
Parteivorsitz Die CDU braucht klare Führung


Friedrich Merz beim Politischen Aschermittwoch in Apolda, 26. Februar 2020
Foto: Jens Schlueter/ AFPIn wenigen Tagen wählt die CDU einen neuen Vorstand. Das Interesse der Öffentlichkeit richtet sich fast ausschließlich auf die Person des möglichen Vorsitzenden. Tatsächlich steht die CDU jedoch vor einer tiefen Zäsur. Angela Merkel hat den Parteivorsitz bereits vor zwei Jahren abgegeben. Der Bundestagswahlkampf im September wird seit 1949 der erste ohne Bundeskanzler(in) sein. Die CDU muss, ob sie will oder nicht, aus dem Schatten von Angela Merkel heraustreten. Ihre Verdienste stehen ab September 2021 in den Geschichtsbüchern, die Wählerinnen und Wähler orientieren sich neu. Aber wohin werden sie sich orientieren?
Die Ausgangslage für die Union ist auf den ersten Blick gut. In den Umfragen liegt die Union stabil bei 36 bis 38 Prozent. Hierin spiegelt sich die Zustimmung der Bevölkerung für das Krisenmanagement der Bundesregierung, vor allem für das der Bundeskanzlerin wider. Krisenzeiten sind Regierungszeiten, genauer noch: Zeiten der Regierungschefs, vorausgesetzt, sie überzeugen in der Einheit von Handeln und Auftreten die Mehrheit der Bevölkerung. Das ist bei Angela Merkel der Fall.
Ein zweiter Blick zeigt: Ohne Corona wäre die Lage vollkommen anders. Zum Beispiel wie vor einem Jahr. Und nach Corona wird sein wie vor Corona: Es kommen wieder andere Themen auf die Tagesordnung, die Kritik wird wieder wachsen und die Zahl der politischen Konflikte auch.
Die Ausgangslage für das Wahljahr 2021 liegt damit eher im Jahr 2019 als im Ausnahmejahr 2020. Im Europa-Wahljahr 2019 ist der CDU die Deutungshoheit über das Klimathema abhandengekommen. Zwei trockene Sommer und eine junge Aktivistin aus Schweden haben ausgereicht, um die CDU ziemlich aus dem Tritt zu bringen. Die Folge war das schlechteste Wahlergebnis bei einer Europawahl seit der ersten Direktwahl vor 40 Jahren. Bei den Bundestagswahlen hat die Union seit der Bundestagswahl 2002 bis auf eine Ausnahme ebenfalls beständig verloren, bei der letzten Bundestagswahl erzielte sie mit 32,9 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis seit 1949.
Am 16. Januar wählt die CDU einen neuen Parteivorsitzenden – fast ein Jahr, nachdem die amtierende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug angekündigt hat. Mehrfach musste die Wahl wegen der Corona-Pandemie verschoben werden, nun findet sie zunächst digital statt und soll danach per Briefwahl rechtlich verbindlich bestätigt werden. Die Kandidaten Norbert Röttgen und Armin Laschet (im Duo mit Jens Spahn) haben im SPIEGEL bereits ihre Vorstellungen dargelegt; der Beitrag von Friedrich Merz ist der dritte und letzte in dieser Reihe.
Zur Vollständigkeit des Bildes gehört leider auch: Die CDU hat in den letzten 30 Jahren rund die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Ein fröhliches »Weiter so« ist damit ebenso wenig angezeigt wie der unkonkrete Anspruch, jederzeit »Die Mitte« zu besetzen, ja so etwas zu sein wie »Die Mitte« schlechthin. Diese politische Mitte ist unübersichtlich geworden, und es tummeln sich dort nicht wenige, die vieles im Sinn haben, aber ziemlich sicher nicht, beim nächsten Mal ganz einfach »Die Mitte«, also die CDU zu wählen.
Nun sind Maß und Mitte immer ein Wesensmerkmal der Union gewesen, insbesondere der CDU. Dabei muss es auch bleiben. Aber die Konkurrenz schläft eben auch nicht, und deshalb gilt es, in der CDU und für die CDU einige Grundsatzfragen zu klären, bevor es in den nächsten Bundestagswahlkampf geht, und der beginnt bekanntlich in weniger als acht Monaten. Aus meiner Sicht sind es vor allem drei große Themen, die wir inhaltlich und personell überzeugend besetzen und beherrschen müssen:
Da ist zum einen das Megathema Klimawandel. Wird der Sommer 2021 wieder zu trocken, dann könnte der Klimawandel erneut das beherrschende Thema der Wahl werden. Die CDU hat Umweltpolitik und Marktwirtschaft im Traditionsgepäck wie keine zweite Partei in Deutschland. Uns ist es bis heute aber nicht gelungen, in den Augen einer klimasensiblen Öffentlichkeit den Nachweis zu erbringen, dass nur eine ökologisch erneuerte Marktwirtschaft beide Ziele erreichen kann, nämlich wirksamen Klimaschutz und – auch in Zukunft – Wohlstand für alle. Wir bestreiten nicht die Dringlichkeit der Maßnahmen, und wir sind uns mit anderen Parteien im Ziel einig. Aber wir können einen besseren Weg zum Ziel aufzeigen als den der beständig stärker werdenden Regulierung, der Einschränkung unserer Freiheit, der Verbote, der Bevormundung, der gouvernantenhaften Belehrung des deutschen Volkes.
Das zweite große Thema wird nach Corona ebenfalls neue Antworten von uns verlangen, nämlich wie konkret wollen wir denn den notwendigen Zusammenhalt unserer Gesellschaft organisieren – sozial, materiell, kulturell und generationenübergreifend? Den Zusammenhalt zu beschwören ist das eine, ihn konkret zu ermöglichen, ist weitaus komplexer. Corona hat die Ungleichgewichte in der Bevölkerung vergrößert, die Sozialversicherungen sind allesamt auf die Zeit nach den Babyboomern nicht vorbereitet. Einwanderung und Integration stellen die Gesellschaft vor zusätzliche Herausforderungen. Und vor allem: Wir sind noch lange nicht aus der Rezession heraus, wirtschaftspolitisch stehen in der nächsten Wahlperiode des Bundestages einige sehr konkrete Entscheidungen an, und die gilt es, vor der Wahl zur Diskussion zu stellen. Dazu gehört aus meiner Sicht vor allem ein fairer Umgang mit der jungen Generation, ein neuer Generationenvertrag, der den jungen Menschen in unserem Land eine Perspektive gerade nach Corona und trotz der hohen Schulden gibt.
Schließlich: Wie geht es weiter mit Europa? Können und wollen wir Europäer im globalen Kräftediagramm eine Rolle spielen, und welchen Beitrag sollte Deutschland nach Auffassung der CDU bereit sein zu liefern? Welche Zielvorstellung von der Handlungsfähigkeit Europas haben wir überhaupt, technologisch, ökonomisch, ökologisch, sicherheitspolitisch? Wollen wir Champions League spielen oder Kreisklasse?
Alle diese Fragen erfordern von der Politik in naher Zukunft Antworten, und da angesichts hoher Schulden nicht mehr alles gleichzeitig zu haben ist, müssen Prioritäten gesetzt werden. Gerade solche Abwägungen sind der CDU in den letzten Jahren weitgehend erspart geblieben, denn im Zweifel war Geld genug für alles da. Die Zeiten gehen jetzt zu Ende. Und damit ist politische Führungsverantwortung gefragt. Auch und gerade nach der Krise.