G-8-Sherpa Pfaffenbach "Ich bewege mich auf schmalem Grat"

Was die acht Großen bei ihrem Treffen auf Hokkaido diskutieren, haben vorher "Sherpas" ausgehandelt. Zu dieser Vorhut gehört Staatssekretär Bernd Pfaffenbach. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht er über die speziellen Lasten, die er als Merkels Helfer trägt.

SPIEGEL ONLINE: Eines der Hauptthemen auf dem G-8-Gipfel in Japan ist die Energiefrage - vor allem die Kernenergie. SPD und Union haben sich im Koalitionsvertrag darauf festgelegt, am rot-grünen Ausstieg nicht zu rütteln. Bereits in Heiligendamm war das ein Problem. Wie gehen Sie als deutscher Unterhändler jetzt damit um?

Pfaffenbach: Wir sind da in einer schwierigen Situation. Alle anderen sieben wollen die Atomkraft ausbauen. Für mich gilt die Maxime: Die internationale Ebene ist nicht der Ort, wo deutsche Koalitionspositionen definiert werden. Das ist manchmal nicht einfach, dies in den Papieren zum Ausdruck zu bringen. Wir werden natürlich auf Basis der Koalitionsvereinbarung verhandeln.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind "G-8-Sherpa" der Kanzlerin. Die Sherpa sind Himalajabewohner und Synonym für Träger und Bergführer. Welche Lasten schultern Sie?

Pfaffenbach: Unsere hauptsächliche Arbeit besteht darin, die politischen Themen und Aussagen mit den Sherpas der anderen sieben Nationen abzustimmen. Das ist oft ein mühseliger Prozess, denn man muss aufpassen, nicht in einer Flut von Texten zu ertrinken. Gerade bei den Erklärungen der Staats- und Regierungschefs kommt es am Ende auf jedes Komma an. Die Vielfalt der Themen und die Tatsache, unter der unmittelbaren Weisung der Bundeskanzlerin zu stehen, macht die Aufgabe sehr, sehr reizvoll.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es tägliche Abstimmungen mit Frau Merkel?

Pfaffenbach: Nein, natürlich nicht. Sie nehmen aber zu, je näher der Gipfel rückt. Ich arbeite eng zusammen mit meinen zwei Sous-Sherpas aus dem Auswärtigen Amt und aus dem Finanzministerium, denen auch oft Aufgaben delegiert werden, und ich habe einen kleinen Sherpa-Stab im Wirtschaftsministerium. Zudem müssen viele Themen innerhalb der Bundesregierung mit den anderen Ressorts koordiniert werden.

SPIEGEL ONLINE: Gerhard Schröder hat Sie 2004 zu seinem G-8-Sherpa gemacht, Frau Merkel hat Sie übernommen. Was ist der Unterschied?

Pfaffenbach: Jeder hat seinen eigenen Stil. Letztendlich aber geht es darum, die Interessen des Landes zu vertreten. Nach meiner festen Überzeugung haben das beide Kanzler jeweils auf ihre eigene Art mit großem Durchsetzungsvermögen getan.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt, Frau Merkel überrasche ihre Gesprächspartner oft durch Detailwissen. Ein Eindruck, den auch Sie bestätigen können?

Pfaffenbach: Ja, das stimmt. Insbesondere in Klimafragen möchte die Kanzlerin jede Bewegung bei den endgültigen Formulierungen sehen. Sie analysiert sehr schnell, ob ein Satz oder eine Passage in einem Dokument zu einer Verbesserung oder Verschlechterung führt. Da bewege ich mich auf einem schmalen Grad - dann weiß ich sofort, dass ich in einer Gefahrenzone bin (lacht).

SPIEGEL ONLINE: Bei Herrn Schröder waren Sie direkt im Kanzleramt, als Merkels Sherpa sind Sie Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Haben Sie ein Sensorium dafür entwickelt, was Frau Merkel will oder nicht will?

Pfaffenbach: Ich glaube, das Koordinatensystem der Kanzlerin zu kennen - auf dieser Basis arbeite ich. Es wäre auch nicht angemessen, bei jedem Problem Rücksprache zu ersuchen. Aber je näher wir dem Gipfel kommen, umso präziser diskutieren wir die Positionen der Kanzlerin. Man kann es also auf eine Kurzformel bringen - meine Flexibilität nimmt mit zunehmender Nähe zum Gipfel ab.

SPIEGEL ONLINE: Und auf dem Gipfel übernimmt Merkel?

Pfaffenbach: Selbstverständlich hat die Kanzlerin jederzeit das Kommando über den gesamten Prozess. Der Gipfel ist für die Chefs da, wir Sherpas sind und bleiben im Hintergrund.

SPIEGEL ONLINE: Sie waren mit Ihrem Sherpa-Team vor Beginn des G-8-Gipfels viermal in Japan. Was sind die Unterschiede?

Pfaffenbach: Japaner sind sehr höfliche Menschen. Das merkt man auch in der Handhabung der Sitzungsleitung. In Vorbereitung des Klimapapiers bin ich einmal so scharf aufgetreten, dass ich mir hinterher Sorgen gemacht habe, ob das in der japanischen Kultur noch akzeptiert werden könne. Aber andere Sherpas haben mir hinterher gesagt: Das war schon in Ordnung so.

SPIEGEL ONLINE: Es geht unter den Sherpas also auch laut zu?

Pfaffenbach: Sehr, sehr selten. Man versucht es zu vermeiden. Anerkennung bekommen sie nur, wenn sie auf dem internationalen Parkett pfleglich miteinander umgehen. Das Wichtigste ist, dass sie gute Argumente haben und die auch nachweisen können.

SPIEGEL ONLINE: Wie oft treffen sich die Sherpas im Vorfeld?

Pfaffenbach: Regelmäßig. Zwischenzeitig machen die Sherpa-Stäbe die Kärrnerarbeit, indem sie laufend Kontakt halten, über E-Mails, über das Telefon. Auch meine Telefonate mit den Sherpas der anderen Staaten werden so vorbereitet, dass ich genau weiß, was von mir verlangt wird. Das ist eine ökonomische Herangehensweise - so muss man nicht erst am Telefon darüber nachdenken, wie die Entscheidung ausfallen soll.

SPIEGEL ONLINE: Geht es auch privat zu?

Pfaffenbach: Durch die intensive Zusammenarbeit kommt es selbstverständlich zu persönlichen Kontakten. Da tauscht man sich schon über das eine oder andere Private aus. Es entstehen sogar Freundschaften.

SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt einen Wettbewerb der Sherpas?

Pfaffenbach: Ja. Wie überall im Leben gibt es starke und nicht ganz so starke Verhandler, schwache habe ich nicht kennengelernt. Man selbst will natürlich ungern zu den nicht so Starken gehören. Am Ende sind wir alle Diener unserer Länder - und wollen das Beste erreichen.

SPIEGEL ONLINE: Hätten Sie einen Ratschlag für einen Sherpa-Neuling?

Pfaffenbach: Wie bei allen Verhandlungen muss man ein Ziel vor Auge haben: Welchen Text will ich da am Ende stehen haben? Wenn Sie abwarten, was die anderen machen, haben Sie schon halb verloren. Möglichst früh mit einem eigenen Angebot einsteigen - aber nicht alles ausliefern und immer noch etwas in der Hinterhand haben - das ist eine Grundregel. Ob es klappt, ist dann eine andere Frage.

Das Interview führte Severin Weiland

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