Probleme beim G36-Gewehr "Für den Einsatz nur eingeschränkt tauglich"
Das Urteil der Experten über das Bundeswehr-Gewehr G36 ist harsch: Laut neuen Gutachten ist es für den Einsatz nur eingeschränkt tauglich - und gefährdet das Leben deutscher Soldaten im Gefecht.
Die neuen Gutachten über das Standardgewehr der Bundeswehr sind verheerend. Heiß geschossen sinkt die Treffgenauigkeit des G36 auf nur rund 50 Prozent. Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) wird schnell handeln müssen, doch ihre Experten sind sich nicht einig.
Mangelnde Klarheit kann man den neuen Gutachten zur Standardwaffe der Bundeswehr nicht vorwerfen. Das Planungsamt der Truppe beschreibt kurz und knapp die Ergebnisse der Schießtests mit dem G36: "Nach dem Verschuss von zwei Magazinen", so die Experten, sei "ein gezieltes Treffen des Gegners nicht mehr zuverlässig gewährleistet". Heiß geschossen sinke die Treffwahrscheinlichkeit des G36 auf 53 Prozent. Nur jedes zweite Geschoss aus dem Gewehr des Herstellers Heckler & Koch erreichte das angepeilte Ziel, nach dem dritten Magazin war es nur noch jedes dritte.
G36 gefährdet Leben von Soldaten
Die Folgerungen lesen sich düster: "In fordernden Gefechten" sei das "präzise Bekämpfen des Gegners" nicht möglich, das G36 "für den Einsatz nur eingeschränkt tauglich" und "nicht in vollem Sinne einsatzreif". Im verquasten Bundeswehr-Sprech heißt es dann, "im Sinne der Überlebens- und Durchhaltefähigkeit" sei mit dem G36 im Einsatz eine "erhebliche Fähigkeitslücke" festzustellen. Auf Deutsch heißt das nichts anderes, als dass Soldaten mit dem G36 mangelhaft ausgestattet waren und sind. Man könnte auch sagen: Das G36 gefährdet das Leben deutscher Soldaten im Gefecht.
Die schockierenden Zeilen und Zahlen liegen seit Freitag im Verteidigungsressort im Bundestag vor. In einem dicken Ordner mit 372 Seiten beschreiben das Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe, das Fraunhofer Ernst-Mach-Institut und die Wehrtechnische Dienststelle 91 ihre Beschusstests mit dem G36. Dutzende bunte Schaubilder der Treffscheiben dokumentieren die massiven Präzisionsprobleme der Waffe, die in allen verfügbaren Varianten getestet wurde. Umso mehr Munition verschossen wurde, desto größer werden die Trefferkreise.
Das Urteil der Experten ist so eindeutig wie ernüchternd. Als Zielmarke hatte man festgelegt, die getesteten Waffen sollten auf eine Entfernung von 300 Meter eine Treffgenauigkeit von 90 Prozent erreichen. "Das aktuelle Waffensystem erfüllt die Forderungen nicht", so das Ergebnis des G36. Der Behauptung von Heckler & Koch, dass der Präzisionsverlust durch die Erhitzung bei schnellen Feuerstößen ein normaler physischer Effekt sei, der jedes Gewehr betreffe, widersprechen die Gutachten. Demnach hätte ein anderes Gewehr die Tests erfolgreich bestanden.
Von der Leyen unter Zugzwang
Besonders die Zeilen, dass das G36 das Leben deutscher Soldaten gefährde, setzen Ministerin von der Leyen unter Zugzwang. Einige Wochen, das hatte ihr Sprecher gesagt, wolle man sich zur Auswertung der verschiedenen Untersuchungsberichte Zeit nehmen. Dann sollen noch Kommissionen klären, warum die Probleme des G36, die seit 2011 bekannt sind, so lange verschleppt wurden. Der Zeitplan war vom Team von der Leyens bewusst gewählt, es sollte eine Art Masterplan sein, um das Tempo aus der Affäre zu nehmen, die der Ministerin zunehmend gefährlich wird.
Schon jetzt hagelt es heftige Kritik. Die grüne Verteidigungsfachfrau Agnieszka Brugger hielt von der Leyen vor, dass die aktuellen Untersuchungen lediglich frühere Analysen bestätigten, die schon seit 2012 vorliegen. "Aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate herrschen mittlerweile aber große Zweifel, ob von der Leyen zu einer Kursänderung im Wehrressort wirklich fähig und bereit ist", sagte Brugger. Als Grund nannte sie, dass auch die neue Ministerin seit Amtsantritt im Dezember 2013 den "Kurs des Verschleierns" ihres Vorgängers zunächst fortgesetzt habe.
Alternative gesucht
Ob die Ministerin viel Zeit für Entscheidungen hat, scheint nach Vorlage der Gutachten unwahrscheinlich. Das Planungsamt, also die Experten aus ihrem eigenen Haus, jedenfalls fordert den sofortigen Kauf von anderen Sturmgewehren für die Auslandsmissionen der Truppe. Die Bundeswehr solle umgehend die "Beschaffung geeigneter Sturmgewehre" samt Munition "als Interimslösung für die Bedarfe aktueller Einsätze" einleiten, so das Papier. Das G36 solle nur so lange genutzt werden, bis man eine Alternative gefunden habe, um alle Soldaten auszustatten.
Die genaue Lektüre der Untersuchungsberichte aber illustriert auch, dass sich die Experten der Truppe keineswegs einig sind, wie es weiter gehen soll. So schreibt das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw), man solle das G36 weiter nutzen und sogar noch "regenerieren", da eine Einführung einer neuen Waffe bis zu zehn Jahren dauern würde. Dazu soll sogar der vom Haushaltsausschuss erzwungene Stopp für den Kauf neuer G36-Modelle aufgehoben werden und die "Nutzungsdauer des G36 über 2016 hinaus" verlängert werden, schreiben die für den Einkauf der Truppe verantwortlichen Beamten.
Eine solche Bitte des Ministeriums aber dürfte nach den Berichten über das Gewehr nur sehr schwer zu vermitteln sein.
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