dieser Check erst nach 15 Monaten. Für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt müsste die Vorrangprüfung für Asylsuchende mit hoher Bleibeperspektive komplett fallen. Die meisten Wirtschaftsminister der Bundesländer haben sich bereits dafür ausgesprochen.
Unternehmen dürfen Asylbewerber derzeit noch überhaupt nicht gründen - für viele von ihnen wäre die Selbstständigkeit jedoch eine gute Perspektive.
Die Arbeitgeber wünschen sich zudem mehr Sicherheit mit der sogenannten 3+2-Lösung: Nach drei Jahren Lehrzeit sollen junge Asylbewerber mindestens zwei Jahre bleiben. Erst dann lohne sich die Investition in die Ausbildung. Geschätzt mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind jünger als 25 Jahre. Viele von ihnen sind Kandidaten für eine Berufsausbildung - und potenzieller Nachwuchs fürs deutsche Handwerk, das dringend nach Fachkräften sucht.
Damit Flüchtlinge schnell qualifiziert werden können, fordern die Experten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), zwei bereits bewährte Instrumente weiter auszubauen: die sogenannte Assistierte Ausbildung, bei der ein Coach die Auszubildenden begleitet, und die Einstiegsqualifikation, eine Art Vorausbildung in Betrieb und Berufsschule.
Auch die Hochschulen sollen und wollen dafür sorgen, dass Flüchtlinge einfacher studieren können. Noch sind die Hürden meist hoch, denn Bewerber können oft keine Zeugnisse und keinen Aufenthaltstitel vorlegen, und viele Hochschulen tun sich schwer, ausländische Abschlüsse anzuerkennen. Der Bund will sie mit 27 Millionen Euro im kommenden Jahr bei der Integration von Flüchtlingen unterstützen. Trotzdem bleibt es eine Mammutaufgabe, denn viele Hochschulen sind mit der Rekordzahl von 2,8 Millionen Studenten ohnehin überlastet.