Steinmeier-Coup Gabriels neue Chance

SPD-Chef Gabriel wird für seinen Steinmeier-Coup gefeiert. Aber was nützt ihm der Triumph am Ende? Die nächsten Wochen entscheiden über seine Zukunft - und die von Martin Schulz.
SPD-Chef Gabriel

SPD-Chef Gabriel

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Der Sigmar Gabriel aus dem "Heute Journal" von Montagabend, der Sigmar Gabriel aus der SPD-Pressekonferenz vom Vormittag, der Sigmar Gabriel aus der vorangegangenen Sitzung der engeren Parteiführung: Das ist ein Mann mit Kanzlerformat. Dass sein Parteifreund Frank-Walter Steinmeier nun Bundespräsident werden darf, sei alleine auf dessen Qualitäten und Beliebtheit zurückzuführen, wiederholt Gabriel immer wieder. Sein eigenes Zutun dagegen: nicht der Rede wert.

Natürlich ist Steinmeier ein erfahrener und Umfragen zufolge Deutschlands beliebtester Politiker. Dennoch hat er es vor allem Gabriel zu verdanken, dass am Ende auch die Union ihn als ihren Präsidentschaftskandidaten akzeptierte.

Selbst Gabriels Kritiker sind beeindruckt, wie der SPD-Chef den Steinmeier-Coup geschaukelt hat - und umso mehr davon, wie er anschließend Maß gehalten hat.

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Frank-Walter Steinmeier: Auf dem Weg nach Bellevue

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Gabriel ist oft ein Politiker des Übermaßes gewesen, vielleicht, weil er besondere Talente hat: Auffassungsgabe, politische Fantasie, Redekunst, Schlagfertigkeit. Aber in der deutschen Politik kann wohl auch keiner so gut andere vor den Kopf stoßen wie Gabriel. Die Folge: Sein mieses Image inner- wie außerhalb der Sozialdemokratie. Und die daraus resultierende Frage, ob so jemand die Partei in einen Bundestagswahlkampf führen sollte?

In der ersten Gabriel-Biografie, die gerade erschienen ist, kommen die Autoren zu dem Schluss: "Es ist eine Zeit, die eigentlich vieles von dem gebrauchen könnte, was Sigmar Gabriel kann. Was diese Zeit nicht braucht: Den Sigmar Gabriel, der er die meiste Zeit seines politischen Lebens gewesen ist."

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In den kommenden Wochen hat es der SPD-Chef selbst in der Hand, welcher Gabriel er sein will: Zunächst mal ist da die Sache mit der Kanzlerkandidatur. Mit Angela Merkels Beliebtheitswerten wird er es auf absehbare Zeit nicht aufnehmen können. Dennoch könnte Gabriel ein ernsthafter Herausforderer sein - wenn er es geschickt anstellt. Bisher rätseln Partei und Öffentlichkeit noch, ob er wirklich will. Dabei dürfte sich der SPD-Chef längst entschieden haben, hält die Zeit aber noch nicht reif für die Ankündigung seiner Kandidatur.

Gabriel will sich nicht treiben lassen

Dafür gibt es gute Gründe - vor allem die Tatsache, dass erst einmal die Kanzlerin auf ihrem Parteitag Anfang Dezember mitteilen soll, ob sie die Union erneut in den Bundestagswahlkampf führen will (wovon auszugehen ist). Deshalb kam Gabriel die Debatte über eine schnellere Entscheidung in der SPD und eine mögliche Kandidatur von Europaparlamentschef Martin Schulz äußerst ungelegen: Der Parteichef will unbedingt vermeiden, dass sich die Genossen wie vor den vergangenen beiden Bundestagswahlen in der K-Frage treiben lassen.

Nun könnte es darauf hinauslaufen, dass die SPD-Führung Gabriel vor Weihnachten zum Kanzlerkandidaten ausruft: Früh genug für die notwendigen Planungen - und nicht zu spät, bevor es wirkliches Gemurre in Partei und Öffentlichkeit gibt.

Offen ist ebenfalls, ob Schulz dann auch schon als künftiger Außenminister nominiert wird. Schulz gilt als natürlicher Steinmeier-Nachfolger - allerdings sieht er auch weiterhin Chancen auf eine weitere Amtszeit als Chef des Europaparlaments. Diese Frage dürfte sich ebenfalls in den kommenden Wochen klären.

Zu stark darf Schulz nicht werden

Der international erfahrene Schulz würde die Kabinettsriege der SPD ohne Frage bereichern, zudem könnte er aufgrund seiner außenpolitischen Erfahrungen wohl auch in komplizierte Verhandlungen direkt einsteigen, beispielsweise die Ukraine-Gespräche. Und: Schulz würde im Bundestagswahlkampf ein starkes Duo mit seinem Freund Gabriel bilden.

Nur: Zu stark dürfte er aus Gabriels Sicht eben auch nicht werden. Kein Kanzlerkandidat hat es gerne, wenn ihm ein anderer die Show stiehlt.

Nicht ausgeschlossen, dass Gabriel vor Weihnachten dann auch noch andere Veränderungen ankündigt: So könnte er die Ämter als Wirtschaftsminister und Vizekanzler niederlegen und auf den Posten des Bundestagsfraktionschefs wechseln: Außerhalb des Kabinetts wäre ein Kanzlerkandidat Gabriel im nahenden Bundestagswahlkampf wertvoller - wenn man die Union als schlagbar ansieht, wie es mancher führende Sozialdemokrat tut.

Für den Fall, dass Schulz in Brüssel beziehungsweise Straßburg bleibt, hätte Gabriel ein Personalproblem: Fraktionschef Thomas Oppermann wäre dann eine mögliche Alternative als Steinmeier-Nachfolger, Oppermann hatte schon nach der Bundestagswahlwahl 2013 mit dem Posten als Chefdiplomat geliebäugelt. Allerdings fehlt ihm die außenpolitische Erfahrung.

Es könnte natürlich auch alles ganz anders kommen: Gabriel verzichtet auf die Kanzlerkandidatur, er lässt Schulz doch den Vortritt. Passen würde es in seine Biografie voller Widersprüche und unerwarteter Wendungen.

Nur: Dann wäre die politische Karriere von Sigmar Gabriel wohl auch zu Ende. Und dafür liebt er die Politik zu sehr.

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