Jan Fleischhauer

Politikerleben Manchmal gönne ich mir abends ein Glas Saft

In wenigen Tagen erscheint die große Frank-Walter-Steinmeier-Biografie. Was bringt Menschen, die ihr Leben in Sitzungen verbracht haben, dazu anzunehmen, sie hätten so viel erlebt, dass es für ein Buch reicht?
Akten, Akten, Akten - und an die Wähler denken.

Akten, Akten, Akten - und an die Wähler denken.

Foto: Stephanie Pilick/ picture alliance / dpa

Vor zwei Wochen erreichte mich eine Ankündigung des Herder-Verlages, dass man aus aktuellem Anlass ein Buch über Frank-Walter Steinmeier ins Programm genommen habe. "Frank-Walter Steinmeier - die Biografie", heißt das Werk. Autoren sind die Politikwissenschaftler "Dr. Torben Lütjen" und "Dr. Lars Geiges."

Normalerweise fallen akademische Titel bei den Autorenangaben unter den Tisch. Aber in der Ankündigung hat es der Verlag für wichtig befunden, die Biografen mit vollem Titel zu nennen. Wahrscheinlich will man deutlich machen, wie gewissenhaft sie ihrer Aufgabe nachgegangen sind, um jeden Verdacht auszuräumen, man würde auf billige Effekte zielen.

Man muss Herder für seinen verlegerischen Mut bewundern. Steinmeier ist biografisch gesehen kein einfacher Fall. Das Verrückteste, was er je in seinem Leben getan hat, war, für das Amt des Bundeskanzlers zu kandidieren, das ging dann leider auch prompt schief. Es gibt von ihm keine Rede, die als erinnerungswürdige überliefert ist, nicht mal einen markanten Satz. Als er einmal laut wurde, weil er sich über ein paar Pöbler geärgert hatte, war das eine solche Sensation, dass alle Medien darüber berichteten.

Aber vielleicht schlummert in diesem Leben zwischen Aktenstück und Sitzungszimmer ja ein ungehobener Schatz, und wir haben es nur noch nicht richtig erkannt. Tatsächlich ist die Biografie der zweite Versuch, den Politiker Steinmeier als Publikumsmagneten auf dem deutschen Lesermarkt zu etablieren. Der erste Versuch liegt acht Jahre zurück. "Seine Karriere ist so unwahrscheinlich, dass sie in der Geschichte der Bundesrepublik keine historischen Vorläufer kennt", hieß es damals.

Das ließ auch die Profis in den Hauptstadtredaktionen aufhorchen: Was haben wir verpasst? Hat Steinmeier heimlich einen Putsch gegen die Parteiführung angezettelt, der erst jetzt ans Licht kommt? Ist er in Wahrheit Bigamist oder war wie König Georg VI. mit schwerem Stottern geschlagen?

Nichts von alledem. "Maschinisten der Macht hat die Republik viele gesehen, stille Makler der Politik, die im Hintergrund die Fäden der Regierungsgeschäfte zogen. Doch nur Frank-Walter Steinmeier ist von dort in das Zentrum der nationalen Politik gerückt", nannte der Verlag als Grund für die Notwendigkeit der Publikation. Mit einer Ankündigung maximale Spannung zu erzeugen: Davon verstehen sie etwas bei Herder, das muss man ihnen lassen.

Das Genre der Politikerbiografie blüht

Ich will nichts Böses über Frank-Walter Steinmeier sagen, wirklich nicht. Ich mag Leute, die sich ganz ihrer Arbeit widmen, da geht es mir wie den meisten Deutschen. Viele Menschen schätzen unseren Außenminister nicht obwohl, sondern weil er Langweile ausstrahlt. Langeweile heißt Verlässlichkeit. Aber was, um Gottes Willen, bringt einen Menschen, der sein Leben zwischen Aktenvorgängen verbracht hat, zu der Vermutung, sein Leben sei so spannend, dass die Republik eine Biografie braucht? Sie mögen jetzt einwenden, dass man sich gegen eine Biografie nicht wehren kann. Das stimmt, im Prinzip. Aber das moderne Politikerbuch entsteht in Kollaboration mit dem Beschriebenen, nicht gegen ihn.

Dass die meisten Politiker nicht viel gesehen haben außer Politik, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Die Aufbaugeneration hatte einen Krieg hinter sich, dagegen ist schwer anzukommen. Wer heute ein Ministeramt bekleidet, hat als Höhepunkt eine Intrige auf dem Kreisparteitag in Worpswede überlebt. Dennoch blüht das Genre der Politikerbiografie. Jeder, der es zu einem Posten gebracht hat, darf damit rechnen, dass sich ein Journalist findet, um die biografischen Stationen aufzuschreiben.

Vor allem Politiker aus Niedersachsen scheint es ins lebensgeschichtliche Fach zu drängen. Es gibt gleich zwei Biografien über Ursula von der Leyen, mehrere über Christian Wulff, und zwar aus der Zeit, bevor er ins Schloss Bellevue einzog. Sogar der arme Philipp Rösler, dessen beeindruckendste Leistung darin bestand, sich zweieinhalb Jahre an der Spitze der FDP gehalten zu haben, hat eine abbekommen.

Weil schon das Geständnis einer Affäre außer Frage steht, von wahrheitsgetreuen Einschätzungen des politischen Personals ganz zu schwiegen, bleibt nur die Banalität des Guten. Über Wulff weiß man jetzt zum Beispiel, dass er schon zu Studienzeiten auf Partys der Einzige gewesen war, der einen klaren Kopf behalten hatte, um seine Freunde mit dem Auto nach Hause zu fahren. Ein gemütlicher Abend im Familienkreis? "Wenn ich mein Pensum erfüllt habe, dann bin ich gern zu Hause, sitze noch am Schreibtisch, gucke ein bisschen fern oder trinke noch ein Glas Saft."

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Lütjen, Torben, Geiges, Lars

Frank-Walter Steinmeier: Die Biografie

Verlag: Verlag Herder
Seitenzahl: 256
Für 22,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

02.06.2023 10.41 Uhr

Keine Gewähr

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Das eigentliche Rätsel ist, wie sich die Publikation solcher Alltäglichkeiten für den Verlag rechnet. Wenn der Porträtierte über vermögende Freunde verfügt, die einen Teil der Auflage aufkaufen, lässt sich das Kalkül noch nachvollziehen. Aber bei den anderen? Im Fall des designierten Bundespräsidenten kann man nur hoffen, dass sich die Friedrich-Ebert-Stiftung erbarmt oder die Bundeszentrale für politische Bildung.

Die Biografie über Steinmeier kommt am 25. Januar auf den Markt. Anfang Dezember hat der Demnächst-Präsident den Markt schon mal mit einem Buch über seine außenpolitischen Erfahrungen vorgewärmt. "Flugschreiber" heißt es. Kernsatz: "Deutschlands Rolle in der Welt verändert sich. Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen, nicht aus Kraftmeierei, sondern weil sie uns zuwächst."

Am Schluss hat der beliebteste Politiker Deutschlands in "Flugschreiber" preisgegeben, dass er sich beim Abflug gern einen Gin-Tonic genehmigt. Kein Saft, immerhin.

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