CDU-Absturz in Fulda So wie früher wird's nicht mehr

Fulda war mal CDU-Hochburg. Nun haben hier die Wähler die Partei abgestraft. Nirgendwo in Hessen war der Absturz härter - und Merkels angekündigter Rückzug freut viele.
Fulda (hier der Bischofssitz)

Fulda (hier der Bischofssitz)

Foto: Jörn Perske/ dpa

Für einen Moment scheint es, als sei die Welt von Fuldas Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld noch in Ordnung. Wer den CDU-Politiker besucht, der geht vorbei an Buchsbäumen, die zu akkuraten Kegeln gestutzt sind, betritt das Stadtschloss durch hölzerne Flügeltüren, läuft über gepflegtes Fischgrätparkett, bis zum Büro mit der Aufschrift "Oberbürgermeister". Alles beim Alten, könnte man meinen. Doch seit Sonntag wankt Wingenfelds Welt - und zwar gewaltig.

"Das war schon ernüchternd", sagt der CDU-Mann über das schlechteste Wahlergebnis, das seine Partei je in Fulda eingefahren hat. Auf 36,5 Prozent der Stimmen kamen die Christdemokraten in der Stadt. Noch immer besser als der Landesdurchschnitt; doch im Vergleich zur letzten Landtagswahl vor fünf Jahren zeigt sich die Dramatik des Absturzes: Damals holte die Partei mit 49,4 Prozent in Fulda noch fast die absolute Mehrheit. Heute ist die AfD zweitstärkste Kraft in der Stadt.

Das Debakel der Hessenwahl, es strahlt weit über die Stadtgrenzen Fuldas hinaus, bis ins ferne Berlin. Dort verkündete Angela Merkel (CDU) am Montag, ihren Parteivorsitz im Dezember aufzugeben und nach 2021 nicht erneut als Kanzlerin zu kandidieren.

Wingenfeld ist ein umsichtiger Mensch, er bietet Gästen unaufgefordert Kaffee an und achtet darauf, das Licht hinter sich auszuschalten, wenn er den Raum verlässt. Mit derselben Umsicht wählt er seine Worte, wenn er über die Kanzlerin spricht. "Frau Merkel hat sicher einen gewissen Anteil an der Enttäuschung mancher Wähler", sagt Wingenfeld. "Ich finde es eine gute Entscheidung, dass sie nicht erneut als Bundeskanzlerin kandidieren will."

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Wenn selbst die Basis der Partei den Abgang der Führungskraft begrüßt, die seit 18 Jahren der CDU vorsteht - was heißt das für den Rückhalt Merkels in den eigenen Reihen? Wie lange wird sie noch Kanzlerin bleiben?

"Irgendwas müssen die ja mal ändern"

Ein paar Kilometer vom Schloss entfernt kurvt Wingenfelds Parteifreund Markus Meysner in seinem Jeep durch Fuldas Straßen und ist guten Mutes. Auch er begrüßt die Nachricht, dass Merkel den Parteivorsitz abgeben will. "Irgendwann müssen die ja mal etwas ändern, oder?" Meysner sitzt für die CDU im hessischen Landtag - vor wie nach der Wahl. Doch auch er musste einen herben Verlust von knapp 20 Prozentpunkten einbüßen.

Meysner trägt Bart und keine Krawatte, auf seinem Nadelstreifenhemd holt ein Polospieler zum Schlag aus. Eigentlich sei er nicht schick genug angezogen für ein Foto. Aber der CDUler ist noch im Wahlkampfmodus, er posiert dann neben seinem Auto. Auf der Beifahrertür fordert das Bild eines grinsenden Meysners noch immer die Wähler auf, für ihn abzustimmen.

Geräuschlos, harmonisch und erfolgreich

Viel genutzt hat es nicht. Die Wähler, da ist Meysner überzeugt, hätten die CDU für die politischen Entscheidungen auf Bundesebene abgestraft. Denn eigentlich, so erzählt Meysner, hätten die Fuldaer nichts zu meckern: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,7 Prozent, unter Bundesdurchschnitt. Auf einen Lehrling kommen laut Meysner zwei Ausbildungsplätze. Der Stadt gehe es gut. "Wir haben hier die letzten Jahre geräuschlos, harmonisch und erfolgreich regiert", so drückt der CDU-Politiker es aus.

Auch Meysner sieht den Grund für das schlechte Ergebnis der hessischen CDU in Berlin. Er verschränkt die Arme vor dem Bauch und zieht die Augenbrauen zusammen, wenn er darüber spricht. "Wenn ich im Wahlkampf unterwegs war, dann ging es in sechs von sieben Gespräche nur um Bundespolitik." Er habe Briefe erhalten von CDU-Mitgliedern, die aus der Partei austreten wollten. "Die Arbeit aber, die wir hier in Fulda geleistet haben, haben alle ausdrücklich gelobt", so Meysner.

Ein Denkzettel für die CDU

Die Bürger, denen es laut Meysner so gut geht, trifft man in der Fuldaer Innenstadt, auf dem Vorplatz der Kirche Sankt Blasius zum Beispiel, eines der vielen katholischen Gotteshäuser der Stadt. Der Anstrich der Fassade ist erst vor kurzem aufgebracht worden, auf den Stufen hinauf zum Kircheneingang finden sich rote Farbkleckse. Vor der Treppe stehen die Freundinnen Rosi und Sonja, die kleine Tochter vor sich im Kinderwagen.

"Es ist gut, dass die Wähler der CDU einen Denkzettel verpasst haben", sagt Rosi, die im Fuldauer Umland lebt. Sie habe viele Bekannte, die sich bei dieser Wahl erstmals für die AfD entschieden hätten. "Mein eigener Bruder hat blau gewählt", erzählt Sonja. Richtig finde sie das nicht. "Das führt bei uns zu einer Spaltung der Familie." Sie könne die Unzufriedenheit nicht verstehen, die die Wähler gegen die CDU aufbringe, vor allem gegen die Politik in Berlin. Und dann gibt sie Meysner doch noch Recht: "Uns geht es richtig gut hier in Fulda."

Ist da also Hoffnung? Findet die CDU zu alter Stärke zurück, wenn die Kanzlerin erst Platz gemacht hat für die dringend benötigte Erneuerung? Zurück im Büro des Oberbürgermeisters Heiko Wingenfeld, der Blick geht hinaus auf den Dom.

Wingenfeld ist Optimist, die Ankündigung der Kanzlerin gebe ihm vor allem Hoffnung auf eine Verbesserung der politischen Lage. Doch dann sagt Wingenfeld diesen Satz, der zeigt, wie nachhaltig die Wahl die Ordnung im Stadtschloss durcheinander gebracht hat. "So wie früher wird's nicht mehr." Dann lacht Wingenfeld. Vielleicht ist das ja ganz gut so.

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