Freital: Auf der Spur der sächsischen Fremdenfeinde
Rechtsterroristen in Sachsen
Glanz und Glatze
"Regionale rechtsterroristische Strukturen": Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen militante Neonazis in Freital sind ein Paukenschlag. Was ist bloß los mit dieser Stadt? Ein Ortsbesuch.
Supergut, sagt sie. Ein superguter Tag sei das gewesen. Ein Tag, der zeige, dass es doch voran gehe in Freital. Steffi Brachtel schöpft neue Hoffnung für die sächsische Kleinstadt vor den Toren Dresdens.
Am Dienstag im Morgengrauen hatte die Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei, die GSG 9, zugeschlagen und im Auftrag des Generalbundesanwalts fünf
mutmaßliche Rechtsterroristen in Freital festgenommen
. Innenminister Thomas de Maizière sprach in der Folge von "regionalen rechtsterroristischen Strukturen".
Das klingt heftig. Wie NSU. Und das soll es auch.
Endlich hat es jemand beim Namen genannt. Endlich wehrt sich der Staat. So fühlt es sich für Brachtel an, die im vergangenen Jahr die "Organisation für Weltoffenheit und Toleranz" mitgegründet hat, um der Hetze gegen Flüchtlinge in Freital und den Demonstrationen gegen eine Notunterkunft in einem früheren Hotel zu begegnen sowie den Ruf ihrer Heimat zu verbessern.
Das linke Bündnis hat nur ein Dutzend Mitglieder und wohl auch nicht wirklich viel mehr Unterstützer in der 40.000-Einwohner-Stadt, und deshalb erscheint ihnen der GSG-9-Einsatz so, als hätte jemand das Fenster geöffnet und frische Luft hereingelassen.
Versuchter Mord
Ein paar Kilometer weiter kämpft auch Uwe Rumberg um den Ruf der Stadt. Nur anders. Der CDU-Mann ist seit gut einem halben Jahr Oberbürgermeister von Freital. "Sehr positiv" bewerte er die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe: "Wir sind froh, dass man Flagge zeigt und Taten folgen lässt."
Oberbürgermeister Uwe Rumberg
Foto: Gregor Fischer/ picture alliance / dpa
Damit aber hört die Gemeinsamkeit zwischen dem Oberbürgermeister und der Aktivistin dann auch schon auf. Brachtel wirft Rumberg vor, erst auf öffentlichen Druck zu reagieren. Rumberg entgegnet, er sei gegen jegliche Art von Extremismus, "ob links, rechts oder religiös motiviert". Vielleicht habe Karlsruhe jetzt noch im richtigen Moment gehandelt, "damit nicht aus einem kleinen Problem ein großes Problem wird" (lesen Sie
hier einen Report
, wie die Stadt mit den Folgen der Proteste gegen Flüchtlinge im vergangenen Jahr umging).
Klar ist: Vier der fünf Rechtsterroristen, bezeichnet als "Gruppe Freital", wird versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Sie sollen zudem für zwei Sprengstoffexplosionen und Sachbeschädigungen verantwortlich sein. Der fünfte Verdächtige wird der versuchten gefährlichen Körperverletzung beschuldigt. Es geht um Angriffe auf Asylbewerberheime und politische Gegner.
Zwei mutmaßliche Anführer, Timo S. und Patrick F., sitzen bereits seit einiger Zeit in Untersuchungshaft
.
Brachtel glaubt, dass sich rund zwei Dutzend Freitaler der Bürgerwehr zugehörig fühlten, zu dessen Umfeld auch die "Gruppe Freital" gezählt wird. Eine Bürgerwehr, die ihr Facebook-Profil mit dem Spruch schmückte: "Im Osten ist es Tradition, da knallt es vor Silvester schon."
Die Gruppierung, die nun im Fokus der Ermittler steht, soll sich im Juli 2015 zusammengeschlossen haben, das jüngste Mitglied ist heute 18 Jahre, das älteste 39. Wer ihre Spuren in Freital sucht, der stößt auf verschlossene Menschen. Und auf bemerkenswerte Ignoranz. "Ja, jetzt ist es eine terroristische Vereinigung, voriges Jahr war es noch eine kriminelle Vereinigung. Die legen das aus, und ich kann daran nichts ändern", sagt der Vater von Patrick F. gegenüber SPIEGEL TV. Sein Sohn sei nicht radikal. Man dürfe eben nicht alles glauben, was in der Zeitung stehe.
Braune Symbolik fällt auf
Was ist bloß los mit Freital? Warum ausgerechnet diese Stadt, in der gerade mal 700 Flüchtlinge leben? Sie war doch einst ein Vorzeigemodell, auf SPD-Initiative Anfang der Zwanzigerjahre gegründet, mit dem Ziel, frei von Ausbeutung sein zu wollen, deshalb: Freital. Arbeitersiedlungen, Arbeiterärzte, Arbeiterkultur - und die SPD regierte mit Zweidrittelmehrheit. Zwei deutsche Diktaturen später ist davon nichts mehr geblieben.
Freilich, die Oberfläche glänzt wieder, die meisten Fassaden sind restauriert, über mehrere Kilometer windet sich die Häuserkette an der Hauptstraße durchs Tal.
Der Tourismus aber hat gelitten, wegen der Proteste, wegen der Gewalt
. Und schaut man genauer hin - auf die Häuser, an den Wegesrand, auf die Autos -, dann fällt schnell die braune Symbolik auf.
Ortsschild von Freital
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERS
Zig Stromkästen sind mit "No Asyl"-Schriftzügen beschmiert; ein Autokennzeichen hat die Endung "AH 18" (Code für Adolf Hitler); Leute tragen Klamotten aus der Neonazi-Szene spazieren.
Der Oberbürgermeister hat eine Initiative zur Entfernung der "Schmierereien im Stadtgebiet" gestartet. Steffi Brachtel sagt zur allgemeinen Stimmung der Leute im Ort: "Wir werden als Nestbeschmutzer hingestellt, als Verräter, die alles in den Dreck ziehen." Ein 19-jähriger Passant mit großem Ohrring meint, man müsse in Freital aufpassen, was man sage: "Wenn du hier für Verständnis gegenüber Flüchtlingen wirbst, machen dich ganz normale Leute gleich zur linken Zecke." Man belauere sich, man wolle nichts Falsches sagen, keinen Ärger haben. Schließlich sagt er: Es sei gut, dass die GSG 9 eingegriffen habe. Gut, dass der Rest Deutschlands jetzt über die Stadt spreche. Wieder dieser Luftzug.
Vielleicht ist dies schon ein Teil der Antwort auf die Frage nach dem Warum: Über Jahre haben viele im Osten nicht über das Problem selbst sprechen wollen, sondern vielmehr die Beschäftigung damit zum eigentlichen Problem stilisiert.
Erst jüngst gestand ja Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich
ein, dass das Ausmaß des Rechtsextremismus in seinem Land lange unterschätzt wurde.
Die Oberfläche glänzte, und weil sie so schön glänzte und alle vornehmlich darauf schauten, konnte der Hass darunter ungestört gären. Die Ausnahmesituation Flüchtlingskrise hat diese Täuschung entlarvt. Nun kann zumindest keiner mehr das Problem wegdrücken.
Die Karlsruher Ermittlungen seien nur ein Anfang, sagt Steffi Brachtel: "Denn das Gedankengut ist ja nicht weg, nur weil ein paar Leute festgenommen wurden." Die Anfälligkeit der Freitaler? Die sei weiterhin da. Und auch der Zugriff der Ermittler vom Dienstag war womöglich noch nicht der letzte. "Der Ermittlungskomplex ist durchaus größer", sagt Sachsens Innenminister Markus Ulbig, "weitere Aktivitäten laufen derzeit."
14 BilderFreital: Auf der Spur der sächsischen Fremdenfeinde
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Unter anderem in diesem Haus in Freital sollen GSG-9-Beamte Terrorverdächtige festgenommen haben. Verdächtigt werden Justin S., Rico K., Maria K., Sebastian W., und Mike S.
Foto: Matthias Rietschel/ Getty Images
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Der Vorwurf: Unter Führung von Timo S. und Patrick F., die schon länger in Untersuchungshaft sitzen, soll die "Gruppe Freital" mit illegalen Feuerwerkskörpern Anschläge auf Flüchtlinge und Linke verübt haben. Das Bild aus dem November 2011 zeigt das Fenster einer Wohnung von Asylbewerbern in Freital, das nach einem Anschlag mit einer Holzplatte provisorisch abgedichtet wurde.
Foto: Arno Burgi/ dpa
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Durch umherfliegende Glassplitter wurden Bewohner verletzt. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen hatten aus Tschechien importierte, sprenggewaltige Feuerwerkskörper an die Fenster geklebt oder durch eingeworfene Fenster in die Häuser geschleudert.
Foto: DPA/ Polizeidirektion Leipzig
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Anti-Flüchtlingsprotest in Freital: Ein Beitrag von SPIEGEL TV zeigte schon im vergangenen Sommer, wie sich Ressentiments und Fremdenhass in der sächsischen Kleinstadt gegenseitig befördern.
Foto: SPIEGEL TV
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Freital im Juni 2015: Tagelang demonstrierten hier Fremdenfeinde vor einer Flüchtlingsunterkunft.
Foto: AP/dpa
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Am 24. Juni protestierten Flüchtlingsgegner mit einer deutsch-russischen Fahne,...
Foto: DPA
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...zwei Tage danach stellten sich 250 Freitaler gegen den rechten Mob, der mit "Kein Ort zum Flüchten"-Plakat auflief.
Foto: Oliver Killig/ dpa
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Dass es kein Asyl und keine Asylbewerber in Freital geben soll, finden Hunderte Freitaler und stellen das regelmäßig bei Protestmärschen zur Schau.
Foto: Arno Burgi/ dpa
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"Bitte flüchten Sie weiter", sagt dieser Aufkleber, fotografiert im Juli 2015 an einem Laternenmast in Freital.
Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFP
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Vor dieser Flüchtlingsunterkunft in Freital pöbelte der fremdenfeindliche Mob.
Foto: dpa Picture-Alliance / Peter Endig/ picture alliance / dpa
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Freital ist wie die Orte...
Foto: Arno Burgi/ dpa
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...Clausnitz (Busblockade durch einen hundertköpfigen Mob, Februar 2016)...
Foto: SPIEGEL TV
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...und Meißen (im Bild: Löscharbeiten nach einem Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft für Asylsuchende, Juni 2015) zum Synonym für Fremdenhass in Sachsen geworden.
Foto: Roland Halkasch/ dpa
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Erst zögerlich räumte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ein, dass sein Bundesland ein Problem mit Ausländerfeindlichkeit hat. Hier demonstriert die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung in der Landeshauptstadt Dresden.
Foto: Arno Burgi/ dpa
Durch umherfliegende Glassplitter wurden Bewohner verletzt. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen hatten aus Tschechien importierte, sprenggewaltige Feuerwerkskörper an die Fenster geklebt oder durch eingeworfene Fenster in die Häuser geschleudert.
Foto: DPA/ Polizeidirektion Leipzig
Vor dieser Flüchtlingsunterkunft in Freital pöbelte der fremdenfeindliche Mob.
Foto: dpa Picture-Alliance / Peter Endig/ picture alliance / dpa
...Clausnitz (Busblockade durch einen hundertköpfigen Mob, Februar 2016)...
Foto: SPIEGEL TV
...und Meißen (im Bild: Löscharbeiten nach einem Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft für Asylsuchende, Juni 2015) zum Synonym für Fremdenhass in Sachsen geworden.