Neiddebatte in der Flüchtlingskrise Die Angst der SPD vor dem kleinen Mann

SPD-Chef Gabriel: Was tun gegen die Ängste in der Bevölkerung?
Foto: www.marco-urban.deEr redet seit Monaten davon. Schon im Sommer - Wochen, bevor Angela Merkel die in Ungarn gestrandeten Menschen nach Deutschland ließ - mahnte Sigmar Gabriel, man dürfe in der Flüchtlingskrise die Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung nicht vernachlässigen. Aber der SPD-Chef und Vizekanzler ist nicht durchgedrungen. Nicht in der Öffentlichkeit, nicht gegenüber dem Koalitionspartner - so recht nicht einmal in seiner eigenen Partei.
"Supergefährlich" nennt Gabriel nun den Satz, der ihm allenthalben entgegengehalten werde und dem er eigentlich entgehen wollte: "Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts."
Dieser Satz ist tatsächlich supergefährlich für die Gesellschaft. Aber gut zwei Wochen vor den wichtigen drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist er wohl noch supergefährlicher für Gabriels Partei selbst. Denn längst hat auch ein Teil der SPD-Klientel den Eindruck, dass sie nun zu kurz kommt.
Die Agenda 2010 von Gerhard Schröder hat den Rückhalt in dieser Wählergruppe zwar ohnehin stark schrumpfen lassen. Aber noch immer fühlen sich viele der sogenannten kleinen Leute am besten von der SPD vertreten. Jener Bevölkerungsteil, der sehr genau aufs Geld schauen muss - und umso mehr auf staatliche Leistungen baut: Beispiel sozialer Wohnungsbau, Beispiel öffentliche Kitaplätze.
"Neues Solidaritätsprojekt für eigene Bevölkerung"
An diese Menschen dürfte Gabriel besonders gedacht haben, wenn er bisher immer von der "doppelten Integrationsaufgabe" der deutschen Politik sprach. In der ZDF-Talkshow von Maybritt Illner hat es der Vizekanzler am Donnerstagabend nun mit einem frischen Bild versucht: Ein "neues Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung" sei notwendig, sagte Gabriel. Die deutschen Bürger müssten merken, "dass ihre Bedürfnisse nicht weiter unter die Räder geraten". Auch die Aufstockung geringer Renten brachte er ins Gespräch.
Vor seinem Illner-Auftritt hat Gabriel am Donnerstag Wahlkampf in Magdeburg gemacht. Dort konnte er erleben, wie mies die Stimmung ist - und was das für seine Partei möglicherweise bedeutet. Eine aktuelle Umfrage sieht die SPD in Sachsen-Anhalt sogar hinter der AfD. In Baden-Württemberg stehen die Sozialdemokraten in den Umfragen ebenfalls mies da, auch hier verliert man unter anderem an die Rechtspopulisten. Nur in Rheinland-Pfalz scheint die SPD kaum unter der AfD zu leiden.
Die AfD beschleunigt die Neiddebatte, vor der Gabriel schon im August in der SPD-Bundestagsfraktion das erste Mal gewarnt hat und dann in unzähligen Interviews und Auftritten immer wieder: Die rechtspopulistische Partei macht die existierenden Ängste der Menschen größer. Und sie findet besonders viel Zustimmung bei denen, die sich ohnehin abgehängt fühlen.
Der CDU macht die AfD ja auch erheblich zu schaffen, aber die Christdemokraten kommen oft von einem deutlich höheren Umfrageniveau. Deshalb ist SPD-Chef Gabriel nun in höchster Alarmbereitschaft - und offenbar bereit zu handfesten Konflikten innerhalb seiner Partei und der Koalition.
Mancher Genosse widmet sich lieber den Flüchtlingen
Bei den Sozialdemokraten stellt sich die Lage so dar: Offiziell steht die SPD hinter Gabriels Plänen, es gibt sogar einen Parteitagsbeschluss zur doppelten Integration. Aber ein Teil der SPD widmet sich viel lieber ausschließlich den Flüchtlingen. Das sind diejenigen, die Gabriel seinerzeit für seine Pegida-Beschnupperung heftig kritisierten und ihn ohnehin für einen notorischen Rechts-Ausleger halten. Mancher aus diesem Lager würde dem Parteichef wohl schon allein wegen seiner Sätze bei Illner am liebsten die Gefolgschaft kündigen.
Aber das größere Konfliktpotenzial gibt es zwischen Gabriel und der Union. Es könne nicht sein, dass die Bundesregierung Haushaltsüberschüsse für sakrosankt erkläre, sagte der SPD-Chef im ZDF. Damit meint er die schwarze Null, an der Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) trotz der Flüchtlingskrise festhalten. Nicht einmal die notwendigen Milliardenausgaben für die wirkliche Integration der Flüchtlinge sind ja bisher Konsens innerhalb der Koalition, die SPD drängt darauf seit Wochen.
Am Ende geht es aber um mehr als kurzfristige Haushaltsbilanzen. Gabriel hat das auf einem SPD-Kongress im Oktober in Mainz schon einmal formuliert: Zentrale Fixpunkte des konservativen Weltbilds würden ins Wanken geraten, wenn man die Sache mit der doppelten Integration ernst nähme - weniger Staat, weniger Steuern, weniger Regeln.
Ist die Union dafür bereit?
Die ersten Reaktionen sprechen eher für das Gegenteil: Kanzlerin Merkel äußerte sich am Freitag genauso zurückhaltend auf den Vorstoß Gabriels wie Finanzminister Schäuble. Der CDU-Politiker sprach von einer "künstlichen Differenz".
Tatsächlich aber ist es wohl viel mehr als das.