Regierungskrise in Österreich SPD hofft auf Anti-Kurz-Effekt

Österreichs Kanzler Kurz, JU-Chef Kuban und EVP-Spitzenkandidat Weber Anfang Mai in Hannover
Foto: Focke Strangmann/ EPA-EFE/ REXAndrea Nahles lässt jetzt nicht mehr locker in der Ibiza-Affäre: Seit Samstag attackiert die SPD-Chefin Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und fordert ihn zum Handeln auf. Er habe die Rechtspopulisten um den zurückgetretenen Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in die Regierung geholt, schreibt Nahles am Montag bei Twitter. Dann fordert sie den Rauswurf des FPÖ-Innenministers.
Auf den ersten Blick zielt die Attacke der SPD-Vorsitzenden auf Kurz' ÖVP. Doch gemeint sind auch CDU und CSU - die deutschen Koalitionspartner der Sozialdemokraten. Bereits am Samstag hatte sich Nahles scharf Richtung CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer geäußert. Deren Warnung vor den Rechtspopulisten sei "hochgradig unglaubwürdig". Schließlich habe sich die Union noch vor Kurzem "im zweifelhaften Glanz der Konservativ-Rechts-Koalition aus Österreich gesonnt". Das zeige, betonte Nahles, dass auf die Konservativen im Kampf gegen rechts "kein Verlass" sei.
Was seit Freitagabend im Nachbarland geschieht, ist jedenfalls keine rein österreichische Angelegenheit - allein schon wegen der Europawahl am kommenden Sonntag. Da geht es für die deutschen Koalitionsparteien nämlich um sehr viel: Stürzt die SPD ab, könnten die Anti-GroKo-Kräfte in der Partei die Oberhand gewinnen, bei einem enttäuschenden Ergebnis für die Union drohen neue Debatten über CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer und den Sinn der Koalition. Offenbar hat die SPD wegen der Ereignisse in Wien nun beschlossen, den Ton gegenüber der Union deutlich zu verschärfen, um sich als einzig klare Anti-Rechts-Kraft der GroKo zu profilieren. CDU und CSU tun sich dabei wegen ihrer Nähe zu Kurz argumentativ ein bisschen schwerer.
So mühen sie sich, Brandmauern hochzuziehen, um Distanz zu den Rechtspopulisten zu demonstrieren. Diese seien "bereit, für ihr persönliches Wohlergehen unsere nationalen und europäischen Werte zu verkaufen", sagte CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer der Funke Mediengruppe, Generalsekretär Paul Ziemiak sekundierte in der "Welt", Rechtspopulisten gehe es "immer nur um sie selbst, nie um Politik für die Menschen". Und CSU-Chef Markus Söder teilte mit: "Mit solchen Gruppen lässt sich nicht seriös arbeiten", Rechtspopulisten fehle "die charakterliche Eignung".
Nur: Österreichs Kanzler Kurz hat die vergangenen anderthalb Jahre mit den Rechtspopulisten von der FPÖ regiert - CDU und CSU haben darüber öffentlich kaum ein kritisches Wort verloren, Kurz gilt vielen in der Union als Vorzeige-Christdemokrat. Erst vor wenigen Tagen luden ihn der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber von der CSU und Junge-Union-Chef Tilman Kuban zu einem Auftritt nach Hannover ein, Weber trat im Wahlkampf mehrfach mit Kurz auf.
Eine Chance für die SPD? Kann der Skandal konservative Wähler verschrecken und zugleich für eine Mobilisierung der eigenen Wählerschaft sorgen?
Neben Parteichefin Nahles verschärfte auch Generalsekretär Lars Klingbeil am Montag den Ton: Er forderte CDU und CSU auf, Konsequenzen aus der Strache-Affäre zu ziehen. "Als Sebastian Kurz die Rechtspopulisten Strache und Co. in die Regierung geholt hat, haben CDU und CSU ihn als Hoffnungsträger gefeiert", sagte Klingbeil dem SPIEGEL. "Jetzt schützen sie ihn als angebliches Opfer des Skandals."
Wenn sich Europas Konservative glaubhaft von den Rechten distanzieren wollten, müsse Kanzler Kurz sofort "die Zusammenarbeit mit der FPÖ beenden und Straches Kumpanen aus der Regierung entlassen", sagte Klingbeil weiter. "Sonst gehört er auch auf keine Wahlkampfbühne in Deutschland mehr." Zugleich müssten CDU und CSU auch bei der Fidesz-Partei von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán konsequent sein, forderte Klingbeil: "Noch vor der Europawahl muss die EVP Orbán rauswerfen." Die Partei des umstrittenen ungarischen Regierungschefs ist bislang nur suspendiert.
Im Burgenland koaliert die SPÖ mit der FPÖ
In der Union parierte man solche Angriffe bislang mit dem Hinweis auf die Sozialdemokratische Partei Österreichs, die im Burgenland mit der rechtspopulistischen FPÖ koaliert. Dort soll nun zwar im Januar vorzeitig ein neues Landesparlament gewählt werden, die Regierung bleibt aber bestehen. Auch zweifelhafte Mitglieder der sozialdemokratischen Parteienfamilie wie die in die Rumänien regierende PSD werden den Attacken der SPD entgegengehalten.
Allerdings: Die SPD hielt stets Distanz zu den Parteifreunden in Rumänien und dem Burgenland - während Orbán von der CSU lange Zeit gehätschelt wurde. Kritik an dem von der FPÖ ins Wiener Kanzleramt gebrachten Kurz ist bis heute aus der Union nicht zu hören.
Vor allem mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen will die CDU jetzt jedenfalls eines klarstellen: Koalitionen mit der AfD werde es dort nicht geben. Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring sagte dem SPIEGEL, die Unterstellung, die CDU spekuliere auf Koalitionen mit der AfD, verliere "durch das Ende von Schwarz-Blau in Österreich und die damit einhergehende Konsequenz von Bundeskanzler Sebastian Kurz vollends ihre vermeintliche Plausibilität".