Streit über SPD-Strategie Die Anti-Linken

Familienministerin Giffey, Vizekanzler Scholz
Foto: Christian Thiel / imago imagesRot-Rot-Grün in Berlin galt stets als Modellprojekt: eine linke SPD, linke Grüne, pragmatische Linke - das passte einfach, bei allen Streitereien und Animositäten.
Und - so ging der Plan - die Hauptstadt-Koalition sollte zeigen, wie es auch im Bund gehen könnte mit Mitte-links: Idealismus plus gemeinsame Idee plus Prestigeprojekte.
In Berlin sind das bis heute der Kampf gegen Mietwucher oder gegen Autos auf den Straßen und, na klar, der Einsatz für eine kunterbunte Stadt mit all ihren besonderen Milieus und Szenen.
Doch spätestens seit Anfang dieser Woche ist klar: Der sozial ökologische Grundsound der Hauptstadt-Allianz könnte bald ein jähes Ende finden. Dann nämlich, wenn die Landes-SPD Ende Oktober eine neue Führung wählt.
Zu Beginn dieser Woche erschien im "Tagesspiegel" ein bemerkenswertes Interview der beiden designierten Parteivorsitzenden. Noch-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Raed Saleh, Chef der Abgeordnetenhausfraktion, erklärten darin, auf welchen Kurs sie die Berliner SPD künftig steuern wollen.
Es war, das muss man so lesen, eine Kampfansage an die beiden Partner in der Koalition:
Der Mietendeckel? Werde auslaufen und durch einen Mietenspiegel ersetzt.
Linksextreme? Müssten sich auf "harte Regeln, harte Maßnahmen", einstellen.
Die Schlüsselressorts Stadtentwicklung und Verkehr, bislang in den Händen von Linken und Grünen? Wolle man zusammenführen und selbst übernehmen.
Giffey und Saleh garnierten ihre Vorgaben mit jeder Menge freundlicher Signale an Konzerne und Unternehmen. "Wir entwickeln ein pragmatisches Programm", sagte Giffey. Die Schwerpunkte: "Bauen und Verkehr, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Arbeit, funktionierende Verwaltung, Sicherheit und Ordnung."
Was in dieser Auflistung fehlte: Soziales etwa.
Oder Umwelt.
Bis zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin sind es noch gut elf Monate. Lichtjahre in der Politik. Doch spätestens mit Giffeys und Salehs Kür zieht die SPD in den Wahlkampf, das ist klar. Wirtschaftsliberaler und mehr Law and Order - das könnte das neue Profil der Berliner Sozialdemokratie werden.
Es wird dann also ein Wahlkampf, der sich auch gegen Linke und Grüne richtet.
Für die Koalitionspartner sind Giffeys und Salehs Ansagen eine Provokation. Linken-Kultursenator Klaus Lederer schimpfte auf Twitter, die SPD wünsche sich wohl ein "Berlin von vorgestern" zurück. "Die Sprüche klingen jedenfalls absolut nach Neunziger." Linken-Landeschefin Katina Schubert warf Giffey und Saleh "alte sozialdemokratische Basta-Politik" vor.
Auch Monika Herrmann, Grünen-Bezirksbürgermeisterin in Friedrichshain-Kreuzberg, kommentierte das Interview, in dem Giffey den Ton angab: "Dieser deutlich neoliberale Spin ist durchaus überraschend für eine sozialdemokratische Spitzenkandidatin."
Der Fall zeigt: Die SPD steckt in der Klemme.
Einerseits: Rot-Rot-Grün ist in der Hauptstadt nach wie vor beliebt. Eine Neuauflage der Koalition wäre für die Sozialdemokraten die realistischste Machtoption. Theoretisch müssen sie weiter Stimmung machen für Mitte-links.
Andererseits: Die SPD steht zunehmend unter Druck, sie muss sich dringend abgrenzen von Linken und Grünen, um bei der Wahl im kommenden Jahr nicht unterzugehen. Die Umfragen verheißen für die Genossen jedenfalls nichts Gutes. In manchen Erhebungen liegen sie mittlerweile deutlich hinter den Grünen, mitunter sogar hinter den Linken. Das Amt des Regierenden Bürgermeisters, das die SPD derzeit mit Michael Müller besetzt und das nun Giffey anstrebt, könnte die Partei verlieren.
Was Berlin und den Bund verbindet
Da erscheint es eigentlich wie eine vernünftige Strategie, wenn die SPD gar nicht erst versucht, grüner als die Grünen und linker als die Linken zu sein; wenn sie ins bürgerliche Lager ausstrahlen und Milieus bedienen will, in denen die anderen nicht punkten. Zumal die eher konservative Giffey genau diese Linie auch verkörpern würde.
Doch die Strategie birgt reichlich Konfliktpotenzial - auch in den eigenen Reihen. Der Vorstoß der designierten Parteichefs sorgte für Aufregung im Landesverband. Vor allem die Jusos schäumen: Die Berliner SPD mache "ihre Programmatik immer noch auf Parteitagen, nicht in Zeitungsinterviews", schrieb Sinem Tasan-Funke, Landeschefin des Jugendverbandes, auf Twitter.
All das könnte ein Vorbote sein für das, was den Sozialdemokraten in den kommenden Monaten auch auf Bundesebene bevorsteht.
Auch dort ist Rot-Rot-Grün vermutlich ihre einzige Machtoption - ein Bündnis, für das man im Bund aber noch mehr als in Berlin trommeln müsste, um Ängste und Vorbehalte abzubauen. Auch dort ringt die SPD jedoch mit den potenziellen Partnern. Vor allem die Grünen sind den Sozialdemokraten in den Umfragen enteilt. Auch dort könnte mit Olaf Scholz ein ausgewiesener Parteirechter die SPD profilieren - allerdings ebenfalls im Konflikt mit einer Partei, die von ihren Vorsitzenden gerade eigentlich stärker auf links getrimmt wird.
Kann das gut gehen?
SPD-Linke sehen die Ausgangslage durchaus ähnlich wie Giffey und Saleh. "Die Analyse ist richtig", sagt ein führender Genosse. Es gehe darum, beide Welten in der Partei miteinander zu verbinden und sich von Grünen und Linken abzugrenzen.
Problematisch werde es allerdings, wenn sich die Parteirechten von eigenen Projekten wie dem Berliner Mietendeckel distanzierten, als habe man damit nichts zu tun. "Das birgt Sprengpotenzial in den eigenen Reihen", warnt der Sozialdemokrat.
Grüne und Linke stehen etwas weniger unter Druck, sich abzugrenzen. In ihren Kernfeldern - Ökologie und Sozialpolitik - vertreten beide Parteien bereits Extrempositionen. Zugleich weiß man auch dort, dass man gesellschaftliche Mehrheiten nur erreichen kann, wenn alle Koalitionäre eines Dreierbündnisses als eigenständige Kraft wahrgenommen werden - mit unterschiedlichen Kompetenzen.
"Ich glaube, wir müssen dafür sorgen, dass es eine Bündnisperspektive gibt - vor der Wahl. Man muss rechtzeitig gucken, wer welches Wählermilieu mitbringen kann", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, Anfang des Jahres dem SPIEGEL. Seine damalige Empfehlung an die SPD: Sie solle "eine klassische Mittelstandspolitik machen, Handwerker ansprechen, Facharbeiter und Industriearbeiter".
Was Giffey und Saleh in Berlin nun aber tun, hält Korte für völlig falsch. "Sie sollen ja nicht wie die Linke werden", sagte Korte am Dienstag. "Aber es kann doch nicht die Lösung sein, auf CDU light zu machen und sich aus heiterem Himmel von der populären Koalition zu distanzieren, die man selbst anführt."
Am Ende wird die entscheidende Frage wohl sein, ob sich die provozierten Differenzen produktiv auflösen lassen - oder ob sie die Pläne für eine linke Allianz durchkreuzen.