Steinmeier zur Türkei "Erdogan versucht, das Land auf sich zuzuschneiden"

Bundespräsident Steinmeier hat die Regierung in Ankara ungewöhnlich scharf kritisiert. Deutschland könne die Entwicklung in der Türkei nicht hinnehmen - das sei eine "Frage der Selbstachtung".
Frank-Walter-Steinmeier (Archivbild)

Frank-Walter-Steinmeier (Archivbild)

Foto: Uli Deck/ dpa

Mit ungewöhnlich scharfer Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den Streit der Bundesregierung mit der Türkei eingeschaltet.

Erdogan versuche nicht nur, "das Land auf sich zuzuschneiden", sagte Steinmeier im ZDF-Sommerinterview, das am Samstag vorab in Auszügen veröffentlicht wurde. Vielmehr würden jetzt auch die "Reste an Kritik und Opposition" verfolgt, ins Gefängnis gesteckt und mundtot gemacht.

Er halte deshalb die schärfere Gangart der deutschen Türkei-Politik für richtig, sagte Steinmeier. Was in der Türkei passiere, "können wir nicht hinnehmen". Das sei auch eine "Frage der Selbstachtung" Deutschlands.

Das Sommerinterview wurde am Samstag aufgezeichnet und soll am Sonntagabend im ZDF ausgestrahlt werden.

Angesichts der zahlreichen Konflikte mit der Türkei hatte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Neuausrichtung der Politik gegenüber Ankara angekündigt. Neben einer Verschärfung der Reisehinweise, die nun auch für Urlauber gelten, sollen staatliche Bürgschaften für Investitionen deutscher Unternehmer in der Türkei auf den Prüfstand kommen. Zudem will der Außenminister Gespräche mit den europäischen Partnern über die weitere Zahlung von EU-Finanzhilfen an den Beitrittskandidaten Türkei führen.

"Die türkischstämmigen Menschen gehören zu uns"

Steinmeier begrüßte es in dem Interview auch, dass Gabriel in einem offenen Brief an die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland um Verständnis für die verschärfte Gangart der Bundesregierung geworben hat. In dem am Samstag in der "Bild"  erschienenen Schreiben heißt es: "Gleichgültig, wie schwierig die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind, bleibt für uns klar: Sie, die türkischstämmigen Menschen in Deutschland, gehören zu uns - ob mit oder ohne deutschen Pass."

Gabriel nannte die Freundschaft zwischen Deutschen und Türken einen "großen Schatz". Der Verhaftung unbescholtener, deutscher Staatsbürger könne die Bundesregierung aber nicht tatenlos zusehen. Der Brief im Namen der gesamten Bundesregierung wurde auf Deutsch und auf Türkisch abgedruckt.

Aktivistinnen erneut festgenommen

In der Türkei haben Sicherheitskräfte erneut zwei Menschenrechtsaktivistinnen festgenommen, die eigentlich wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren. Beide Frauen waren bereits am 5. Juli zusammen mit sechs weiteren Menschenrechtlern wegen angeblicher Terrorunterstützung festgenommen worden.

Gegen den Deutschen Peter Steudtner, den Schweden Ali Gharavi, die Direktorin von Amnesty International Türkei, Idil Eser, und drei weitere Festgenommene wurde am Dienstag Untersuchungshaft angeordnet.

Nalan Erkem und Ilknur Üstün sowie zwei weitere Aktivisten kamen hingegen unter Auflagen zunächst auf freien Fuß. Am Freitag gab ein Gericht in Istanbul jedoch einem Einspruch der Staatsanwaltschaft gegen die Freilassung der vier Aktivisten statt.

Laut Amnesty International wurde die Rechtsanwältin Erkem von der Gruppe Bürgerversammlung am Freitag in Istanbul und Üstün von der Frauenkoalition am Samstag in Ankara verhaftet. Amnestys Europadirektor John Dalhuisen erklärte, Ankara habe damit seinen Ruf als "Kerkermeister" für Aktivisten der Zivilgesellschaft weiter gefestigt. Die Behörden hätten damit einen neuen "Gipfel der Absurdität" erreicht.

koe/AFP/Reuters
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