
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Imperialismus des Herzens


Freiwillige am Münchner Hauptbahnhof: Wir werden immer mehr, aber immer einsamer
Foto: Philipp Guelland/ Getty ImagesEine Völkerwanderung, wie sie der Kontinent seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erlebt hat: Das ist, was wir sehen, wenn wir den Fernseher oder den Computer anschalten. Was wir erst langsam begreifen, weil uns dafür die Bilder fehlen: Mit der Entscheidung der Bundesregierung, das europäische Grenzregime auszuhebeln, ist auch ein halbes Jahrhundert europäischer Nachkriegsordnung überholt.
Dass die Deutschen es tunlichst vermeiden sollten, ihre Stärke auszuspielen, galt seit Adenauer als Axiom deutscher Außenpolitik. Ein guter Nachbar zu sein, war Leitlinie aller deutschen Kanzler, was im Zweifel auch bedeutete, die eigenen Vorstellungen, was für den Kontinent das Beste sei, zurückzustellen, oder jedenfalls so lange um Zustimmung zu werben, bis man eine Mehrheit auf seiner Seite wusste. Nie wieder wollte Deutschland Sonderwege beschreiten. Das Wort "Sonderweg", in dem ja immer die Idee vom besonderen Wert Deutschlands mitschwang, beinhaltete bereits alles, was man zum Glück hinter sich wusste.
Der deutsche Sonderwegmarschierer ist zurück. Diesmal zwingen wir den anderen nicht in Knobelbechern unseren Willen auf, sondern in Birkenstock-Sandale und Batiktuch. Die Gründe für das neue Überlegenheitsgefühl mögen die ehrenwertesten seien, aber wie jede Bevormundung stößt auch der Imperialismus des Herzens auf Befremden und Ablehnung.
Wir werden immer mehr, aber immer einsamer
Die freundliche Presse sollte uns nicht täuschen. Solange die Flüchtlinge in Deutschland bleiben, schauen die Nachbarn gerne zu, wie wir Herzen und Scheunen öffnen. Sobald wir von ihnen allerdings verlangen, dem Rettungswerk beizutreten, hört der Spaß auf. Sollte es das Kalkül der Kanzlerin gewesen sein, dass sich die Nachbarn an unserer Mildtätigkeit ein Beispiel nehmen, hat sie sich gründlich verrechnet. Wir werden immer mehr, aber immer einsamer, wie Roland Tichy in einem Kommentar die Lage treffend zusammengefasst hat.
Es sind nicht nur die herzlosen Ungarn, die nicht mitmachen wollen. Auch die Esten, die Letten und die Finnen, die in der Griechenlandkrise an unserer Seite standen, haben uns in der Flüchtlingskrise verlassen. Vergangene Woche kündigten die Dänen die Gefolgschaft, weil sie nicht einfach Tausende Asylbewerber ungeprüft durchs Land lassen wollten. Tatsächlich ist weit und breit kein einziges Land in Sicht, das bereit wäre, sich die deutsche Willkommenskultur zum Vorbild zu nehmen. Immerhin: Die Briten haben sich nach langem Hin und Her bereit erklärt, 20.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen - bis zum Jahr 2020. Dass dies inzwischen schon als Erfolg gewertet wird, sagt eigentlich alles.
Die Entscheidung der Bundesregierung, die Grenze nach Süden wieder zu kontrollieren, ist das Eingeständnis, dass man sich keinen Rat mehr weiß. Die Quotenregelung, die nun die Lösung bringen soll, lässt auf sich warten. Und selbst, wenn es sie eines Tages geben sollte, wird sie nicht mehr sein als ein Witz. Soll man die Menschen in Prag oder Budapest anbinden, damit sie nicht dahin gehen, wo es ihnen am besten gefällt? Von den über 15.000 Flüchtlingen, die am 5. und 6. September die Grenze überquerten, beantragten 90 in Österreich Asyl. Auch Österreich ist sehr schön. Es hat die Alpen, kristallklare Bergseen und Mehlspeisen zum Niederknien, aber all das reicht nicht, um die Migranten zum Bleiben zu bewegen.
Die Anzeichen, dass schon alles gut wird, sind wenig ermutigend
Wenn nicht alles täuscht, wird auch hierzulande vielen mulmig, auf welches Abenteuer man sich eingelassen hat, als man mal eben europäisches Recht suspendierte. Der Flüchtling ist kein Wellensittich, den man wieder an die frische Luft setzen kann, wenn man die Lust verliert. Wenn die Aktivisten der "Refugees Welcome"-Komitees längst wieder mit anderen Dingen beschäftigt sind, wird es den Frauen und Männern vom Roten Kreuz, den Leuten von der Caritas oder dem Arbeitersamariterbund überlassen bleiben, sich um die hier Gestrandeten zu kümmern.
Die Anzeichen, dass schon alles gut wird, sind wenig ermutigend. Erste Erhebungen zeigen: Asylbewerber in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wird nicht leicht werden, wie Andrea Nahles im Bundestag berichtete. Nicht mal jeder Zehnte besitzt die ausreichende Qualifikation als eine jener Fachkräfte, auf die wir so viele Hoffnung setzen. Der Innenminister schätzt, dass 15 bis 20 Prozent der Ankommenden Analphabeten sind.
Den Mindestlohn aufzuheben, um wenigstens ein paar tausend ungelernten Arbeitskräften die Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, wäre ein Weg, ihnen den Einstieg zu erleichtern. Aber so war der Appell der Kanzlerin, in der Krise ein wenig flexibler zu agieren, selbstverständlich nicht gemeint.
Man kann alle zu Rassisten erklären, die einem in der Selbstverpflichtung zur Großzügigkeit nicht folgen wollen. Man kann die Spanier der Fremdenfeindlichkeit bezichtigen, die Briten, die Dänen und alle Osteuropäer. Aus vielen Kommentaren spricht eine erstaunliche Herablassung gegenüber den europäischen Nachbarn, die nicht so denken wie wir.
Den Chauvinismus niedergerungen zu haben, galt in diesem Land einmal als große Tat. Jetzt ist der Chauvinismus als Tugendstolz zurück.