Markus Feldenkirchen

Aufnahme von nur 50 Flüchtlingen Politik des kalten Herzens

Markus Feldenkirchen
Ein Kommentar von Markus Feldenkirchen
Deutschland will zunächst nur 50 Kinder aus den elenden Flüchtlingslagern in Griechenland aufnehmen - und selbst diese Anzahl ist einigen noch zu hoch. Diese Kleinlichkeit ist skandalös inhuman.
Hinterlassenschaft einer Demonstration für die Aufnahme von Flüchtlingen, Berlin, 5. April 2020

Hinterlassenschaft einer Demonstration für die Aufnahme von Flüchtlingen, Berlin, 5. April 2020

Foto:

MICHELE TANTUSSI/ REUTERS

50 Kinder will die Bundesregierung also aus den griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland holen. Und offenbar will sie diese Bereitschaft auch noch als Ausdruck besonderer Humanität verkaufen. Das ist so, als würde Jeff Bezos, der reichste Mensch der Welt, einen Dollar an die Welthungerhilfe spenden - und sich dafür als Wohltäter feiern. Man würde ihm zurecht den Vogel zeigen.

"Sehr zeitnah" sollen "bis zu 50 unbegleitete Minderjährige zur Entlastung der griechischen Inseln" nach Deutschland gebracht werden, teilt die Bundesregierung nun mit. "In einem ersten Schritt", wie es heißt. Es könnte also sein, dass irgendwann ein paar weitere Kinder nachfolgen dürfen. Doch selbst die Verdoppelung von "lächerlich wenig" bliebe verschwindend gering. Dass andere europäische Länder nicht mal einem einzigen notleidenden Kind helfen wollen, macht die Schande nicht weniger schändlich. Die elf Minderjährigen, die das kleine Luxemburg mit seinen 630.000 Einwohnern aufzunehmen bereit ist, wirken im Vergleich jedenfalls wie eine Sternstunde der Mitmenschlichkeit.

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Es ist sicherlich richtig, Fehler aus dem Herbst 2015 nicht wiederholen zu wollen. Damals folgte auf den humanitären Akt des Anfangs, als ein paar Tausend in Budapest gestrandete Geflüchtete von der Kanzlerin und vielen Bürgern mit offenen Armen empfangen wurde, ein Kontrollverlust. Es folgten zu viele Migranten in zu kurzer Zeit nach Deutschland, die Behörden verloren die Übersicht darüber, wer da über die Grenzen kam. Eine Registrierung fand phasenweise nicht statt. Für die AfD war diese Flüchtlingskrise "ein Geschenk des Himmels", wie ihr Fraktionschef Alexander Gauland einst freimütig bekannte. Das Klima wurde rauer, der gesellschaftliche Friede geriet in Gefahr.

Dass sich dieser Kontrollverlust samt seiner Folgen nicht wiederholen darf, ist der richtigste Allgemeinplatz der deutschen Politik. Aber das, worum es jetzt geht, hat nicht im Entferntesten mit 2015 zu tun. Selbst wenn Deutschland 20 Mal so viele Kinder aus den griechischen Lagern holen würde, wäre die Situation nicht vergleichbar. Anders als im Jahr 2015, könnten den ersten Geretteten keine weiteren Menschen nach Deutschland folgen. Die Balkanroute ist dicht und der deutsche Staat auf Grenzkontrollen vorbereitet. Wer nun ein ähnliches Szenario wie damals heraufbeschwört, handelt unredlich. Es geht tatsächlich nur um die Schwächsten von denen, die gerade unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Lagern hausen. 40.000 sind es allein auf den Inseln, darunter rund 14.000 Minderjährige.

Trotzdem verfolgt die Große Koalition eine Politik des kalten Herzens. Wovor sie Angst hat, verriet in diesen Tagen der CDU-Chef von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht. Flüchtlingskinder aus Griechenland nach Deutschland zu holen, sei "derzeit absolut unangemessen", "deplatziert" sowie "politisch und gesundheitlich untragbar". Mit "politisch" meinte er die Sorge, der AfD Auftrieb zu verleihen. Mit "gesundheitlich" die Angst vor Corona-Infizierungen.

Wenn aber eine Regierung aus Angst vor einer Partei und einem Virus die eigenen humanitären Grundsätze verrät, scheint ihr Wertefundament nicht allzu stabil zu sein. Der AfD und ihren Sympathisanten sollte man mit Argumenten statt mit vorauseilendem Gehorsam begegnen.

Der ängstliche Verweis auf den Coronavirus ist noch abwegiger. Wenn jeder Karnevalist aus Heinsberg und jeder Sauf-Tourist in Ischgl eine große Gefahr für die Volksgesundheit darstellen, ist die Beschreibung von Geflüchteten als Infektionsrisiko nicht nur unsachlich. Sie ist ein Skandal.

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