Steinmeier gedenkt Corona-Opfern »Die Pandemie hat auf schreckliche Weise Lücken gerissen«

Bundespräsident Steinmeier
Foto: CHRISTIAN MANG / REUTERS»Wir wollen heute als Gesellschaft derer gedenken, die in dieser dunklen Zeit einen einsamen und oft qualvollen Tod gestorben sind«: Gut ein Jahr nach dem Beginn der Corona-Pandemie haben die Spitzen des deutschen Staates und die Kirchen bei einer zentralen Gedenkfeier in Berlin der fast 80.000 Toten in Deutschland gedacht und den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl bekundet. Die Pandemie habe »tiefe Wunden geschlagen und auf schreckliche Weise Lücken gerissen«, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmark.
»Es gibt keine Worte für Ihren Schmerz«, sagte das Staatsoberhaupt an die Menschen gewandt, die einen Angehörigen verloren haben. Ihnen wollte man jedoch auch sagen: »Ihr seid nicht allein in Eurem Leid, nicht allein in Eurer Trauer.« Er habe mit einigen Hinterbliebenen gesprochen, die ihm von ihrer Situation berichtet hätten. Manche litten darunter, dass sie ihre Liebsten kein letztes Mal sehen konnten, andere darunter, dass sie den Verstorbenen nicht so bestatten konnten, wie sie es sich gewünscht hätten. »Rituale des Trauerns geben Halt«, sagt Steinmeier. Und ebendiese Rituale hätten aufgrund der Corona-Regeln nicht stattfinden können, wie gewohnt.
Appell an Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit
Das Virus habe die Menschen tiefer erschüttert, »als wir uns das im Alltag eingestehen«, sagte der Bundespräsident weiter. Er sprach in seiner Rede nicht nur von den Verstorbenen, sondern wendete sich auch an die Menschen, die seelisch krank geworden sein, Gewalt erlitten oder ihre wirtschaftliche Existenz verloren hätten. Auch würdigte er die Beschäftigten im Gesundheitssystem.
Zudem rief Steinmeier die Gesellschaft zum Zusammenhalt auf. »Lassen wir nicht zu, dass die Pandemie, die uns schon als Menschen auf Abstand zwingt, uns auch noch als Gesellschaft auseinandertreibt«, sagte er.
»Sammeln wir noch einmal Kraft für den Weg nach vorn«
Außer der Trauer gebe es bei manchen Menschen auch »Verbitterung und Wut«, sagte das Staatsoberhaupt. Er könne dies verstehen. »Die Politik musste schwierige, manchmal tragische Entscheidungen treffen, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern.« Auch die Politik habe lernen müssen. Wo es Fehler und Versäumnisse gegeben habe, müssten diese aufgearbeitet werden, aber nicht an diesem Tag, sagte Steinmeier.
»Meine Bitte ist heute: Sprechen wir über Schmerz und Leid und Wut. Aber verlieren wir uns nicht in Schuldzuweisungen, im Blick zurück, sondern sammeln wir noch einmal Kraft für den Weg nach vorn, den Weg heraus aus der Pandemie, den wir gehen wollen und gehen werden, wenn wir ihn gemeinsam gehen.« Er appellierte an die Mitmenschlichkeit und bezeichnete sie als einen »Lichtblick« in dieser Zeit.
An der von Steinmeier ausgerichteten Gedenkfeier nahmen fünf Hinterbliebene und die Spitzen der anderen vier Verfassungsorgane teil: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundesratspräsident Reiner Haseloff, Bundeskanzlerin Angela Merkel (alle CDU) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) und ein Vertreter des Diplomatischen Korps waren ebenfalls zu der Veranstaltung gekommen, die unter strengsten Hygieneschutzmaßnahmen stattfand.
79.914 Corona-Tote in Deutschland
In einem ökumenischen Gottesdienst, der von Geistlichen jüdischen und muslimischen Glaubens mitgestaltet wurde, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing: »Krankheit, Sterben und Tod lassen sich in diesem langen Jahr nicht wegdrücken, sie schneiden tief ein in das Leben vieler Menschen.« Tod und Sterben seien uns näher gerückt als zuvor. Deshalb sei es richtig, innezuhalten und der vielen Toten zu gedenken.
»Wie ein Trauma legt sich die Krisenerfahrung der Pandemiezeit auf unsere Seele und schreit nach Heilung«, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. »Für die Verarbeitung werden wir viel Zeit brauchen, erst recht unsere Kinder, unsere Heranwachsenden, für die diese Krise die Ausdehnung einer gefühlten Ewigkeit hat.«
Anlässlich des Gedenktags hatten Vertreter der Bundesländer am Freitagabend die Bürgerinnen und Bürger dazu aufgefordert, eine Kerze in ihren Fenstern anzuzünden, um sich am Gedenken zu beteiligen. Auf Twitter formierte sich unter dem Hashtag »Einkerzen« Protest gegen die Aktion. Die Politik solle Verantwortung übernehmen, anstatt scheinheilig zu trauern. Ein Twitter-Nutzer forderte die Menschen auf, die Kerzen nicht ins Fenster zu stellen, sondern bei Staatskanzleien oder Rathäusern abzugeben. Viele Menschen folgten diesem Aufruf offenbar, wie Fotos bei Twitter zeigen.
Auch am Gedenktag selbst hatte es schon vorab Kritik gegeben. Dabei ging es unter andere, darum, dass der Zeitpunkt inmitten der dritten Welle unglücklich gewählt sei.
In Deutschland starben bis zum Sonntag nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts 79.914 Menschen an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2.