Sexuelle Belästigung in der Truppe Bundeswehr will lieber nicht alles wissen

Sexuelle Belästigung ist ein Problem bei der Bundeswehr, wie eine Studie der Truppe zeigt. Wie mit den Beschwerden der Frauen umgegangen wird, darüber verliert sie allerdings kaum ein Wort. Die Grünen kritisieren: Entsprechende Fragen wurden aus dem Papier gestrichen.
Frauen in der Truppe: Wichtige Fragen fehlen in brisanter Studie

Frauen in der Truppe: Wichtige Fragen fehlen in brisanter Studie

Foto: Marijan Murat/ picture alliance / dpa

Berlin - Erschreckende Ergebnisse brachte die neueste Studie  der Bundeswehr zur Situation der Frauen in der Truppe ans Licht: Über die Hälfte der befragten Soldatinnen berichten von sexuellen Belästigungen. Es bestehe auf jeden Fall "Handlungsbedarf", sagte Vizeadmiral Heinrich Lange, als die Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr am vergangenen Freitag in Berlin vorgestellt wurde. Und: "Wir haben nichts zu verbergen."

Da ist sich Katja Keul von den Grünen nicht so sicher. Sie meint, die Bundeswehrführung habe auf den Fragenkatalog zum Thema sexuelle Belästigung Einfluss genommen und damit das Ergebnis erheblich "diskreditiert". Schon seit längerem beschäftigt sie sich mit diesem Thema und erneuert nun ihre Kritik.

Sicher ist, dass der Fragebogen vom damaligen Inspekteur der Streitkräftebasis, Vizeadmiral Wolfram Kühn, gekürzt wurde. Das ist aus einer Antwort des Verteidigungsministeriums vom September 2012 ersichtlich, die Keul auf ihre Frage nach einer möglichen Beeinflussung der Studie erhielt.

Dort heißt es, dass Soldat Kühn den Fragekatalog zum Thema sexuelle Belästigung für "überdimensioniert" hielt. Die Fragen wurden von einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2005 übernommen. Damals wurden sieben Fragen zur sexuellen Belästigung gestellt. Kühn dampfte den Themenkomplex sexuelle Belästigung für die neue Studie auf zwei Fragen ein. Wurden bestimmte Fragen also deshalb gestrichen, weil die Bundeswehr die Ergebnisse fürchtete?

In der Studie von 2005 wurde unter anderem noch danach gefragt, wie viele Frauen sexuelle Belästigung wirklich meldeten und ob sie mit der Bestrafung der Täter zufrieden seien. Damals schnitt die Bundeswehr nicht allzu gut ab: Drei Viertel der Frauen hatten den Vorfall überhaupt nicht gemeldet, weil sie meinten, es würde sich ohnehin nichts ändern. Auch die, die eine Beschwerde eingereicht hatten, waren meistens unzufrieden. Fast die Hälfte sagte, dass es entweder gar keine Untersuchung gab oder diese stark verzögert wurde. Das müsse "nachdenklich" stimmen, fassten die Wissenschaftler damals zusammen. In der neuen, 2011 erhobenen Umfrage, tauchten die Fragen aber überhaupt nicht mehr auf. Folglich sind auch in der nun veröffentlichten Studie keine Ergebnisse dazu zu finden.

Dafür hat eine Sprecherin der Bundeswehr eine überraschende Begründung parat: Die Umfrage von 2011 sollte vergleichbar gemacht werden mit ihrer Vorgängerstudie von 2005 . Auf die Frage, wie ein Vergleich denn möglich sein könne, wenn Fragen zur sexuellen Belästigung von 2005 dann 2011 gar nicht mehr gestellt würden, hatte die Sprecherin der Bundeswehr keine Antwort.

"Ober sticht Unter"

Auch der Leiter der Studie, Gerhard Kümmel, stutzt, wenn er die jetzige Argumentation des Verteidigungsministeriums hört. Er hätte den Fragekatalog gerne so gelassen, wie er war. Doch "irgendwann sticht dann Ober Unter", sagt er. Bei Auftragsforschung sei es normal, dass der Auftraggeber den Inhalt oder die Zusammenstellung von Fragebögen verändert. Soziologieprofessorin Hella von Unger aus München hat die Erfahrung gemacht: Vor allem "sensible oder kontroverse Ergebnisse" müssten "abgestimmt" werden.

Auch an anderer Stelle versuchte die Bundeswehr offenbar, sich in ein besseres Licht zu setzen. Als die beunruhigenden Resultate vor ein paar Monaten bei der Referatsleitung auf dem Tisch lagen, bekam Wissenschaftler Kümmel den Auftrag herauszufinden, ob andere Arbeitgeber nicht ähnliche Probleme mit sexueller Belästigung hätten. Hatten sie - die Strategie der Bundeswehr ging auf. Bei der Vorstellung der Studie letzten Freitag wurde noch einmal extra betont: Die Bundeswehr ist nicht der einzige Buhmann.

Forscher Kümmel bedauert, dass sein Fragebogen eingekürzt wurde und damit manche Themen ausgespart wurden, hinter den Ergebnissen seiner Studie kann er aber stehen. Die Meinung der Grünen Katja Keul, das Verhalten der Bundeswehr sei nicht "mit dem Grundsatz der Freiheit der Forschung vereinbar", teilt er nicht. Vielmehr ist er froh, überhaupt zu dem heiklen Thema forschen zu können, und zuversichtlich, dass er die unerwünschten Fragen in der nächsten Studie wieder stellen darf. "Manchmal ist es schon ein Unterschied, welche Person auf einem Dienstposten sitzt", sagt Kümmel.

Seit der Vereidigung von Ursula von der Leyen zur Verteidigungsministerin weht ein anderer Wind durch die Gänge des Bendlerblocks. Mit der neuen Ministerin bekommen Themen wie die Integration von Frauen mehr Aufmerksamkeit.

Aber es zeigt sich auch: Die Ministerin hat im eigenen Haus offenkundig noch viel Arbeit vor sich.

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