Bewerbung für zweite Amtszeit Steinmeiers Coup

Bundespräsident Steinmeier: Ein fast machiavellistischer Zug
Foto:Bernd von Jutrczenka / dpa
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Das Bundespräsidialamt ist eine altehrwürdige, staatstragende Institution. Wenn der Hausherr im Schloss Bellevue auftritt, geht es in der Regel um überparteiliche Angelegenheiten, um Bundesverdienstkreuze zum Beispiel, um die Schönheit des Grundgesetzes oder den Empfang von Staatsgästen, Dinge von großer Symbolik also, die aber selten dazu dienen, die Tagespolitik zu stören.
An diesem Freitag ist das anders.
Um kurz nach elf Uhr marschiert Frank-Walter Steinmeier strammen Schrittes in den Großen Saal seines Schlosses, um eine Ankündigung zu machen, die es in sich hat. »Wir stehen vor wichtigen Wahlen, vor politischen Umbrüchen und vor vielen offenen Fragen«, sagt er. Eine davon wolle er nun beantworten, die nämlich nach seiner persönlichen Zukunft. Im nächsten Jahr endet seine erste Amtszeit. »Ich möchte mich für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident zur Wahl stellen.«
Der Bundespräsident als Wahlkämpfer
Fünf Minuten spricht Steinmeier. Fünf Minuten, in denen er plötzlich klingt wie ein Wahlkämpfer. Er wolle Brücken bauen, sagt Steinmeier, in die Gesellschaft, zu den Nachbarn und Partnern in der Welt. Das Land habe sich in der Pandemie wundgerieben, und er wolle »helfen, diese Wunden zu heilen«. Es gehe ihm darum, »neues Vertrauen« zu schaffen. Die Menschen im Land sollten »wissen, wo ihr Bundespräsident steht«. Steinmeiers Botschaft trägt fast merkelsche Züge: Ihr kennt mich. Ich stehe für Stabilität, für Kontinuität – in einer Zeit, in der kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint.
Es ist, das muss man sagen, ein ungewöhnlicher, ein fast frecher Schritt, weil Steinmeier aus seinem noblen Amt heraus die politische Konkurrenz geradezu machiavellistisch herausfordert.
In der Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt traditionell wählt, hat Steinmeier natürlich keine eigene Mehrheit, ganz egal wie die Bundestagswahl im September ausgeht. Er ist abhängig von der Union, vor allem aber auch von den starken Grünen, die ihn 2017 zwar mitwählten, aber eigentlich seit Jahren selbst auf das Schloss Bellevue schielen.
Für die Grünen scheint nach der Wahl alles möglich zu sein: Vielleicht sogar das Kanzleramt, mindestens aber eine Regierungsbeteiligung, weshalb man sich fragt, warum sie eigentlich ausgerechnet in ihrem Höhenflug Steinmeier im Amt halten sollten.
Die Haltung der Liberalen ist klar
Bei genauem Hinsehen wird aber deutlich: Steinmeiers Chancen stehen gar nicht so schlecht. Schon 2017 ist er durch kräftige Mithilfe des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel gewählt worden, obwohl er scheinbar keine Mehrheit hatte. Und auch jetzt wieder hat er nichts zu verlieren. Die FDP hat sich bereits festgelegt.
Christian Lindner, der Parteichef, stellte sich in der vergangenen Woche an die Seite Steinmeiers, und dem Präsidenten und seinen Leuten muss schnell klar gewesen sein, welch Geschenk das für ihn war. In jeder Koalition mit FDP-Beteiligung, egal ob ein Ampel- oder ein Jamaikabündnis, wäre die Haltung der Liberalen klar: Wir wollen Steinmeier. Ein Grüner oder eine Grüne kommt für uns nicht infrage. Die FDP ist eine Art Sperrminorität.
Am Freitagmorgen rief Steinmeier sämtliche Parteivorsitzenden an, um sie von seiner Bereitschaft in Kenntnis zu setzen, dazu die Kanzlerin und den Bundestagspräsidenten. Nur die AfD wurde nicht informiert, die aber ohnehin mit Steinmeier nicht sehr viel anfangen kann. Ursprünglich war die Sorge im Präsidialamt groß, Steinmeier könne zum Spielball der Interessen nach der Bundestagswahl werden. Das Schloss Bellevue ist bekanntermaßen ein wichtiger personalpolitischer Chip in einer Regierung, und die Besonderheit, dass die Bundestagswahl nur wenige Monate vor der nächsten Bundespräsidentenwahl im Februar 2022 stattfindet, macht das Amt potenziell zur Verhandlungsmasse in Koalitionsverhandlungen.
Nun, da klar ist, dass Steinmeier noch einmal antreten möchte, stehen die Grünen vor dem Problem, sich entscheiden zu müssen, wie sie zu ihm stehen. Erheben sie selbst Anspruch auf das Amt, müssten sie öffentlich begründen, warum sie einen populären und im besten Alter befindlichen Bundespräsidenten ersetzen wollen.
Das könnte schwierig werden, nicht zuletzt aus inhaltlichen Gründen. Er mag nicht der wortgewaltigste Präsident aller Zeiten sein, er hat bisher auch nicht die eine große Rede gehalten wie einst Richard von Weizsäcker zum Kriegsende im Mai 1985. Aber Steinmeier grenzt sich klar vom Rechtspopulismus ab, er warnt vor der Gefahr für die liberale Demokratie und macht den Klimawandel zu seinem Thema – er wirkt also nicht wie ein Gegenentwurf zur grünen Programmatik.
In der Union kursiert das Schäuble-Szenario
In der Union sind manche an diesem Freitag ziemlich entsetzt von Steinmeier, kein Wunder, bringt er doch auch sie in die Bredouille. Von einem »dreisten« Vorgehen ist die Rede, von einer Unverschämtheit. Steinmeier könne doch nicht so tun, als sei die Bundestagswahl unerheblich. Mit der Frage des Bundespräsidenten wollte sich die Union eigentlich noch lange nicht beschäftigen, nun ist man auf einmal doch mit ihr konfrontiert. Markus Söder, der CSU-Vorsitzende, betont eilig, vor der Bundestagswahl keine Festlegung treffen zu wollen. Aber mit jedem Tag, der verstreicht, ohne einen eigenen Kandidaten zu präsentieren, wird es wieder so wirken, als habe die Union einfach keinen – so wie 2016, als sich Angela Merkel und Horst Seehofer dem SPD-Vorschlag Steinmeier fügen mussten.
Es gibt einige Christdemokraten, die nun glauben, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zöge gerne noch einmal nach Bellevue um. Aber über eine Kampfkandidatur? Ausgeschlossen ist das nicht, auch Gesine Schwan trat einst gegen den amtierenden Bundespräsidenten Horst Köhler an – und verlor. Aber ob die CSU ausgerechnet jenen Mann befördern würde, der Söder die Kanzlerkandidatur verwehrte, ist fraglich.

Ein Mann für Bellevue? Bundestagspräsident Schäuble
Foto: Frederic Kern / imago images/Future ImageNatürlich ist Steinmeiers Schritt riskant, den Verdacht, es gehe ihm weniger ums Land als um sich selbst, dürfte er unter seinen Gegnern jedenfalls nicht so schnell ausräumen können. Dass ausgerechnet Steinmeier den Finger hebt, scheint auf den ersten Blick auch nur bedingt zu ihm zu passen, er gilt als vorsichtig, besonnen, als fleischgewordene großkoalitionäre Freundlichkeit. Dabei gerät in Vergessenheit, dass er in seiner Zeit als Parteipolitiker häufiger Entscheidung herbeiführte, die ihm kaum jemand zutraute.
2008 erkannte er die Schwäche von SPD-Chef Kurt Beck – und wurde plötzlich Kanzlerkandidat. Nach seiner dramatischen Wahlniederlage 2009 griff er sich noch in der Nacht das Amt des Oppositionsführers, wurde später wieder Außenminister, schließlich Bundespräsident. Je schlechter es seiner Partei ging, desto höher ging es für ihn selbst hinaus, manche in der SPD sprechen gar vom »Steinmeier'schen Gesetz«.
Nicht ausgeschlossen, dass dieses Gesetz auch im kommenden Jahr wieder greift.