Corona-Hilfen in Deutschland »Das ist ein Konjunkturpaket für Männer«

Familienministerin Giffey, im Juni 2020
Foto: Kay Nietfeld/ dpa
Claudia Wiesner ist Professorin für Politikwissenschaft an der Fulda University of Applied Sciences. Sie forscht vor allem zu Demokratie in der EU und ihren Mitgliedstaaten. Für ihr Diskussionspapier über das Konjunkturpaket der Bundesregierung hat sie ausgerechnet, wie viele der finanziellen Maßnahmen Frauen zugutekommen. Das Ergebnis: Nur rund 4 Prozent des Geldes entfällt auf Bereiche, in denen Frauen mehrheitlich vertreten sind.
SPIEGEL: Wenn Sie die Bundesregierung benoten müssten für das, was sie während der Pandemie für Frauen getan hat: Welche Schulnote würden Sie ihr geben?
Wiesner: 3-.
SPIEGEL: Nicht schlechter?
Wiesner: Die Bundesregierung bekommt keine schlechtere Note von mir, denn sie will im zweiten Lockdown unbedingt Schulen und Betreuungseinrichtungen offen halten . Bund und Länder haben eine Konsequenz daraus gezogen, dass die Schulen keine Infektionstreiber sind und viele Eltern wirklich nicht mehr konnten. Politikerinnen und Politiker sind also durchaus lernfähig.
SPIEGEL: Im Konjunkturpaket, das im Sommer verabschiedet wurde, kommen Frauen nach Ihren Berechnungen nicht gut weg.
Wiesner: Stimmt. Das ist ein Konjunkturpaket für Männer. Natürlich steht das nicht als Titel drüber, weil es nicht so gedacht ist. Aber das Geld kommt vor allem bei Männern an, und das liegt an unseren Strukturen. Zum Beispiel verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt ungefähr ein Fünftel weniger als Männer. Das führte in der Krise dazu, dass Frauen weniger Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld bekamen, weil ihr Nettolohn kleiner ist. Frauen arbeiten außerdem häufiger in prekären Beschäftigungsverhältnissen, und sie haben etwa als Pflegekräfte das größere Infektionsrisiko. Sie haben auch im Lockdown stärker als die Männer die Totalausfälle in der Kinderbetreuung aufgefangen. Die Frage ist: Was tut man, wenn man weiß, dass Frauen aus all diesen Gründen in der Pandemie besonders belastet sind? Die Bundesregierung hat kaum versucht, das aufzufangen.
SPIEGEL: Sie haben ausgerechnet, dass von den 167,4 Milliarden Euro an Konjunkturmaßnahmen gerade einmal 6,95 Milliarden Euro an Branchen und Bereiche gehen, die eher Frauen zugutekommen. Woher kommt diese Zahl?
Wiesner: Ich habe die Summen, die in bestimmte Branchen fließen, in Beziehung zu den Frauenanteilen gesetzt. In den 6,95 Milliarden Euro – und das sind nur 4,2 Prozent des Gesamtpakets! – stecken zum Beispiel jene 1,9 Milliarden Euro, die an soziale Einrichtungen und an den Kulturbereich gehen. Dort arbeiten vorwiegend weibliche Beschäftigte. Demgegenüber stehen in dem Paket jede Menge Investitionsanteile. Die kommen vorwiegend Männern zugute, weil Investitionen vor allem in die Branchen Bau und IT fließen. Und der Frauenanteil in diesen Branchen liegt zwischen einem und fünfzehn Prozent.
SPIEGEL: Und der Rest des Geldes?
Wiesner: Die anderen 5,05 Milliarden stecken im Familienbonus und in der Erhöhung des Freibetrags für Alleinerziehende. Der Familienbonus ist eine Maßnahme zur Konsumförderung und hilft damit gar nicht gegen strukturelle Probleme. Meine Kinder haben mich gefragt, ob sie von den 300 Euro Kinderbonus jeder ein Handy bekommen können. Das kriegen sie natürlich nicht – aber die Idee zeigt, dass der Betrag nichts von dem ändert, was Eltern während der Pandemie an Mehrbelastung schultern mussten. Auch Geringverdienern hilft er kaum, weil es einfach zu wenig ist.
SPIEGEL: Was ist mit den drei Milliarden Euro für Kinderbetreuungseinrichtungen, zählen die gar nicht dazu?
Wiesner: Das sind reine Investitionsmaßnahmen. Dadurch gibt es nicht mehr Kitaplätze und auch nicht mehr Lohn für die Betreuungskräfte. Davon profitieren also nicht die Erzieherinnen und Lehrerinnen, sondern wieder Bauindustrie und IT. Insgesamt kommen so 73 Prozent des Konjunkturpakets vorwiegend Männern zugute. Damit widerspricht das Konjunkturpaket aber der Selbstverpflichtung der Bundesregierung, alle Maßnahmen geschlechtsneutral auszurichten. Meine Vermutung ist, dass sie in der Krise auf Altbewährtes zurückgreift: Konjunkturförderung fließt klassischerweise immer in die Baubranche, weil die ein Konjunkturmotor ist. Außerdem ist dieses Land immer noch konservativ aufgestellt mit Blick auf die Rolle von Frauen.
SPIEGEL: Woran machen Sie das fest?
Wiesner: Wir haben erst seit zwölf Jahren einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung von Kindern unter drei Jahren. In vielen Köpfen ist noch die Idee, dass vor allem Mama für die Kinder zuständig ist und deshalb eben im Beruf nicht so durchstarten kann, Papa aber das Geld verdienen muss. Und: Wenn das Thema Frauen und Gleichstellung in der Pandemie Priorität gehabt hätte, dann hätte die Bundeskanzlerin auch nicht auf eine Familienministerin im Corona-Kabinett verzichtet .
SPIEGEL: Die Pandemie macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Frauen mitentscheiden?
Wiesner: Ja, das ist nicht nur auf Bundesebene ein Thema. Ungefähr 13 Milliarden Euro des Konjunkturpakets gehen an Länder und Kommunen für Investitionen. Dort gibt es kaum weibliche Entscheider: Von 16 Bundesländern werden nur zwei von Ministerpräsidentinnen regiert. Nur zehn Prozent der Bürgermeister- und Oberbürgermeisterposten sind mit Frauen besetzt. Ich will nicht sagen, Männer können keine gleichstellungspolitisch klugen Entscheidungen treffen. Und nur weil eine Frau Oberbürgermeisterin ist, heißt das nicht, dass sie den Kita-Ausbau vorantreiben wird. Aber: Wenn vorwiegend Männer in Entscheidungspositionen sind, fehlen dort die Lebensrealitäten von Frauen.
SPIEGEL: Durch die Krise gab es aber auch Fortschritte: Freuen Sie sich über die Einigung bei der Frauenquote in Vorständen?
Wiesner: Ja! Denn in der Krise haben wir erst einmal gesehen, dass Frauen Vorstände verlassen haben, wie die einzige Frau in der Doppelspitze von SAP. Das war ein Indikator dafür, dass Gleichstellung als Luxus betrachtet wird, den man sich in harten Zeiten nicht leistet. Die Einigung jetzt zeigt: Gleichstellung darf kein Luxus sein. Allerdings verändern Quoten erst ab 25 bis 40 Prozent eine Diskussionskultur. Wenn sie also nur eine einzige Frau im Vorstand haben, ändert das ziemlich wenig. Die vereinbarte Quote ist also noch nicht genug.