Union in der Flüchtlingskrise Ein Herz und eine Seele

Union in der Flüchtlingskrise: Ein Herz und eine Seele
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaZehneinhalb Stunden haben sie am vergangenen Wochenende verhandelt und schließlich sechs Seiten für ein gemeinsames Papier verfasst. Eine "Formulierungsolympiade" sei das gewesen, und, ja doch, ein "Vergnügen", mit der Kanzlerin die Positionen aufzuschreiben: "Einen Spiegelstrich hier, einen Spiegelstrich da."
Genau so sagt das Horst Seehofer an diesem Dienstag: Olympiade, Vergnügen, Spiegelstriche. Man darf das getrost übersetzen als: Ringen um jedes Wort. Der CSU-Chef ist nach Berlin gereist, um die Einigung mit Angela Merkel in der Flüchtlingskrise zu zelebrieren. Erst vor Journalisten, später dann vor der Unionsfraktion im Bundestag.
Über Wochen hat er die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise attackiert. Er hat laut über Notwehr nachgedacht, ein Ultimatum gestellt und eine Verfassungsklage erwogen.
Jetzt steht in dem gemeinsamen Positionspapier mit der CDU seine Forderung nach Transitzonen und Einschränkungen beim Familiennachzug. Ein Erfolg. Zudem soll, so heißt es da, die Zuwanderung geordnet, gesteuert und Fluchtursachen bekämpft werden, "um so die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren". Ein Erfolg?
Reduzieren - das ist das entscheidende Wort. Von einer Obergrenze oder Begrenzung, wie Seehofer es ursprünglich vorschwebte, ist dort nicht die Rede.
In Merkels Umfeld lassen sie es sich natürlich nicht nehmen, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen. Seehofer dagegen sagt, er könne mit "Reduzierung" leben, die Debatte um Begrifflichkeiten sei ihm "nicht noch ein Wochenende wert".
Der 66-Jährige macht Politik im Stile eines Blasebalgs: Erst entweicht mit voller Kraft die Luft und heizt die Glut an. Dann folgt eine Phase der Erholung, in der neue Luft eingesogen wird. Seehofer ist gerade in dieser Phase, er deeskaliert die Situation mit der Schwesterpartei, um gemeinsam gegen die SPD für die Transitzonen zu kämpfen (Lesen Sie hier mehr über diese Zonen).
Folgerichtig spricht der CSU-Vorsitzende am Dienstag vorm Fraktionssaal gemeinsam mit Merkel unisono von Reduzierung. Ein Herz und eine Seele. Familienstress in der Union - war da was?
Vor den Abgeordneten von CDU und CSU witzelt Seehofer über die Wortklauberei, spricht sowohl von Begrenzung als auch von Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Doppelt hält besser. Und Merkel? Auch sie nutzt Teilnehmern zufolge das Wort von der Begrenzung einmal - wenn auch etwas "verschämt". Einer, der Merkel in der Flüchtlingspolitik kritisch sieht, sagt später, Seehofer habe einen "bärenstarken Auftritt" hingelegt.
Freundlicher Applaus sei nicht allein vom CSU-Teil der Fraktion gekommen, sondern auch von den CDU-Abgeordneten aus dem Osten. Die Stimmung in der Fraktion ist: entspannt. Nix mit Rebellion.
Beim letzten Mal, vor zwei Wochen, hatte es noch eine lebhafte Debatte über die Flüchtlingspolitik gegeben, die Kanzlerin musste sich kritische Fragen anhören. Seehofer hat sie diesmal davor bewahrt; sie macht ihm im Gegenzug Zugeständnisse.
Und wie geht es nun weiter? Erst mal geht es gegen die SPD. Der gemeinsame Gegner soll die verzofften Unionsparteien zusammenführen. "Wir sind jetzt sehr gefestigt", sagt Seehofer.
Am Donnerstag steht das nächste Spitzentreffen von Seehofer und Merkel mit SPD-Chef Sigmar Gabriel an. Die SPD solle dann bitteschön den "Fuß von der Bremse nehmen". So sagt das Michael Grosse-Brömer, der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion.
Und ob die Transitzone am Ende Transitzone oder Einreisezentrum heißt, wie von der SPD gefordert, das scheint für Grosse-Brömer nicht kriegsentscheidend zu sein - hier fällt ebenfalls das Wort, das auch Seehofer in anderem Zusammenhang nutzte: "Es ist keine Zeit für Wortklaubereien." Die SPD habe die Chance, sich bei der konkreten Ausgestaltung einzubringen, wenn sie verbal abrüste.
Gabriel derweil gab sich vor seiner Fraktion zwar kampfeslustig: "Wir machen keine Symbolpolitik mit, nur damit Horsti wieder zufrieden ist." Doch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zeigte sich deutlich optimistischer, als er vor der Sitzung davon sprach, "dass wir uns aufeinander zubewegen" - falls man auf haftähnliche Einrichtungen verzichte. Seehofer sagte, die drei Parteivorsitzenden sollten mit dem Anspruch in den Donnerstag gehen, sich zu verständigen. Ein "Ultimatum" übrigens sei das nicht, eher eine "Selbstverpflichtung".
Am Ende, man ahnt das schon, ist das Ganze natürlich eine Frage der Formulierungen.
Zusammengefasst: CDU und CSU haben vorerst ihren wochenlangen Streit über den Umgang mit der Flüchtlingskrise beigelegt. CSU-Chef Horst Seehofer trat mit Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag gemeinsam vor der Unionsfraktion auf. CDU, CSU und SPD sollen laut Seehofer beim kommenden Koalitionsgipfel am Donnerstag versuchen, zueinanderzufinden. Das sei "kein Ultimatum, sondern eine Selbstverpflichtung".
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