Votum gegen Große Koalition Jusos lassen Gabriel abblitzen

Votum gegen Große Koalition: Jusos lassen Gabriel abblitzen
Foto: Daniel Karmann/ dpaDiese Postkarte soll er jetzt mit nach Hause nehmen, Veith Lemmen von den nordrhein-westfälischen Jusos drückt sie Sigmar Gabriel in die Hand. Regine Hildebrandt ist darauf zu sehen, die 2001 verstorbene Politikerin der SPD. Sie lächelt auf dem Bild, neben ihr steht ein Satz: "Mit den Arschlöchern von der CDU koaliere ich nicht."
Das ist in etwa die Grundstimmung vieler Delegierter beim Bundeskongress der Jusos in Nürnberg. Was für ein schöner Wochenendausflug für den SPD-Chef also, der doch seit Tagen durch die Republik tingelt, um seine Genossen auf Regionalkonferenzen für die Große Koalition und ein Ja beim Mitgliedervotum der SPD zu gewinnen.
Der Scherz mit der Postkarte ist fast noch das harmloseste. Das Aufeinandertreffen vom Parteinachwuchs mit dem SPD-Chef an diesem Samstag im leerstehenden früheren Quelle-Versandzentrum gerät phasenweise zum verbalen Boxkampf. Gabriel steigt in manchen Momenten die Zornesröte ins Gesicht.
"Ihr habt mich eingeladen", ruft er, als er das zweite Mal am Rednerpult steht - und er sei gekommen, um seine Meinung zu sagen, "egal, ob sie euch passt oder nicht".

Juso-Kongress: SPD-Nachwuchs gegen GroKo
Dabei hatte alles vergleichsweise harmonisch begonnen. Johanna Uekermann, die frischgewählte neue Juso-Vorsitzende, hatte Gabriel vor dem Eingang zum Tagungssaal begrüßt, gemeinsam gingen sie zu den Delegierten.
Ob er mit einer Zustimmung der Jusos zum Koalitionsvertrag rechne, wird Gabriel auf seinem Weg von einem Journalisten gefragt. "Nö", entgegnet der 54-Jährige. "Der Jugendverband ist immer ein bisschen radikaler als die gesamte Partei." Dazu noch ein wowereitiger Satz, dass das auch gut und richtig sei.
Ob er da schon ahnt, wie giftig es werden würde? Schon die Ausgangslage ist schwierig für Gabriel: Die Jusos hatten sich im Vorfeld ihres Kongresses zur Bastion gegen eine Große Koalition formiert. In einem Initiativantrag sprachen sich sieben Landesverbände, darunter Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin, gegen ein Bündnis mit der Union aus. Der Koalitionsvertrag zeige, "dass mit dieser Union kein Politikwechsel möglich ist", heißt es darin, deshalb könne man dem Dokument nicht zustimmen.
Gabriel bekommt das nun zu spüren: Zwar begrüßen die Genossen ihn mit Applaus, Dutzende Delegierte halten aber auch Plakate in ihren Händen, die der Parteichef kaum als herzlichen Empfang deuten kann. "Der Politikwechsel ist wichtiger als die Große Koalition", steht da unter anderem.
"Vielen Dank für den freundlichen Empfang", kontert Gabriel - da ist ihm noch nach Selbstironie.
"Ich kenne in der CDU keinen Rassisten"
Damit ist es bald vorbei. Gabriel erklärt, warum die SPD seiner Meinung nach in den Verhandlungen mit der Union viel erreicht habe und warum Ideen wie die von Neuwahlen oder einer rot-grün-roten Koalition abwegig seien. Es regt sich zunehmend Widerspruch.
Mit der Linken könne man "nicht berechenbar" regieren, sagt Gabriel. Er verweist darauf, dass mehrere Abgeordnete der Linksfraktion beim Holocaust-Gedenktag im Bundestag demonstrativ auf ihren Plätzen sitzen geblieben seien, als das Parlament der Opfer des Nationalsozialismus gedachte.
Aus den Delegiertenreihen kommt der Vorwurf, dass es auch in der Union antisemitische Tendenzen gebe.
"Ich kenne in der CDU keinen Rassisten", sagt Gabriel, jetzt schon sichtlich genervt. Lautstarkes Gelächter.
"Erika Steinbach", ruft einer. Steinbach ist CDU-Abgeordnete und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen; manche werfen ihr vor, sie versuche, NS-Verbrechen zu relativieren. Steinbach bestreitet das.
Gabriel ist empört. Er weigere sich, die Kritik an Konservativen auf "ein Niveau zu bringen, auf das sie nicht gehört", sagt er. Die Stimmung im Saal ist jetzt eisig.
"Erklär das mal der Floristin, die fünf Euro verdient"
Aber Gabriel bringt das hier zu Ende. Seine Grundargumentation in Nürnberg ist die, die er auch bei den Regionalkonferenzen wählt. Beim Mitgliedervotum entscheide die SPD auch über die Frage, "ob wir Volkspartei bleiben wollen", betont er. Es gehe um die Frage, ob der SPD "die Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen viel bedeutet". Das, so Gabriel, sei in einer Großen Koalition möglich.
Er verweist auf den Mindestlohn und auf die Rente mit 63 für langjährig Versicherte. Die Kritik der Jusos, es sei mit dem Koalitionsvertrag nicht möglich, mehr Gerechtigkeit im Land zu schaffen, lässt er nicht gelten. Man könne nicht mit einem allgemeinen Gerechtigkeitsbegriff herkommen und für das Leben im Alltag der Menschen "nichts tun".
"Blödsinn", ruft einer im Saal.
"Erklär das mal der Floristin, die fünf Euro in der Stunde verdient", entgegnet Gabriel.
Applaus und Buhrufe
Auch Uekermann spricht in Nürnberg. "Das Ergebnis der Verhandlungen überzeugt mich ganz und gar nicht", sagt die 26-Jährige, die zum linken Parteiflügel gehört. "Wir müssen Neuwahlen nicht fürchten", sagt sie. "Mit unseren Inhalten und mit der klaren Machtperspektive Rot-rot-grün können wir viele Menschen begeistern."
Es gibt Applaus bei vielen Delegierten, andere protestieren mit Buhrufen, weil sie mit der Linkspartei dann doch nicht koalieren wollen.
Und Gabriel? Lacht. Wohl eher aus Verzweiflung. Dann geht er recht schnell. Und verpasst so einiges.
Er verpasst, dass ein Delegierter sagt, die Jusos müssten sich nicht vom SPD-Chef beleidigen lassen. Er verpasst, dass der nächste sagt, er sei nicht sonderlich traurig, dass "der Sigmar" gegangen sei.
Und Gabriel verpasst das Abstimmungsergebnis: Die Nachwuchsorganisation mit rund 70.000 Mitgliedern spricht sich klar gegen die Große Koalition aus.