Gewalt beim G20-Gipfel Die Schuldfrage

In Hamburg beginnt der Innenausschuss die politische Aufarbeitung der G20-Krawalle. Was sind die Fakten? Wer macht wen für die Gewalt verantwortlich? Der Überblick.
Brennende Barrikade im Schanzenviertel.

Brennende Barrikade im Schanzenviertel.

Foto: Markus Scholz/ dpa

Randalierer fackelten Autos ab, schlugen Scheiben ein, plünderten Läden. Hunderte Polizisten wurden verletzt, stundenlang herrschte Chaos im Schanzenviertel. Statt schöner Bilder aus einer weltoffenen Stadt produzierte der G20-Gipfel in Hamburg nur Verlierer.

Knapp zwei Wochen danach beginnt nun die politische Aufarbeitung - offene Fragen gibt es viele:

  • Wer trägt die Verantwortung für das Desaster?
  • Wie konnte es dazu kommen, dass die Sternschanze am Freitagabend stundenlang den Randalierern überlassen wurde?
  • War ein Hinterhalt in der Schanze geplant?

In der Hamburgischen Bürgerschaft wollen die Parteien heute ab 16 Uhr versuchen, diese zu klären. Innensenator Andy Grote (SPD), der Polizeipräsident und die für den Einsatz verantwortlichen Polizisten stellen sich im Innenausschuss den Fragen der Politiker.

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Was wir bisher wissen:

Mehr als 20.000 Polizisten sollten den Gipfel schützen. Gegen 35 laufen Ermittlungsverfahren, die meisten wegen Körperverletzung im Amt. Ein Rahmenbefehl regelte ihren Einsatz. "Der Schutz und die Sicherheit der Gäste haben höchste Priorität", heißt es in dem Dokument, das dem SPIEGEL vorliegt. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagen: Der Schutz der Bürger sei nicht nachrangig gewesen.

Schon am Donnerstag, 6. Juli, eskaliert die Gewalt auf der "Welcome to Hell"-Demonstration. Von den rund 12.000 Demonstranten vermummen sich zunächst mehr als 1000. Nicht alle legen die Vermummung ab. Die Polizei versucht, die zwei schwarzen Blöcke von den übrigen Demonstranten zu trennen, setzt Pfefferspray und Wasserwerfer ein. Es fliegen Flaschen und Steine, Demonstranten schlagen mit Holzlatten auf die Beamten ein.

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Am Freitagmorgen, 7. Juli, versuchen Demonstranten die Anfahrt der Delegationen zum Gipfelgelände zu stören. Vermummte zünden ungehindert Autos an.

Am Freitagabend treffen sich die Staatschefs in der Elbphilharmonie. Zeitgleich werden in der Sternschanze Barrikaden angesteckt. Die Polizei sagt später, sie habe Informationen gehabt, wonach Autonome Hinterhalte planten und Gehwegplatten auf Dächern bereitgelegt hätten.

Mehrere Polizeieinheiten weigern sich, in die Sternschanze vorzustoßen, Einsatzleiter Hartmut Dudde ruft Spezialkräfte herbei. Sie räumen schließlich das Viertel. Erst nach 2 Uhr entspannt sich die Lage.

Das sind die Fakten. Polizisten, Anwohner, Aktivisten und Politiker bewerten die Ereignisse ganz unterschiedlich - ein Überblick:

Wie verteidigt sich der Senat?

Bürgermeister Scholz und Innensenator Grote haben sich bei den Hamburgern entschuldigt. Es sei nicht immer und nicht überall gelungen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.

In seiner Regierungserklärung machte Scholz deutlich, wen er dafür verantwortlich macht: Ein "krimineller Mob" sei durch Hamburg gezogen. Linksradikale hätten Straftätern Unterschlupf geboten. Gerichte hätten kleine Übernachtungscamps erlaubt, obwohl es Hinweise darauf gegeben habe, dass sich militante Demonstranten dort absprechen könnten.

Der Polizei dankte Scholz. Sie habe alles Mögliche getan. Wer das Wort Polizeigewalt in den Mund nehme, "der diskreditiert die Polizei als Ganzes", sagte er.

Was sagen die Anwohner der Sternschanze?

Viele Anwohner werfen der Polizei vor, die Sternschanze nicht ausreichend geschützt zu haben. Barbetreiber Oliver Hörr sagte dem SPIEGEL: "Viele hier im Viertel hatten das Gefühl, die Schanze wurde geopfert, damit der Gipfel ruhig ablaufen kann."

Die Anwohner widersprechen Darstellungen, wonach linke Vermummte stundenlang in der Sternschanze randaliert hätten. Gewerbetreibende aus dem Viertel schreiben in einem offenen Brief auf Facebook : "Es waren betrunkene junge Männer, die wir auf dem Baugerüst sahen, die mit Flaschen warfen - hierbei von einem geplanten 'Hinterhalt' und Bedrohung für Leib und Leben der Beamten zu sprechen, ist für uns nicht nachvollziehbar." Betrunkene junge Männer ohne politisches Anliegen seien auch für die Plünderungen verantwortlich.

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Was sagt die Polizei?

Seit einer Woche fast nichts mehr. Bislang stellt die Polizei die Lage so dar: Einsatzkräfte seien aus Angst um ihr Leben nicht in die Sternschanze vorgedrungen. Dort hätten Autonome bewusst eine Falle gestellt, in die sie die Polizisten mit den Krawallen hätten locken wollen. Laut Polizei sollten sie mit Brandsätzen, mit Zwillen und Gehwegplatten von Hausdächern aus schwer verletzt oder getötet werden.

Bislang stützt die Polizei diese Version lediglich mit einem grobkörnigen Video. Es zeigt Steinwürfe und den Wurf eines brennenden Gegenstands auf einen Wasserwerfer vom Dach des Eckhauses an der Straße Schulterblatt 1. 13 Menschen wurden dort festgenommen, alle sind längst wieder frei.

Wie rechtfertigen sich die Aktivisten der Roten Flora?

Aus Sicht des linken Kulturzentrums geht es dem Hamburger Senat darum, einen Sündenbock für das eigene Versagen zu finden. Die Autonomen wehren sich gegen eine mögliche Schließung.

In einer Pressemitteilung distanzierten sich die Autonomen von den Krawallen in der Schanze: "Emanzipatorische Politik bedeutet für uns nicht, Unbeteiligte in Angst und Schrecken zu versetzen."

Den Vorwurf, als Schaltzentrale für die gewaltsamen Proteste gedient zu haben, hatten die Autonomen bereits während der Krawalle Freitagnacht zurückgewiesen. Nach Angaben des Anwalts Andreas Blechschmidt war das Gebäude am Abend wie geplant geschlossen worden. Lediglich eine Notbesetzung habe sich drinnen um Verletzte gekümmert, sagte er dem SPIEGEL. Zugleich kritisierte er die "sinnbefreite Gewalt" in der Schanze.

Auch Andreas Beuth - der wegen Aussagen zu den Ausschreitungen in die Kritik geraten war - übernahm später eine politische Mitverantwortung für die Krawalle. Die alleinige Schuld trage aber nicht die Rote Flora: "Wir haben diese Menschen nicht eingeladen. Die Gruppen, die wir kontaktiert haben, sind keineswegs mit dem Vorsatz gekommen, hier zu brandschatzen und schwere Gewalt zu verüben. Das lehnen wir generell ab", sagte er dem Abendblatt.

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