

Berlin - Wie verrückt es nach der historischen Niederlage vom Sonntag derzeit zugeht, in der SPD, zeigte eine kleine Meldung aus Hessen am Dienstagmorgen. Man müsse darüber nachdenken, Andrea Ypsilanti künftig wieder eine größere Rolle zu geben. Jener Frau also, die mit ihrem Wortbruch in Sachen Linkspartei nicht ganz unschuldig ist für das "Glaubwürdigkeitsproblem", das jetzt viele Genossen auszumachen meinen.
Angesichts solcher Zwischenrufe mag man denen nicht mehr so recht widersprechen, die meinen, dass es auf der Fraktionssitzung am Nachmittag zu größeren Komplikationen kommen könnte. Vorgesehen ist, Frank-Walter Steinmeier, den geprügelten Kanzlerkandidaten, zum neuen Fraktionsvorsitzenden zu machen. Aber wird er es wirklich?
Auf den ersten Blick: Ja. Denn Steinmeier, so scheint es, ist derzeit der einzige, der eine Mehrheit für den Posten hinter sich bringen kann. Natürlich gibt es Zweifel, ob er, der Mann der Exekutive, als Oppositionsführer dem Chef-Populisten Oskar Lafontaine von der Linkspartei Paroli bieten kann. Aber flügelübergreifend wird Steinmeiers Einsatz im holprigen Wahlkampf geschätzt. Als Hauptverantwortlicher des Desasters wird Parteichef Franz Müntefering genannt, nicht er. Und dass ein bisschen Kontinuität in diesen turbulenten Zeiten nicht schaden kann, hört man auch an allen Ecken und Enden.
Parteichef aber, das soll er nicht werden. Das fordern plötzlich selbst die konservativen Seeheimer und pragmatischen Netzwerker, denen Steinmeier flügelpolitisch gehörig näher steht als der Linken. Beide Funktionen sollte man in dieser Situation "keinem Menschen zumuten", so Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs. Stattdessen sollen sie sich für Sigmar Gabriel als Parteivorsitzenden ausgesprochen haben, ein Mann, über den es bisher immer hieß, er habe parteiintern keine Truppen.
Gabriel könnte als Kompromisskandidat zum Zuge kommen, denn Vertreter des linken Parteiflügels wandten sich bereits gegen ein Aufrücken des unterlegenen Kanzlerkandidaten Steinmeier an die SPD-Spitze. Ihm wird neben dem desaströsen Wahlergebnis vom Sonntag vor allem angelastet, dass er die Hartz-Reformen und die Rente mit 67 unterstützt.
Hinter dem Vorstoß dürften vor allem die wachsenden Zweifel stecken, ob ausgerechnet Steinmeier der richtige Mann ist, der den viel beschworenen "Erneuerungsprozess" der Partei glaubwürdig vertreten kann. Und die Zweifel sind ja nicht völlig unbegründet: Tatsächlich dürfte es einige Mühe kosten, den Menschen zu vermitteln, dass da einer der neue Hoffnungsträger sein soll, der die elf Jahre Regierungsarbeit maßgeblich gestaltet und die in weiten Teilen der Partei ungeliebte Schrödersche Reformpolitik entwickelt hat. Zudem ist aufmerksam registriert worden, dass Steinmeier am Sonntag bei seinem Anspruch auf den Fraktionsvorsitz handstreichartig vorging und im Präsidium indirekt mit Rückzug drohte - ein Stil, der doch eigentlich endlich beendet werden soll, wenn man die Stimmen der letzten Tage richtig versteht. Parteichef Steinmeier? Also eher nicht.
Da wird es dann interessant. Denn ob Steinmeier tatsächlich Oppositionsführer wird und der SPD erhalten bleibt, dürfte exakt davon abhängen, ob er auch den Parteivorsitz bekommt. Die Zweifel an seiner Eignung als Erneuerer dürfte er nur dann ausräumen können, wenn er beide Posten inne hat und volle Richtlinienkompetenz besitzt.
Als halbe Führungskraft zu fungieren, darauf dürfte sich Steinmeier nicht einlassen. Vor allem dann nicht, wenn Sigmar Gabriel, der wortgewaltige Ehrgeizling, auf dem SPD-Vorsitz thront. Statt Wiederbelebungsversuchen würde die SPD dann in den kommenden Jahren ein Hahnenkampf um die nächste Kanzlerkandidatur dominieren.
All das gilt es zu berücksichtigen, wenn die Abgeordneten am Nachmittag ihre erste Personalentscheidung treffen.
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