Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt Merkel verspricht Ländern eine Asyl-Kopfpauschale

Einigung zu später Stunde: Der Bund entlastet die Länder und Kommunen dauerhaft - mit einer Pauschale von 670 Euro pro Asylbewerber und Monat. Doch was passiert, wenn mehr Flüchtlinge kommen als erwartet?
Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt: Merkel verspricht Ländern eine Asyl-Kopfpauschale

Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt: Merkel verspricht Ländern eine Asyl-Kopfpauschale

Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpa

Das Schöne am Kanzler-Sein: Man kann Dinge behaupten, die dann mit allerhöchster Autorität plausibel klingen, auch wenn sie es gar nicht sind. Angela Merkel wird an diesem späten Abend gefragt, warum der Bund-Länder-Gipfel so viel länger gedauert habe als geplant. Drei Stunden waren anvisiert, knapp sieben sind es insgesamt geworden.

Die CDU-Chefin sagt: "Es hat eigentlich wenig länger gedauert als ich erwartet hatte." Sie müsse ja noch ihr Flugzeug nach New York bekommen, wo Merkel vor der Uno sprechen wird - "und da komme ich jetzt noch gut hin", sagt die Kanzlerin lächelnd nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.

Alles paletti also?

Nein. Denn es war ein gewaltiger Kraftakt, mit dem sich Bund und Länder am Donnerstag auf zentrale Schritte zur Bewältigung der Flüchtlingskrise verständigt haben.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der mit seinem brandenburgischen SPD-Amtskollegen Dietmar Woidke und Merkel die Ergebnisse verkündet, sagt zu der Einigung: "Um 9 heute Morgen war das noch nicht vorstellbar." Haseloff sieht auch so aus, als hätte er an diesem Tag an einer Herkulesaufgabe mitgewirkt: erschöpft.

Die Ministerpräsidenten waren sich untereinander lange nicht einig, noch am Donnerstagnachmittag mussten sich die CDU-Länder abermals intern abstimmen. Deshalb startete die große Runde aller Länderchefs plus Kanzlerin und ihrem kompletten Kabinett verspätet - und dann hakte es auch schon wieder. Das Geld. Beziehungsweise die Frage, wie die Finanzierung der Flüchtlingskrise künftig zwischen Bund und Ländern verteilt wird. Vier Ministerpräsidenten verhandelten nun separat mit Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Pauschale von 670 Euro monatlich pro Flüchtling

Geeinigt hat man sich auf folgende Lösung: Der Bund wird ab 2016 eine Pauschale von monatlich 670 Euro pro Flüchtling übernehmen. Merkel spricht von einem "atmenden System": Gemeint ist, dass anders als bisher geplant keine fixe Summe vom Bund bezahlt wird, sondern dem Bedarf entsprechend. Zudem hat die Pauschalen-Lösung den Vorteil, dass damit auch die Mittel-Weitergabe der Länder an ihre Kommunen transparenter organisiert werden kann.

Bei einer Prognose von 800.000 Flüchtlingen würde der Bund 2016 insgesamt rund vier Milliarden Euro an die Länder überweisen - mehr als bisher geplant, für das laufende Jahr will er seine Finanzhilfe auf zwei Milliarden Euro verdoppeln. In den Mitteln sind auch Ausgaben für Wohnungsbau und andere Investitionen enthalten.

Der Nachteil aus Sicht vor allem von Finanzminister Schäuble: Wenn mehr Flüchtlinge kommen, muss der Bund auch mehr bezahlen. Und dann wäre das Ziel der sogenannten schwarzen Null für die Haushalte der kommenden Jahre wohl nicht mehr zu halten.

Aber zur Erinnerung: Es geht in der Flüchtlingskrise um eine "nationale, europäische und globale Kraftanstrengung", wie es die Kanzlerin am Donnerstagmorgen im Bundestag in ihrer Regierungserklärung formulierte. Darf da die schwarze Null noch eine entscheidende Rolle spielen?

Darüber gibt es zwischen Union und SPD unterschiedliche Vorstellungen, genau wie bei anderen Punkten. Dass sich die Große Koalition und die Länder nun auf ihr Zehn-Seiten-Papier verständigt haben, ist deshalb schon was: Die Union wollte einige - aus ihrer Sicht - die Flucht nach Deutschland fördernde Anreize beseitigen, beispielsweise soll es mehr Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber geben. Auch die Kürzung der Mittel an Abgelehnte auf ein Minimum ist in diesem Sinne zu verstehen, genau wie die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Kosovo, Albanien und Montenegro. Dafür braucht man zwar einige grüne Stimmen im Bundesrat, aber derer ist man relativ sicher.

SPD-Herzensanliegen: sozialer Wohnungsbau

Diese Punkte hat die SPD akzeptiert, dafür setzte sie Mittel für den sozialen Wohnungsbau in Höhe von 500 Millionen Euro durch - ein sozialdemokratisches Herzensanliegen. In diese Kategorie gehören auch Extrazahlungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Die Kanzlerin gibt sich zufrieden, "mehr kann man echt nicht wollen", heißt es aus der SPD, auch die Länder-Vertreter loben die Beschlüsse. Das Problem ist nur, dass deren Umsetzung jetzt erst beginnt: Noch am Dienstag sollen die entsprechenden Gesetze durchs Kabinett, dann im Eilverfahren den Bundestag- und -rat passieren, ab 1. November bereits gelten.

Klingt gut. Aber wie belastbar ist der erzielte Konsens eigentlich in der Praxis? Bayerns CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer saß am Donnerstag mit im Kanzleramt, er sieht die Flüchtlingskrise im Gegensatz zur Kanzlerin vor allem als Belastung. Und auch in Merkels eigener Partei brodelt es in dieser Frage. Und was passiert, falls es doch mehr werden als 800.000 Flüchtlinge in diesem Jahr und die Zahl auch 2016 nicht deutlich schrumpft? Brandenburgs Ministerpräsident Woidke ist da ganz ehrlich: "Wir hoffen, dass es keine weitere Steigerung gibt", sagt er.

Und wenn doch? Dann wird man sehen, was die Einigung vom Donnerstagabend wert ist.

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