Studie über Pegida-Gegner Jung, kinderlos, weiblich

Anti-Pegida-Demonstranten (in Düsseldorf): Unverkennbar aus dem rot-grünen Spektrum
Foto: Maja Hitij/ dpaMit den Pegida-Demonstrationen haben sich in letzter Zeit gleich mehrere Forschungsinstitute beschäftigt. Im Großen und Ganzen waren sich die Wissenschaftler dabei über die Teilnehmer einig: An den Aufmärschen nehmen überwiegend männliche Sachsen zwischen 45 und 50 Jahren teil. Doch die Zusammensetzung der in ganz Deutschland aktiven Gegenbewegung war noch weitgehend unbekannt.
Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat jetzt insgesamt 628 Teilnehmer von NoPegida-Demonstrationen in Braunschweig, Duisburg und Leipzig befragt. Repräsentativ sind die Resultate zwar nicht. Doch ermöglichen die Ergebnisse einen Einblick in die Zusammensetzung der Teilnehmer der NoPegida-Kundgebungen.
Die Erkenntnisse zu beiden Gruppierungen:
- NoPegida-Protestierende sind weitaus jünger als ihre Kontrahenten. Während bei Pegida die 36- bis 45-Jährigen mit rund 55 Prozent dominieren, sind es bei der Gegenbewegung die 16- bis 35-Jährigen mit rund 45 Prozent.
- Rentner und Pensionäre, die die Proteste gegen Stuttgart 21 und andere größere Infrastrukturprojekte Anfang des Jahrzehnts beherrschten, sind bei Pegida und ihren Gegnern nur noch gering vertreten.
- Die Anti-Pegidisten sind nicht nur besonders jung, sondern auch in großer Zahl Single und kinderlos. 58 Prozent der von uns befragten Gegner der Anti-Islam-Bewegung haben keinen Nachwuchs (bei ihren Pendants sind es lediglich 29 Prozent).
- Die Opposition zu Pegida ist überdies erheblich weiblicher: Der Anteil von Frauen bei den Befragungen des Göttinger Instituts macht fast 40 Prozent aus (bei Pegida sind es gut 18 Prozent).
- Angesichts des jungen Alters von Anti-Pegida-Aktivisten ist es auch nicht verwunderlich, dass ein erheblicher Anteil noch in der Ausbildung ist. Nur 47 Prozent sind voll erwerbstätig. Bei den Pegida-Teilnehmern - wenn sie denn auskunftswillig waren - waren dies 77 Prozent.
Doch es gibt auch Ähnlichkeiten: Bei der Bildung unterscheiden sich die beiden Lager nicht: In beiden Sphären machen Absolventen von Universitäten und Fachhochschulen etwas mehr als ein Drittel aus. Schaut man auf die Variable "religiöse Orientierung", dann stehen hier wie dort die Konfessionslosen an der Spitze. Offenkundig scheint Dissidenz gegenüber Kirchlichkeit säkularisierten Aktivismus zu fördern, das war historisch nicht immer so.
Groß ist natürlich die kulturell-politische Kluft zwischen beiden Seiten. Die NoPegidisten kommen unverkennbar aus dem rot-grünen Spektrum. Bei der jüngsten Bundestagswahl haben diejenigen, die jetzt an der Befragung teilnahmen, zu 37 Prozent die Grünen, zu 15 Prozent die Linke und zu 25 Prozent die Sozialdemokraten gewählt. Frühere CDU-Wähler sind mit fünf Prozent hingegen rar. Würde aber heute gewählt, könnte nur die Linke ihr Ergebnis halten, während Grüne Einbußen von zwölf Prozentpunkten, die Sozialdemokraten von rund sieben Prozentpunkten zu verkraften hätten. Die Abtrünnigen haben sich allerdings derzeit nicht einer anderen Parteiformation angeschlossen. Sie wissen einfach noch nicht, wem sie ihre Stimme geben möchten. Auch hier also gibt es Unzufriedenheit mit den "Etablierten" des Parlamentarismus.
Von denen, die demonstrieren und zugleich einer Partei angehören, besitzen rund fünf Prozent ein sozialdemokratisches Parteibuch. Auf den ersten Blick erscheint dies als ein erfreuliches Signal für die SPD. Andererseits liegt nirgendwo sonst die Zahl der in den letzten Jahren ausgetretenen Mitglieder so hoch wie in der Partei von Sigmar Gabriel. 46 der 628 befragten Anti-Pegida-Demonstranten erklärten, dass sie die SPD mittlerweile verlassen haben.
NoPegida ist für Gleichstellung, Solidarität und Umverteilung
Die rot-grüne Herkunft wird besonders deutlich bei den Antworten auf die Frage, was in unserem politischen System an Bedeutung gewinnen sollte. Den Pegida-Unterstützern in Dresden fielen vor allem Recht und Ordnung sowie nationale Interessen ein. Ihre Widersacher plädieren hingegen vor allem für Gleichstellung, Solidarität und Umverteilung. Die letzte Forderung wird noch dadurch untermauert, dass die NoPegida-Befürworter größtes Misstrauen gegen Großkonzerne und Banken bekunden und der freien Marktwirtschaft (zu 97 Prozent) keine größere Relevanz mehr zumessen mögen.
Interessant ist, dass Teile der NoPegida-Aktiven offenkundig frühere Vorbehalte gegen die Macht- und Gewaltapparate des Staates aufgegeben haben: Polizei und Justiz erhalten nun zumindest gemäßigt freundliche Werte. Sympathien für eine plebiszitäre Demokratie sind dagegen markant abgekühlt. Nur noch 17 Prozent sind voll und ganz von direktdemokratischen Elementen überzeugt. Auf Pegida-Kundgebungen in Dresden gab es zuvor Zustimmungswerte von über 70 Prozent für eine Referendumsdemokratie.
Möglicherweise hat die neue rechte Bewegung bei der eher linksorientierten Gegenseite für eine Mäßigung bei politischen Kernaussagen gesorgt. Dass die politische Elite in Deutschland korrupt sei, will kaum ein Pegida-Kritiker für eine richtige Feststellung halten. Auch im Vergleich zu den Stuttgart-21-Gegnern vor einigen Jahren sind die NoPegidisten heute mit der Lage der Republik und dem Zustand der Demokratie erkennbar weniger unzufrieden. In der schwäbischen Metropole hatte eine übergroße Mehrheit der Demonstranten Volksbegehren und -entscheide gefordert. Hier scheint links der Mitte Ernüchterung eingetreten zu sein.
Im Gegensatz zum Pegida-Milieu bekennen sich die Gegendemonstranten mit großer Mehrheit zur kulturellen Vielfalt, zur Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland und zu dem Willkommen von Ausländern in der eigenen Nachbarschaft. Demgegenüber leuchtete der großen Mehrheit der Befragten keineswegs ein, dass Kinder eine Mutter und einen Vater haben sollten und dass Eigenverantwortung zu den wünschenswerten Bürgertugenden der Zukunft zu zählen habe.
Eine Gemeinsamkeit zwischen Demonstrationslagern findet man dann aber doch: Auf beiden Seiten ist kaum jemand der Auffassung, dass man in einer alternden Gesellschaft länger arbeiten müsse, um die Renten oder Pensionen finanzieren zu können.