Führungspersonal für Protestpartei Provokateure, Frustrierte, Zauderer

Merkel und Steinbach: Organisieren sich die Enttäuschten?
Foto: ARND WIEGMANN/ REUTERSBerlin - Es sind keine schönen Eindrücke, die an der Basis gesammelt hat. "Von hängenden Schultern" berichtet sie der CDU-Führung am Montag, von der "verzweifelten Resignation" vieler älterer Parteimitglieder. Dann, so erzählen es Teilnehmer der Vorstandssitzung, will von Steinbach wissen, warum sie persönlich so enttäuscht von ihrer Partei ist. Sie habe doch immer zu den Vertriebenen gestanden, sich für ihre Anliegen eingesetzt, immer versucht, alle einzubinden. Wann also, fragt die CDU-Vorsitzende ihre Parteifreundin, wann habe man sie in der Vergangenheit alleingelassen?
Steinbach blickt zum Chef der Unionsfraktion. Volker Kauder zum Beispiel, sagt sie, der habe mal sinngemäß gesagt: "Ihr Vertriebenen macht eh immer nur Ärger." Kauder guckt erstaunt: "Was?! Das soll ich gesagt haben?" Wenn überhaupt, dann sei das nur "Spaß" gewesen, soll er sich laut Teilnehmern verteidigt haben.
Es heißt, Steinbach habe den Spaßcharakter der Aussage im persönlichen Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden später eingeräumt. Doch der kleine Schlagabtausch zeigt: Die Stimmung in der CDU ist angespannt. Ein falsches Wort kann zum Streit führen - und die Debatte über den Kurs der Partei weiter anheizen.
Die ist ohnehin wieder mächtig in Fahrt gekommen, nachdem Steinbach in der vergangenen Woche mit der gesammelten Fraktionsspitze aneinandergeraten ist und anschließend ihren Rückzug aus dem CDU-Vorstand angekündigt hat, in dem sie sich am Montag noch einmal gerechtfertigt hat. Seither wird in neuer Schärfe diskutiert: Wo bleibt das Konservative in der Partei? Vernachlässigt die moderne Merkel-Union die rechte Flanke?
Und weil diese Fragen die CDU nicht zum ersten Mal umtreiben, denken viele noch einen Schritt weiter: Ist bald der Zeitpunkt gekommen, dass sich die Frustrierten zusammentun und eine eigene Partei gründen? Eine Partei rechts von CDU und CSU für die, die sich in der Union nicht mehr zu Hause fühlen. Oder die wie Steinbach nicht verstehen, dass Merkel einen wegen seiner Migrantenschelte rügt. Weil sie meinen, dass ausgerechnet ein SPD-Mitglied und Ex-Senator einer rot-roten Landesregierung ausspricht, was eigentlich alle denken - vor allem in der Union.
Bei stabilen 20 Prozent sieht Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner von Emnid das Potential einer rechtskonservativen Protestpartei. "Sie wäre fraglos machbar und stieße auf einen fruchtbaren Boden", sagt Schöppner. Forsa-Chef Manfred Güllner spricht von einem Potential von seit Jahren etwa 14 Prozent. Und der Bonner Politikwissenschaftler und CDU-Kenner Gerd Langguth glaubt, dass das Lager der Unzufriedenen rechts der Union "mühelos" die Fünfprozenthürde überspringen könnte.
Bleibt das Problem, das alle Experten sehen: Wer könnte den ersten Schritt machen und versuchen, die Stimmen der Enttäuschten einzusammeln?
Ein Sympathieträger müsste her, einer mit (Strahl-)Kraft und Durchhaltevermögen. , , sind Namen, die als mögliche Köpfe einer neuen Partei genannt werden, dazu kommen nun Thilo Sarrazin und Erika Steinbach. Oder einer wie der Berliner Ex-CDU-Mann René Stadtkewitz, der eine Neugründung auf Landesebene schon angekündigt hat.
Hätte einer das Zeug zur Führungsfigur? Und wer würde überhaupt wollen? SPIEGEL ONLINE macht den Realitätscheck. (Klicken Sie auf die Namen oder Bilder - und geben Sie Ihre Stimme im Vote in der linken Spalte ab)
Thilo Sarrazin

Thilo Sarrazin: "Habe nichts Neues vor"
Foto: INA FASSBENDER/ REUTERSEr spaltet die Nation: Die einen halten für einen schlimmen Provokateur, der seine Islamfeindlichkeit mit ein paar Statistiken wissenschaftlich aufgehübscht hat. Für die anderen ist Sarrazin spätestens mit seinem neuen Buch "Deutschland schafft sich ab" zum Hoffnungsträger geworden. Weil er, finden seine Bewunderer, die Dinge beim Namen nenne und den etablierten Parteien ihr Versagen in der Integrationspolitik schonungslos vor Augen führe. Für die Sarrazin-Fans gäbe es keine passendere Führungsfigur an der Spitze einer neuen Partei rechts von der Union als den Noch-Sozialdemokraten.
Nur: Sarrazin ziert sich.
"Ich war mein Leben lang ein politisch sehr stark interessierter Mensch. Aber zum Frontmann habe ich nie getaugt", sagte er kürzlich in einem Interview mit der "FAZ". Außerdem hält der Bildungsbürger Sarrazin ohnehin wenig von den tumben Populisten dieser Republik: "Parteigründungen enden in Deutschland fast immer so, dass sich dort sehr schnell die Spinner aller Couleur versammeln." Und: Er hat ja bereits eine Partei. Sarrazin sieht sich, obwohl die SPD am Montag formal ein Ausschlussverfahren gegen ihn beschloss, weiterhin als Sozialdemokrat. "Ich habe vor, das SPD-Parteibuch mit ins Grab zu nehmen", sagte er in dem Interview.
Und selbst wenn ihm seine Partei das rote Büchlein nach Abschluss des Verfahrens tatsächlich vor die Füße werfen sollte: Vielleicht schreibt Sarrazin weitere Bücher - aber politisch ist von ihm nichts zu erwarten. "Etwas Neues habe ich nicht mehr vor", sagte er der "FAZ".
Roland Koch

Roland Koch: "Konservativer Reformer"
Foto: ddpPlötzlich hatten ihn alle lieb. Als Ende Mai seinen Rückzug als hessischer Ministerpräsident und CDU-Bundesvize verkündete, war der Aufschrei groß. Was für ein Verlust, stöhnten Christdemokraten und einstige Kritiker gleichermaßen. Vergessen sein Hang zur Polarisierung, den mancher nun als die besondere, in der Politik vermeintlich längst verlorene Gabe verklärt, auch mal klare Kante zu zweigen. Beim feierlichen Adieu vor zwei Wochen in Wiesbaden machte sogar Angela Merkel Witzchen über Kochs Hang zum "Streit als Lebensform".
Tatsächlich dürfte auch ein gutes Stück Erleichterung zur guten Laune bei der Kanzlerin beigetragen haben, schließlich ist sie mit dem Rücktritt des Hessen einen ihrer ärgsten Rivalen los. Und sie weiß auch, dass ihr der Aussteiger politisch nicht mehr wirklich gefährlich werden wird. Auch wenn der ein oder andere Christdemokrat Koch schon in wichtiger Rolle zurückwünscht, sein Abschied ist endgültig. Das gilt für die Politik insgesamt, zumindest für politische Ämter. Und es gilt erst recht für eine andere Partei.
Viele könnten sich Koch zwar als Führungsfigur einer stramm konservativen Vereinigung vorstellen. Doch für solche Experimente steht der ausgeschiedene Ministerpräsident nicht zur Verfügung - er ist Christdemokrat durch und durch, als "konservativer Reformer", wie er sich selbst nennt, verbindet er die alte Kohl-CDU mit der modernen Merkel-Union. Ein Vermächtnis wird er der Kanzlerin aber noch hinterlassen, auch wenn es - wie man im Koch-Lager betont - keine Abrechnung werden soll. Anfang Oktober erscheint sein Buch. Titel: "Konservativ - ohne Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen."
Friedrich Merz

Friedrich Merz: "Nicht der Lafontaine auf der anderen Straßenseite"
Foto: ddpEr ist Angela Merkels Phantom(sch)merz: Wann immer in der CDU über verlorengegangenes Wirtschaftsprofil oder ein angebliches konservatives Vakuum geklagt wird, dauert es nicht lange, bis sein Name fällt. "Der , das wär' einer, der könnte das", heißt es dann gerne, egal ob an der Basis oder unter führenden Christdemokraten.
Die fachliche und die rhetorische Kompetenz des Vaters der Bierdeckel-Steuererklärung sind in CDU-Kreisen unbestritten. Doch in der Spitze der Partei ist für ihn kein Platz mehr - solange sie die Merkel-Union ist. Nachdem ihn die Parteichefin 2002 vom Fraktionsvorsitz verdrängt hatte, zog sich Merz immer weiter zurück. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr trat er nicht mehr an, weil er sich in der CDU von heute nicht mehr recht zu Hause fühlt.
Seitdem wird mit schöner Regelmäßigkeit über sein politisches Comeback spekuliert - auch als Kopf einer neuen, konservativen Partei. Die Meinungsforscher von Emnid wollen jüngst ermittelt haben, dass 20 Prozent der Wähler sich vorstellen könnten, einer Merz-Partei zu folgen. Doch derzeit wird der seinen gut dotierten Posten als Anwalt nicht gegen ein unsicheres politisches Experiment eintauschen. Er wolle nicht "den Oskar Lafontaine auf der anderen Straßenseite" spielen, hat er im April im SPIEGEL-Gespräch gesagt.
Ob das für immer gilt? Ungewiss. Merz ist schließlich trotz allem ein Vollblutpolitiker, den der Ehrgeiz jederzeit wieder packen könnte.
Erika Steinbach

Erika Steinbach: "Politischer Kurswechsel nicht verkehrt"
Foto: ddpDas erste längere Interview nach dem Eklat glich einer Abrechnung. Vom "falschen Kurs" Angela Merkels sprach , 67. "Verschleiert, verbrämt, nicht ausgesprochen" würden konservative Werte in ihrer Partei, stellte sie tief enttäuscht fest. Drei Tage waren da vergangen, seit die Vertriebenenpräsidentin im Fraktionsvorstand mit ihren Sätzen zur deutschen Kriegsschuld für Wirbel und Empörung gesorgt und anschließend ihren Rückzug aus der erweiterten Parteispitze angekündigt hatte.
Im Fraktionsvorstand will sie vorerst bleiben, doch Steinbach will nicht länger die "Alibi-Konservative" sein. So hat sie die lange schwelende Profildebatte in der Union samt Spekulation über eine neue Rechtspartei erst so richtig wieder angeheizt. Sie hält eine solche Neugründung nicht für ausgeschlossen. Wenn sich jemand "mit etwas Charisma und Ausstrahlung auf den Weg begeben würde", dann könnte er ihrer Meinung nach die Fünfprozenthürde spielend überspringen.
Würde Steinbach vorangehen? "Ich versuche, meine Parteifreunde davon zu überzeugen, dass ein politischer Kurswechsel nicht verkehrt wäre", sagt sie. Und wenn der Kurswechsel ausbleibt? "Ich bleibe in der CDU", beteuert Steinbach. Vielleicht aber muss man der Vertriebenenfunktionärin die Frage in einem Jahr noch einmal stellen.
Wolfgang Clement

Wolfgang Clement: "Ich bin nicht mehr ganz so jung, für mich scheidet das aus"
Foto: ddpEigentlich bringt alles mit für den Job: Er verfügt als ehemaliger Ministerpräsident und Bundeswirtschaftsminister über enorme politische Erfahrung, ist rhetorisch begabt - und eitel genug für eine Rolle an der Spitze. Außerdem ist der selbsternannte Querdenker seit seinem SPD-Austritt parteipolitisch heimatlos. Und dennoch stehe er für eine Parteigründung nicht zur Verfügung, sagt Clement.
In einem gemeinsamen SPIEGEL-Interview mit dem christdemokratischen Renegaten Friedrich Merz stellte Clement vor einigen Monaten klar: "Wir wollen zur Kehrtwende und zur entschlossenen Reform aufrufen und keine neue Partei oder neue Republik ausrufen." Er sei auch schlicht zu alt für solche Dinge, sagte der 70-Jährige: "Ich bin nicht mehr ganz so jung, für mich scheidet das aus."
Seine Rolle sieht Clement als eine Art Weiser im Hintergrund, der unliebsame Wahrheiten thematisiert. "Politik ist, auszusprechen, was ist", sagte er kürzlich bei einer Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Und so fühlt sich Clement aktuell beispielsweise dazu berufen, den Noch-Sozialdemokraten Sarrazin gegen Kritik aus der SPD zu verteidigen. Aus 50 Jahren Erfahrung in und mit Politik "melde ich mich weiter zu Wort", sagte Clement dem SPIEGEL - nicht mehr und nicht weniger.
René Stadtkewitz

René Stadtkewitz: "Hetzjagd" auf Sarrazin
Foto: dapdRené Stadtkewitz, 45, will den Diskussionen über eine mögliche Rechtspartei neben der Union Taten folgen lassen. In der vergangenen Woche kündigte er die Gründung einer neuen politischen Vereinigung an - drei Tage nachdem ihn die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus rausgeworfen hatte. In der war er noch verblieben, obwohl er schon im Oktober vergangenen Jahres aus der Partei ausgetreten war.
Stadtkewitz gilt als scharfer Islamkritiker und Fan des niederländischen Rechtspopulisten . Weil er nicht davon ablassen wollte, Wilders zu einer Veranstaltung in Berlin im Oktober einzuladen, sah die Berliner CDU keine Basis mehr für eine Zusammenarbeit. Den letzten Impuls für die Gründung einer neuen Partei hat für Stadtkewitz nach eigenen Worten die "Hetzjagd" auf Thilo Sarrazin gegeben.
"Die Freiheit" hat noch kein Programm, aber nach den Worten des Gründers wird sie gegen Bürokratie, gegen die EU, gegen den politischen Islam und für direkte Demokratie auf allen Ebenen sein. Stadtkewitz und seine Mitstreiter glauben, dass "Die Freiheit" bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr auf Anhieb die Fünfprozenthürde überspringen kann.
Tatsächlich dürfte das im linksliberal geprägten Berlin gar nicht so einfach werden. Scheitert "Die Freiheit" in der Hauptstadt, hätten sich aber auch alle bereits artikulierten bundesweiten Ambitionen erledigt. An der dafür nötigen Bekanntheit und Strahlkraft fehlt es Stadtkewitz bislang ohnehin. Es hängt also viel vom Durchhaltevermögen des Ex-CDU-Mannes ab.