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G20-Polizeistrategie Null Toleranz - auch beim Zelten

In Entenwerder ist die Polizei gegen kampierende G20-Gegner vorgegangen - eine Demonstration der harten "Hamburger Linie". Der Grund: Solche Protestlager bereiten den Beamten gleich mehrere Probleme.

Die Halbinsel Entenwerder liegt einige Kilometer von der Hamburger Innenstadt entfernt, es gibt einen Park, Industriepanorama, Schotterwege. Wenn es nach den G20-Gegnern geht, sollten angereiste Protestler dort während der Gipfeltage in Zelten schlafen. Ein Camp als Rückzugsort, noch dazu gerichtlich bewilligt, sagen die Organisatoren. Potenzielle Gefahrenquelle und Treffpunkt militanter Gipfelgegner, sagen die Behörden. Gespräche der beiden Seiten im Vorfeld scheiterten.

Die Lage ist vertrackt; zwar gibt es Gerichtsurteile zur Legalität des Camps. Die werden aber unterschiedlich interpretiert. Und so griff die Polizei am Sonntagabend gegen die G20-Gegner durch, die in Entenwerder in Zelten übernachten wollten. Es kam zu Tumulten, die Beamten setzten Pfefferspray ein. Ein Aktivist wurde festgenommen. Linksautonome rufen jetzt dazu auf, in der ganzen Stadt verteilt zu zelten.

Die Innenbehörde von Senator Andy Grote (SPD) will Camps der linken Szene unbedingt verhindern. In der Allgemeinverfügung der Verwaltung heißt es, erfahrungsgemäß würden aus den Camps heraus Straftaten begangen. So seien viele Randalierer während des G8-Gipfels in Heiligendamm im Jahr 2007 aus einem Camp zusammengekommen. Auch während des Nato-Gipfels 2009 in Straßburg gingen laut Hamburger Innenbehörde gewalttätige Aktionen von den Campierenden aus. "Eine entsprechende Vorgehensweise ist auch anlässlich der G20-Proteste zu erwarten", heißt es in der Verfügung.

Polizeisprecher Timo Zill sagte dem NDR zum Polizeieinsatz in Entenwerder: "Wir haben immer klargemacht, dass wir einen Rückzugsraum für Militante nicht dulden werden. Das heißt, Übernachtungszelte wird es dort nicht geben können. Die Position haben wir vor Ort deutlich gemacht. Und diese Position ist vom Verwaltungsgericht bestätigt worden." Die Hamburger Behörden berufen sich vor Gericht unter anderem auf die Grünanlagenverordnung der Stadt, wonach das Zelten in Grünanlagen generell verboten sei.

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G20-Gipfel in Hamburg: Polizei räumt Protestcamp in Entenwerder

Foto: JOTO

Das Verwaltungsgericht bestätigte die Rechtsauffassung der Polizei und beschloss ein ausgesprochenes Übernachtungsverbot auf der Halbinsel. "Das ist die Selbstermächtigung der Polizei, die jetzt gerichtlich legitimiert wird", sagt Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum Rote Flora. Es sei ein Signal an alle, die demonstrieren wollten, dass es offenbar keinen Rechtsschutz durch Hamburger Gerichte gebe. Den Autonomen geht es um ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

"Rechtsfreie Räume"

Auch Rechtsanwalt Martin Klingner, der die Anmelder der Camps vor Gericht vertreten hat, sieht in dem Vorgehen der Polizei rechtsstaatliche Garantien unterlaufen. Klingner gehört dem anwaltlichen Notdienst des Republikanischen Anwältevereins an und vertritt auch Mandanten aus der linken Szene. "Die Hamburger Polizei bricht die Verfassung, aber wir werden uns durchsetzen", sagt er. Der Verein fordert die Absetzung des Einsatzleiters der Polizei, Hartmut Dudde.

Der hatte persönlich die Anweisung gegeben, den Camporganisatoren die Zufahrt zum Elbpark zu verwehren. Dudde ist in der linken Szene ohnehin verhasst; er steht für die kompromisslose "Hamburger Linie" (mehr dazu lesen Sie hier). Innerhalb der Polizei gilt er dagegen als beliebt.

Auch für seine Null-Toleranz-Strategie kann er sich der Rückendeckung aus den eigenen Reihen sicher sein. "Die Logistik ist für die linke Szene enorm wichtig", sagt ein hochrangiger Beamter. "Die Camps dienen Autonomen, die von außerhalb kommen, als Anlaufstelle. Sie sind die Orte, wo Aktionen besprochen und koordiniert werden. Und die Orte, an die man sich nach Straftaten flüchten kann. Dort lässt sich in der Masse untertauchen, Gleichgesinnte beschützen einen."

Er halte daher die Strategie der Hamburger, möglichst keine Camps zuzulassen, für richtig, sagt ein erfahrener Polizeiführer aus Nordrhein-Westfalen. "Das Problem ist: Sie können in diesen Zeltlagern kaum durchgreifen. Ein Stück weit sind das rechtsfreie Räume, die sie als Polizei natürlich weder sehen wollen noch dulden können." Selbst wenn die Innenbehörde mit ihrer starren Haltung am Ende verwaltungsrechtlich scheitern sollte, habe sie damit vielleicht Sicherheit gewonnen: "Womöglich sind weniger Autonome angereist, weil sie nicht wussten, wo sie unterkommen sollten."

Gewaltfrei-Konzept in Rheinland-Pfalz

Dass es auch eine Alternative zu dem Vorgehen der Hamburger Polizei gibt, zeigt eine Demonstration im rheinland-pfälzischen Hasselbach, die schon mehr als 30 Jahre zurückliegt. Damals protestierten knapp 180.000 Menschen gegen die Stationierung von Cruise Missiles in der nahe gelegenen Raketenbasis Pydna. "Gewaltfrei in Hunsrück", hieß das Konzept der Polizei, angelehnt an das dortige Mittelgebirge. Die Polizei verzichtete bewusst auf martialisches Auftreten, es gab Gesprächsrunden, Vertrauen sollte aufgebaut statt Stärke demonstriert werden. Die Demonstrationen verliefen weitgehend friedlich.

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